Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der kleine Napoleon Sie waren ungleich in der Farbe, aber gleich in der Art -- Magdalenerich Die Gestalten noch ein wenig ungeschickt, die Bewegungen von einer kindlich¬ Während die Tante den Hut aufsetzte, schütteten sie die Herzen aus -- der Die beiden Mädchen stürzten auf das Tassenschränkchen zu, wo ganz unten Ach, was mochte dem Klang für eine wundersame Musik innewohnen, daß Die Tante seufzte, sagte grämlich: Seid nicht albern! und sank matt in den Vor vierzehn Tagen waren die Sparbüchsen geplündert worden. Der Haus¬ Das Fräulein aber hatte angefangen die Sparerei zu hassen, das ewige Spiel Und sie waren doch alle so anspruchslos! Aber der Student kostete viel Geld, Die Zwillinge steckten indessen ihre Geschäftseinnahmen in die Sparbüchsen, Wie sie so dastanden und lachten, die Köpfe ein wenig vorgeschoben, den Während sie dann vor dem Schrank hockten und ihre Sparbüchsen aufs neue Er faßte seinen linken Rockaufschlag und zog den Rock energisch heran. Er Sie gingen alle zum Wagen und stiegen ein. Die Hausfrau und die Tante Der kleine Napoleon Sie waren ungleich in der Farbe, aber gleich in der Art — Magdalenerich Die Gestalten noch ein wenig ungeschickt, die Bewegungen von einer kindlich¬ Während die Tante den Hut aufsetzte, schütteten sie die Herzen aus — der Die beiden Mädchen stürzten auf das Tassenschränkchen zu, wo ganz unten Ach, was mochte dem Klang für eine wundersame Musik innewohnen, daß Die Tante seufzte, sagte grämlich: Seid nicht albern! und sank matt in den Vor vierzehn Tagen waren die Sparbüchsen geplündert worden. Der Haus¬ Das Fräulein aber hatte angefangen die Sparerei zu hassen, das ewige Spiel Und sie waren doch alle so anspruchslos! Aber der Student kostete viel Geld, Die Zwillinge steckten indessen ihre Geschäftseinnahmen in die Sparbüchsen, Wie sie so dastanden und lachten, die Köpfe ein wenig vorgeschoben, den Während sie dann vor dem Schrank hockten und ihre Sparbüchsen aufs neue Er faßte seinen linken Rockaufschlag und zog den Rock energisch heran. Er Sie gingen alle zum Wagen und stiegen ein. Die Hausfrau und die Tante <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302034"/> <fw type="header" place="top"> Der kleine Napoleon</fw><lb/> <p xml:id="ID_120"> Sie waren ungleich in der Farbe, aber gleich in der Art — Magdalenerich<lb/> blond mit hellen Augen und einem Grübchen in der linken Wange, Helenerich braun¬<lb/> haarig und dunkeläugig und mit einem Grübchen tief im Kinn wie eingemeißelt. Beide<lb/> trugen das Haar in Zöpfen rund um den Kopf. Ihre Gesichter lachten, waren<lb/> prall, hatten rote Wangen, helle Haut, weiße Zähne, ihre Augen waren blank und<lb/> klar, mit einem Ausdruck der Tapferkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_121"> Die Gestalten noch ein wenig ungeschickt, die Bewegungen von einer kindlich¬<lb/> jungfräulichen, unbeholfnen Grazie. Sie trugen hellgrundige Kleider, große weiße<lb/> Strohhüte und schwarze Lederschuhe.</p><lb/> <p xml:id="ID_122"> Während die Tante den Hut aufsetzte, schütteten sie die Herzen aus — der<lb/> Kaninchenhandel war geglückt, sie hatten Geld eingenommen. Dabei waren Junge<lb/> vorhanden, die, wenn sie herangewachsen waren, auch wieder Geld einbringen würden.<lb/> O o o, die Zukunft war voll goldnen Schimmers.</p><lb/> <p xml:id="ID_123"> Die beiden Mädchen stürzten auf das Tassenschränkchen zu, wo ganz unten<lb/> in einer versteckten Ecke ihre Sparbüchsen standen. Mit den Sparbüchsen läuteten<lb/> sie. Der Klapperklang einer umherhüpfenden einzelnen Kupfermünze antwortete<lb/> ihnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_124"> Ach, was mochte dem Klang für eine wundersame Musik innewohnen, daß<lb/> sich die hellen und die dunkeln Augen voll schalkischem Jauchzen ineinander ver¬<lb/> fingen . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_125"> Die Tante seufzte, sagte grämlich: Seid nicht albern! und sank matt in den<lb/> einen Rohrlehnstuhl.</p><lb/> <p xml:id="ID_126"> Vor vierzehn Tagen waren die Sparbüchsen geplündert worden. Der Haus¬<lb/> herr hatte einen neuen schwarzen Rock gebraucht an Stelle des alten, der an keinem<lb/> Ende mehr paßte. Die ganze Familie hatte die Sparbüchsen ausgeleert, die ge¬<lb/> heimen Kassen, die geheimsten. Jeder hatte sein Scherflein beigesteuert voller Stolz<lb/> und Freude.</p><lb/> <p xml:id="ID_127"> Das Fräulein aber hatte angefangen die Sparerei zu hassen, das ewige Spiel<lb/> mit den Sparbüchsen, die immer wieder geleert wurden. Das Gut war klein, der<lb/> Boden gering, die Einnahmen wollten nie recht zureichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_128"> Und sie waren doch alle so anspruchslos! Aber der Student kostete viel Geld,<lb/> obgleich er auch anspruchslos war. Von einer rührenden Bescheidenheit waren sie<lb/> alle, von einer widerwärtigen, nichtswürdigen, ekelhaften Bescheidenheit. . .</p><lb/> <p xml:id="ID_129"> Die Zwillinge steckten indessen ihre Geschäftseinnahmen in die Sparbüchsen,<lb/> sahen einander an mit entzückenden, dnmmschlauen Augen, läuteten mit den Büchsen<lb/> und brachen bei dem veränderten Klang in triumphierendes Freudenlachen aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_130"> Wie sie so dastanden und lachten, die Köpfe ein wenig vorgeschoben, den<lb/> Mund so weit aufgerissen, daß die schmalen Kinnladen zu sehen waren, die großen<lb/> weißen Hüte ein wenig verrutscht, die Kleider ein klein wenig spröde und ungeschickt, da<lb/> deckte die Tante die Hände über die Ohren und sagte grämlich und verzweifelt:<lb/> Seid nicht albern! Laßt das dumme Lachen!</p><lb/> <p xml:id="ID_131"> Während sie dann vor dem Schrank hockten und ihre Sparbüchsen aufs neue<lb/> darin unterbrachten, kam der Student herein und meldete, daß angespannt sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_132"> Er faßte seinen linken Rockaufschlag und zog den Rock energisch heran. Er<lb/> sah immer aus, als argwöhne er, der Rock wolle ihm davonlaufen. Er packte den<lb/> Rockaufschlag, als ob er einen Hund beim Nacken kriege.</p><lb/> <p xml:id="ID_133" next="#ID_134"> Sie gingen alle zum Wagen und stiegen ein. Die Hausfrau und die Tante<lb/> kamen in den Fond, der Hausherr und der Student saßen vorn, ein Knecht wurde<lb/> nicht mitgenommen. Wie die Jungen turnten die Zwillinge auf den harten Rücksitz,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Der kleine Napoleon
Sie waren ungleich in der Farbe, aber gleich in der Art — Magdalenerich
blond mit hellen Augen und einem Grübchen in der linken Wange, Helenerich braun¬
haarig und dunkeläugig und mit einem Grübchen tief im Kinn wie eingemeißelt. Beide
trugen das Haar in Zöpfen rund um den Kopf. Ihre Gesichter lachten, waren
prall, hatten rote Wangen, helle Haut, weiße Zähne, ihre Augen waren blank und
klar, mit einem Ausdruck der Tapferkeit.
Die Gestalten noch ein wenig ungeschickt, die Bewegungen von einer kindlich¬
jungfräulichen, unbeholfnen Grazie. Sie trugen hellgrundige Kleider, große weiße
Strohhüte und schwarze Lederschuhe.
Während die Tante den Hut aufsetzte, schütteten sie die Herzen aus — der
Kaninchenhandel war geglückt, sie hatten Geld eingenommen. Dabei waren Junge
vorhanden, die, wenn sie herangewachsen waren, auch wieder Geld einbringen würden.
O o o, die Zukunft war voll goldnen Schimmers.
Die beiden Mädchen stürzten auf das Tassenschränkchen zu, wo ganz unten
in einer versteckten Ecke ihre Sparbüchsen standen. Mit den Sparbüchsen läuteten
sie. Der Klapperklang einer umherhüpfenden einzelnen Kupfermünze antwortete
ihnen.
Ach, was mochte dem Klang für eine wundersame Musik innewohnen, daß
sich die hellen und die dunkeln Augen voll schalkischem Jauchzen ineinander ver¬
fingen . . .
Die Tante seufzte, sagte grämlich: Seid nicht albern! und sank matt in den
einen Rohrlehnstuhl.
Vor vierzehn Tagen waren die Sparbüchsen geplündert worden. Der Haus¬
herr hatte einen neuen schwarzen Rock gebraucht an Stelle des alten, der an keinem
Ende mehr paßte. Die ganze Familie hatte die Sparbüchsen ausgeleert, die ge¬
heimen Kassen, die geheimsten. Jeder hatte sein Scherflein beigesteuert voller Stolz
und Freude.
Das Fräulein aber hatte angefangen die Sparerei zu hassen, das ewige Spiel
mit den Sparbüchsen, die immer wieder geleert wurden. Das Gut war klein, der
Boden gering, die Einnahmen wollten nie recht zureichen.
Und sie waren doch alle so anspruchslos! Aber der Student kostete viel Geld,
obgleich er auch anspruchslos war. Von einer rührenden Bescheidenheit waren sie
alle, von einer widerwärtigen, nichtswürdigen, ekelhaften Bescheidenheit. . .
Die Zwillinge steckten indessen ihre Geschäftseinnahmen in die Sparbüchsen,
sahen einander an mit entzückenden, dnmmschlauen Augen, läuteten mit den Büchsen
und brachen bei dem veränderten Klang in triumphierendes Freudenlachen aus.
Wie sie so dastanden und lachten, die Köpfe ein wenig vorgeschoben, den
Mund so weit aufgerissen, daß die schmalen Kinnladen zu sehen waren, die großen
weißen Hüte ein wenig verrutscht, die Kleider ein klein wenig spröde und ungeschickt, da
deckte die Tante die Hände über die Ohren und sagte grämlich und verzweifelt:
Seid nicht albern! Laßt das dumme Lachen!
Während sie dann vor dem Schrank hockten und ihre Sparbüchsen aufs neue
darin unterbrachten, kam der Student herein und meldete, daß angespannt sei.
Er faßte seinen linken Rockaufschlag und zog den Rock energisch heran. Er
sah immer aus, als argwöhne er, der Rock wolle ihm davonlaufen. Er packte den
Rockaufschlag, als ob er einen Hund beim Nacken kriege.
Sie gingen alle zum Wagen und stiegen ein. Die Hausfrau und die Tante
kamen in den Fond, der Hausherr und der Student saßen vorn, ein Knecht wurde
nicht mitgenommen. Wie die Jungen turnten die Zwillinge auf den harten Rücksitz,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |