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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Ssanmrkaiid

Werben. Vielleicht findet die Reichsduma Zeit und Geld, etwas zur Erhaltung
der Kunstschätze beizutragen. Wünschenswert wäre es.

Von der Taschkenter Straße abseits gelangt man aus der Russenstadt
zuerst zum Grabmal des Timur. Inmitten etwas kümmerlicher Gartenanlagen
erhebt sich das Bauwerk, von einer Marmorbalustrade umgeben, teilweise als
Ruine, teilweise im Hauptgebäude noch in alter, freilich etwas ramponierter
Pracht. Schon der Pischtak über dem Tor zum innern Hof zeigt Schönheiten
in den hell- und dunkelblauen glänzenden Mustern seiner Kachelbekleidung.
Orientalisten können die arabische Inschrift: "Erbauer ist der Knecht Muhammed,
Sohn des Muhammed aus Jsfahcm" entziffern und entnehmen daraus des
Rätsels Lösung, woher die Ssamarkander und bucharische Architektur stammt.
Imponierender noch ist das schlanke Minaret links vom Eingang mit seiner
schlangenartig umgewundnen Säulenornamentik. Das Hauptgebäude mit der
leider etwas eingebeulten gereifelten Kuppel in Kielbogenquerschnitt zeigt die
meiste Pracht in seinem mosaikartigen Fayencebelag und ist in allen seinen
Räumen zugänglich; es wird von ein paar frommen Mullahs bewacht. Ein
stark gedämpftes ruhiges Licht fällt von einer Reihe hochangebrachter Fenster gerade
herunter auf die wieder von einer Marmorbalustrade umgebnen Grabplatten
aus schwarzem Nephrit und grauem Marmor. Über der des Timur stehen
schräg zwei Bambnsslaggenstangen mit einer Fahne und dem Roßschweif, auch
mit bunten Bändern unfruchtbarer Frauen umwickelt. Erst nachdem sich das
Auge etwas an das Halbdunkel gewöhnt hat, erkennt man unter den vier
seitlich angebrachten Halbkuppeln des Bauwerks die kunstvolle Stalaktiteuform
der baldachinartig angeordneten innern Gewölbeflächen, die eingelegte Marmor-
bekleidung der Wände und die goldverzierte Neliefarbeit, die mit einer Kunst¬
schrift rund herum die Taten des großen Timur verherrlicht. Leider verunziert
Flickarbeit und Tünche an vielen Stellen das Gesamtbild. In der schmuck¬
losen Gruft unter dem Kuppelraum stehn die Särge des Herrschers seines
Lehrers und einiger seiner Nachkommen, alle bedeckt mit grauen Marmor¬
platten und geordnet wie die mit Inschriften, Namen. Titel und Todesjahr
versehenen Gedenkplatten unter der Kuppel.

Timurs Mausoleum hat sich dauerhafter erwiesen als das größte seiner
Bauwerke, die seiner Lieblingsfrau zu Ehren errichtete Bibi-Ehanyin-Moschee
deren kolossale Reste an: Basarplatz sich erheben und alle andern Bauten wett
überragen. Die Erde hat den stolzen Bau nicht tragen können; den Erdbeben,
ihren Fieberschauern, ist er zum Opfer gefallen; seinen Wandschmuck hat er her¬
oben müssen. Was noch steht, ist der Vernichtung geweiht und bedroht den
Verwegner, der sich allzunahe heranwagt. Die wunderbare, blau abgedeckte
Riesenkuppel in Melonenform, der der Hagia Sofia in Stambul an Große
Wohl gleich, ist halboffen, der Pischtak des Eingangstores starrt in unheim¬
licher Höhe einsam empor, die Minarets liegen in Trümmern und zeigen die von
den Verdient-Fayencesteinen entblößten Ziegelschichten und die zur Versteifung


Ssanmrkaiid

Werben. Vielleicht findet die Reichsduma Zeit und Geld, etwas zur Erhaltung
der Kunstschätze beizutragen. Wünschenswert wäre es.

Von der Taschkenter Straße abseits gelangt man aus der Russenstadt
zuerst zum Grabmal des Timur. Inmitten etwas kümmerlicher Gartenanlagen
erhebt sich das Bauwerk, von einer Marmorbalustrade umgeben, teilweise als
Ruine, teilweise im Hauptgebäude noch in alter, freilich etwas ramponierter
Pracht. Schon der Pischtak über dem Tor zum innern Hof zeigt Schönheiten
in den hell- und dunkelblauen glänzenden Mustern seiner Kachelbekleidung.
Orientalisten können die arabische Inschrift: „Erbauer ist der Knecht Muhammed,
Sohn des Muhammed aus Jsfahcm" entziffern und entnehmen daraus des
Rätsels Lösung, woher die Ssamarkander und bucharische Architektur stammt.
Imponierender noch ist das schlanke Minaret links vom Eingang mit seiner
schlangenartig umgewundnen Säulenornamentik. Das Hauptgebäude mit der
leider etwas eingebeulten gereifelten Kuppel in Kielbogenquerschnitt zeigt die
meiste Pracht in seinem mosaikartigen Fayencebelag und ist in allen seinen
Räumen zugänglich; es wird von ein paar frommen Mullahs bewacht. Ein
stark gedämpftes ruhiges Licht fällt von einer Reihe hochangebrachter Fenster gerade
herunter auf die wieder von einer Marmorbalustrade umgebnen Grabplatten
aus schwarzem Nephrit und grauem Marmor. Über der des Timur stehen
schräg zwei Bambnsslaggenstangen mit einer Fahne und dem Roßschweif, auch
mit bunten Bändern unfruchtbarer Frauen umwickelt. Erst nachdem sich das
Auge etwas an das Halbdunkel gewöhnt hat, erkennt man unter den vier
seitlich angebrachten Halbkuppeln des Bauwerks die kunstvolle Stalaktiteuform
der baldachinartig angeordneten innern Gewölbeflächen, die eingelegte Marmor-
bekleidung der Wände und die goldverzierte Neliefarbeit, die mit einer Kunst¬
schrift rund herum die Taten des großen Timur verherrlicht. Leider verunziert
Flickarbeit und Tünche an vielen Stellen das Gesamtbild. In der schmuck¬
losen Gruft unter dem Kuppelraum stehn die Särge des Herrschers seines
Lehrers und einiger seiner Nachkommen, alle bedeckt mit grauen Marmor¬
platten und geordnet wie die mit Inschriften, Namen. Titel und Todesjahr
versehenen Gedenkplatten unter der Kuppel.

Timurs Mausoleum hat sich dauerhafter erwiesen als das größte seiner
Bauwerke, die seiner Lieblingsfrau zu Ehren errichtete Bibi-Ehanyin-Moschee
deren kolossale Reste an: Basarplatz sich erheben und alle andern Bauten wett
überragen. Die Erde hat den stolzen Bau nicht tragen können; den Erdbeben,
ihren Fieberschauern, ist er zum Opfer gefallen; seinen Wandschmuck hat er her¬
oben müssen. Was noch steht, ist der Vernichtung geweiht und bedroht den
Verwegner, der sich allzunahe heranwagt. Die wunderbare, blau abgedeckte
Riesenkuppel in Melonenform, der der Hagia Sofia in Stambul an Große
Wohl gleich, ist halboffen, der Pischtak des Eingangstores starrt in unheim¬
licher Höhe einsam empor, die Minarets liegen in Trümmern und zeigen die von
den Verdient-Fayencesteinen entblößten Ziegelschichten und die zur Versteifung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/471>, abgerufen am 06.02.2025.