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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

hat, wird nicht leicht von ihm loskommen und seine ganze Größe empfinden.
Es wirkt geradezu wie eine Offenbarung, daß zu einer Zeit, da etwa in Nord-
uud Süddeutschland der Naturalismus herrschte, Spitteler seine "Schmetterlinge"
herausgab, daß er seinen "Olympischen Frühling" schuf, während man allent¬
halben in Symbolismus oder in Heimatkunst aufging. Er wußte, was um ihn
geschah, aber er blieb auf seinem Wege, vornehm und unbeirrbar, und ist nun
^mählich in die vorderste Reihe gekommen, in die er gehört. Sein neues Buch
">!>mago" (Jena, Eugen Diederichs) ist wieder merkwürdig in seiner nahezu
unbestimmbaren Art, ganz und gar geschlossen im Aufbau, und obwohl äußerlich
wenig darin vorgeht, voller Spannungskraft von Anfang bis zu Ende. Die
^schichte von dem Dichter, der heimkommt, um sich an der vermeintlich treu-
osm Geliebten dadurch zu rächen, daß er sie zwingen will, die Augen vor ihm
niederzuschlagen, wird ganz allmählich die Geschichte von den. Dichter, der aus
seiner Liebesphantasie heraus in einen trivialen Roman zu geraten droht und
ann im letzten Augenblick nach starker seelischer Erschütterung zu der Jmago
keines Innenlebens zurückkehrt. Indem ich dies schreibe, empfinde ich schon, wie
^eilig ti^se Worte zur Charakterisierung von Spittelers reiner und feiner
lchtung sagen, und daß sie eigentlich nichts sind als ein plumper Versuch,
Zarte Spinnweben mit Präparatorenfingern vorzunehmen. Es würde aber nur
^ner Analyse, die nicht viel kürzer wäre als das schmale Buch, gelingen, das
mal Leben, das sich hier ausspricht, einigermaßen wiederzugeben. Wo jedes
^ort Kunst ist, wo kein Satz aus dem Stil des Ganzen herausfällt, wo das
^deal der Knappheit, das alle Kulturpoeten -- ich denke zum Beispiel an
se " ^ ^ haben, unübertrefflich erreicht ist, da bleibt nichts übrig, als von demi
l rren Einfluß zu berichten, den ein solches Werk hinterläßt, und zu raten, der
^eher möge selbst in diese Welt hineinsteigen, in der zarte und starke Kunst
Reinige blühen.

Wie ernst es Spitteler mit der Form als der durch den Inhalt gegebnen
naturgemäßen Ausdrucksweise nimmt, zeigt die Vorrede zu einem andern Profa-
nes von ihm: "Conrad, der Leutnant", das nun in zweiter Auflage (in demselben
""erläge) erschienen ist. Spitteler nennt es eine "Darstellung" und sagt: "Unter
Darstellung" verstehe ich eine besondre Kunstform der Prosaerzählung mit
^gentümlichem Ziel und mit besondern Stilgesetzen, welche diesem Ziel als Mittel
'e"en. Das Ziel heißt: denkbar innigstes Miterleben der Handlung. Die Mittel
M lauten: Einheit der Person, Einheit der Perspektive, Stetigkeit des zeit-
'chen Fortschrittes. Also diejenigen Gesetze, unter welchen wir in der Wirklichkeit
ist führt Spitteler wiederum in vollendeter Weise durch. Es
>t deshalb um so merkwürdiger, als er nur mitteilen will, was die Hauptperson
""brillant, und dies so, wie es sich in ihrer Wahrnehmung spiegelt. Der Er-
^hier darf sich nicht gestatten, irgendeinen Zeitabschnitt als angeblich unwichtig
A überspringen. Solche Darstellung hat dann freilich nicht nur einen starken
^Z, sondern erweckt zuerst auch etwas Befremden. Dem? die eben angeführten


Literarische Rundschau

hat, wird nicht leicht von ihm loskommen und seine ganze Größe empfinden.
Es wirkt geradezu wie eine Offenbarung, daß zu einer Zeit, da etwa in Nord-
uud Süddeutschland der Naturalismus herrschte, Spitteler seine „Schmetterlinge"
herausgab, daß er seinen „Olympischen Frühling" schuf, während man allent¬
halben in Symbolismus oder in Heimatkunst aufging. Er wußte, was um ihn
geschah, aber er blieb auf seinem Wege, vornehm und unbeirrbar, und ist nun
^mählich in die vorderste Reihe gekommen, in die er gehört. Sein neues Buch
»>!>mago" (Jena, Eugen Diederichs) ist wieder merkwürdig in seiner nahezu
unbestimmbaren Art, ganz und gar geschlossen im Aufbau, und obwohl äußerlich
wenig darin vorgeht, voller Spannungskraft von Anfang bis zu Ende. Die
^schichte von dem Dichter, der heimkommt, um sich an der vermeintlich treu-
osm Geliebten dadurch zu rächen, daß er sie zwingen will, die Augen vor ihm
niederzuschlagen, wird ganz allmählich die Geschichte von den. Dichter, der aus
seiner Liebesphantasie heraus in einen trivialen Roman zu geraten droht und
ann im letzten Augenblick nach starker seelischer Erschütterung zu der Jmago
keines Innenlebens zurückkehrt. Indem ich dies schreibe, empfinde ich schon, wie
^eilig ti^se Worte zur Charakterisierung von Spittelers reiner und feiner
lchtung sagen, und daß sie eigentlich nichts sind als ein plumper Versuch,
Zarte Spinnweben mit Präparatorenfingern vorzunehmen. Es würde aber nur
^ner Analyse, die nicht viel kürzer wäre als das schmale Buch, gelingen, das
mal Leben, das sich hier ausspricht, einigermaßen wiederzugeben. Wo jedes
^ort Kunst ist, wo kein Satz aus dem Stil des Ganzen herausfällt, wo das
^deal der Knappheit, das alle Kulturpoeten — ich denke zum Beispiel an
se « ^ ^ haben, unübertrefflich erreicht ist, da bleibt nichts übrig, als von demi
l rren Einfluß zu berichten, den ein solches Werk hinterläßt, und zu raten, der
^eher möge selbst in diese Welt hineinsteigen, in der zarte und starke Kunst
Reinige blühen.

Wie ernst es Spitteler mit der Form als der durch den Inhalt gegebnen
naturgemäßen Ausdrucksweise nimmt, zeigt die Vorrede zu einem andern Profa-
nes von ihm: „Conrad, der Leutnant", das nun in zweiter Auflage (in demselben
"»erläge) erschienen ist. Spitteler nennt es eine „Darstellung" und sagt: „Unter
Darstellung« verstehe ich eine besondre Kunstform der Prosaerzählung mit
^gentümlichem Ziel und mit besondern Stilgesetzen, welche diesem Ziel als Mittel
'e"en. Das Ziel heißt: denkbar innigstes Miterleben der Handlung. Die Mittel
M lauten: Einheit der Person, Einheit der Perspektive, Stetigkeit des zeit-
'chen Fortschrittes. Also diejenigen Gesetze, unter welchen wir in der Wirklichkeit
ist führt Spitteler wiederum in vollendeter Weise durch. Es
>t deshalb um so merkwürdiger, als er nur mitteilen will, was die Hauptperson
""brillant, und dies so, wie es sich in ihrer Wahrnehmung spiegelt. Der Er-
^hier darf sich nicht gestatten, irgendeinen Zeitabschnitt als angeblich unwichtig
A überspringen. Solche Darstellung hat dann freilich nicht nur einen starken
^Z, sondern erweckt zuerst auch etwas Befremden. Dem? die eben angeführten


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[0467] Literarische Rundschau hat, wird nicht leicht von ihm loskommen und seine ganze Größe empfinden. Es wirkt geradezu wie eine Offenbarung, daß zu einer Zeit, da etwa in Nord- uud Süddeutschland der Naturalismus herrschte, Spitteler seine „Schmetterlinge" herausgab, daß er seinen „Olympischen Frühling" schuf, während man allent¬ halben in Symbolismus oder in Heimatkunst aufging. Er wußte, was um ihn geschah, aber er blieb auf seinem Wege, vornehm und unbeirrbar, und ist nun ^mählich in die vorderste Reihe gekommen, in die er gehört. Sein neues Buch »>!>mago" (Jena, Eugen Diederichs) ist wieder merkwürdig in seiner nahezu unbestimmbaren Art, ganz und gar geschlossen im Aufbau, und obwohl äußerlich wenig darin vorgeht, voller Spannungskraft von Anfang bis zu Ende. Die ^schichte von dem Dichter, der heimkommt, um sich an der vermeintlich treu- osm Geliebten dadurch zu rächen, daß er sie zwingen will, die Augen vor ihm niederzuschlagen, wird ganz allmählich die Geschichte von den. Dichter, der aus seiner Liebesphantasie heraus in einen trivialen Roman zu geraten droht und ann im letzten Augenblick nach starker seelischer Erschütterung zu der Jmago keines Innenlebens zurückkehrt. Indem ich dies schreibe, empfinde ich schon, wie ^eilig ti^se Worte zur Charakterisierung von Spittelers reiner und feiner lchtung sagen, und daß sie eigentlich nichts sind als ein plumper Versuch, Zarte Spinnweben mit Präparatorenfingern vorzunehmen. Es würde aber nur ^ner Analyse, die nicht viel kürzer wäre als das schmale Buch, gelingen, das mal Leben, das sich hier ausspricht, einigermaßen wiederzugeben. Wo jedes ^ort Kunst ist, wo kein Satz aus dem Stil des Ganzen herausfällt, wo das ^deal der Knappheit, das alle Kulturpoeten — ich denke zum Beispiel an se « ^ ^ haben, unübertrefflich erreicht ist, da bleibt nichts übrig, als von demi l rren Einfluß zu berichten, den ein solches Werk hinterläßt, und zu raten, der ^eher möge selbst in diese Welt hineinsteigen, in der zarte und starke Kunst Reinige blühen. Wie ernst es Spitteler mit der Form als der durch den Inhalt gegebnen naturgemäßen Ausdrucksweise nimmt, zeigt die Vorrede zu einem andern Profa- nes von ihm: „Conrad, der Leutnant", das nun in zweiter Auflage (in demselben "»erläge) erschienen ist. Spitteler nennt es eine „Darstellung" und sagt: „Unter Darstellung« verstehe ich eine besondre Kunstform der Prosaerzählung mit ^gentümlichem Ziel und mit besondern Stilgesetzen, welche diesem Ziel als Mittel 'e"en. Das Ziel heißt: denkbar innigstes Miterleben der Handlung. Die Mittel M lauten: Einheit der Person, Einheit der Perspektive, Stetigkeit des zeit- 'chen Fortschrittes. Also diejenigen Gesetze, unter welchen wir in der Wirklichkeit ist führt Spitteler wiederum in vollendeter Weise durch. Es >t deshalb um so merkwürdiger, als er nur mitteilen will, was die Hauptperson ""brillant, und dies so, wie es sich in ihrer Wahrnehmung spiegelt. Der Er- ^hier darf sich nicht gestatten, irgendeinen Zeitabschnitt als angeblich unwichtig A überspringen. Solche Darstellung hat dann freilich nicht nur einen starken ^Z, sondern erweckt zuerst auch etwas Befremden. Dem? die eben angeführten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/467>, abgerufen am 06.02.2025.