Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.![]() Der kleine Napoleon Marthe Renate Fischer Novelle von MM> s gefiel der Tante nicht mehr. Sie wollte eine Veränderung haben Sie saß in ihrer großen, hellen, hübschen Stube mit der fein- Das war fürchterlich! Die Tante legte die weißen, magern Hände, die Damenhände mit den Erb¬ Dann hob sie die Augen und sah in der Stube umher. Lieb und gemütlich Ein langes altmodisches Sofa mit großen, bequemen Rohrlehnstühlen stand Vor den Tassen und Gläsern standen ein paar Nippes, fingerhohe, derbe, Mit diesem Ausdruck der Rücksichtslosigkeit, des skrupelloser Eigenwillens hatte Die Tante atmete tief auf. erhob sich, ging in das Kabinett neben der Stube Während sie noch vor dem schmalen Spiegel zwischen den Fenstern stand, ![]() Der kleine Napoleon Marthe Renate Fischer Novelle von MM> s gefiel der Tante nicht mehr. Sie wollte eine Veränderung haben Sie saß in ihrer großen, hellen, hübschen Stube mit der fein- Das war fürchterlich! Die Tante legte die weißen, magern Hände, die Damenhände mit den Erb¬ Dann hob sie die Augen und sah in der Stube umher. Lieb und gemütlich Ein langes altmodisches Sofa mit großen, bequemen Rohrlehnstühlen stand Vor den Tassen und Gläsern standen ein paar Nippes, fingerhohe, derbe, Mit diesem Ausdruck der Rücksichtslosigkeit, des skrupelloser Eigenwillens hatte Die Tante atmete tief auf. erhob sich, ging in das Kabinett neben der Stube Während sie noch vor dem schmalen Spiegel zwischen den Fenstern stand, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302033"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_301987/figures/grenzboten_341885_301987_302033_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der kleine Napoleon<lb/><note type="byline"> Marthe Renate Fischer</note> Novelle von</head><lb/> <p xml:id="ID_110"> MM> s gefiel der Tante nicht mehr. Sie wollte eine Veränderung haben<lb/> und sehnte sich nach einer reichern Atmosphäre, einer geistig größern.<lb/> Sie war ja nun auch zwölf Jahre hier bei Gundermanns; das<lb/> war reichlich lange für eine, die zahlte, was sie verzehrte.</p><lb/> <p xml:id="ID_111"> Sie saß in ihrer großen, hellen, hübschen Stube mit der fein-<lb/> ! blumigen Tapete, der ehemals Guudermannschen Putzstube. Um<lb/> fortzukommen, hatte sie seit einiger Zeit angefangen, Ausstellungen zu machen. Aber<lb/> sie hielten sie und ließen sie nicht ziehen. Es wurden ihr Extrabissen bereitet.<lb/> Als sie ihre Stube bemängelt hatte, war ihr die Putzstube eingeräumt worden.<lb/> Und alles taten sie mit strahlender Liebe. Denn der Gedanke kam ihnen nicht,<lb/> daß die Tante fort verlangen könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_112"> Das war fürchterlich!</p><lb/> <p xml:id="ID_113"> Die Tante legte die weißen, magern Hände, die Damenhände mit den Erb¬<lb/> ringen, vor ihr kleines, feines Altfränleingesicht und weinte bitterlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_114"> Dann hob sie die Augen und sah in der Stube umher. Lieb und gemütlich<lb/> sah es hier aus, nach einer eignen Persönlichkeit, einer vornehm empfindenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_115"> Ein langes altmodisches Sofa mit großen, bequemen Rohrlehnstühlen stand<lb/> auf dem Teppich an der Breitseite der Wand. An den beiden schmälern Wand¬<lb/> flächen hatten die beiden Schränke Platz gefunden aus blitzenden weißen, dicken<lb/> Glastafeln, die durch schöne braundunkle, blaukpolierte Holzleisten verbunden waren.<lb/> Der eine dieser stolzschönen Schränke enthielt die Bibliothek der Tante, in dem<lb/> andern war eine Sammlung einzig feiner, bunter, alter Tassen und Gläser zierlich<lb/> aufgestellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_116"> Vor den Tassen und Gläsern standen ein paar Nippes, fingerhohe, derbe,<lb/> blanke Püppchen von Porzellan in kräftigen Farben — ein Postillon im kornblumen¬<lb/> blauen Frack, eine reizend hübsche, schönfarbige Ritterfrau in der Schellentracht,<lb/> und dann der kleine Napoleon mit den gekreuzten Armen. Das Püppchen trug<lb/> schwarze hohe Stiefel, weiße Beinkleider und einen dunkelgrünen, frackartigeu Waffen¬<lb/> rock mit Aufschlägen. Das Gesicht mit stechenden Angen und festgeschlossenen Munde<lb/> war ungemein ähnlich und hatte einen Ausdruck kalter Entschlossenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_117"> Mit diesem Ausdruck der Rücksichtslosigkeit, des skrupelloser Eigenwillens hatte<lb/> der kleine Napoleon das Fräulein aufgestachelt und hatte es unruhig und unzu¬<lb/> frieden gemacht. Die starke Frühlingsluft war dazu gekommen. Im Frühjahr hatte<lb/> das Sehnsuchtsleiden angefangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_118"> Die Tante atmete tief auf. erhob sich, ging in das Kabinett neben der Stube<lb/> und zog sich an. Im schwarzen Seidenkleid kam sie wieder. Sie war fein von<lb/> Figur, mit kurzen, leicht gepufften, graublonden Scheiteln.</p><lb/> <p xml:id="ID_119"> Während sie noch vor dem schmalen Spiegel zwischen den Fenstern stand,<lb/> tobten die Zwillinge durch den Vorflur heran und stürzten in die Stube, zwei<lb/> große Mädchen von siebzehn Jahren.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
[Abbildung]
Der kleine Napoleon
Marthe Renate Fischer Novelle von
MM> s gefiel der Tante nicht mehr. Sie wollte eine Veränderung haben
und sehnte sich nach einer reichern Atmosphäre, einer geistig größern.
Sie war ja nun auch zwölf Jahre hier bei Gundermanns; das
war reichlich lange für eine, die zahlte, was sie verzehrte.
Sie saß in ihrer großen, hellen, hübschen Stube mit der fein-
! blumigen Tapete, der ehemals Guudermannschen Putzstube. Um
fortzukommen, hatte sie seit einiger Zeit angefangen, Ausstellungen zu machen. Aber
sie hielten sie und ließen sie nicht ziehen. Es wurden ihr Extrabissen bereitet.
Als sie ihre Stube bemängelt hatte, war ihr die Putzstube eingeräumt worden.
Und alles taten sie mit strahlender Liebe. Denn der Gedanke kam ihnen nicht,
daß die Tante fort verlangen könne.
Das war fürchterlich!
Die Tante legte die weißen, magern Hände, die Damenhände mit den Erb¬
ringen, vor ihr kleines, feines Altfränleingesicht und weinte bitterlich.
Dann hob sie die Augen und sah in der Stube umher. Lieb und gemütlich
sah es hier aus, nach einer eignen Persönlichkeit, einer vornehm empfindenden.
Ein langes altmodisches Sofa mit großen, bequemen Rohrlehnstühlen stand
auf dem Teppich an der Breitseite der Wand. An den beiden schmälern Wand¬
flächen hatten die beiden Schränke Platz gefunden aus blitzenden weißen, dicken
Glastafeln, die durch schöne braundunkle, blaukpolierte Holzleisten verbunden waren.
Der eine dieser stolzschönen Schränke enthielt die Bibliothek der Tante, in dem
andern war eine Sammlung einzig feiner, bunter, alter Tassen und Gläser zierlich
aufgestellt.
Vor den Tassen und Gläsern standen ein paar Nippes, fingerhohe, derbe,
blanke Püppchen von Porzellan in kräftigen Farben — ein Postillon im kornblumen¬
blauen Frack, eine reizend hübsche, schönfarbige Ritterfrau in der Schellentracht,
und dann der kleine Napoleon mit den gekreuzten Armen. Das Püppchen trug
schwarze hohe Stiefel, weiße Beinkleider und einen dunkelgrünen, frackartigeu Waffen¬
rock mit Aufschlägen. Das Gesicht mit stechenden Angen und festgeschlossenen Munde
war ungemein ähnlich und hatte einen Ausdruck kalter Entschlossenheit.
Mit diesem Ausdruck der Rücksichtslosigkeit, des skrupelloser Eigenwillens hatte
der kleine Napoleon das Fräulein aufgestachelt und hatte es unruhig und unzu¬
frieden gemacht. Die starke Frühlingsluft war dazu gekommen. Im Frühjahr hatte
das Sehnsuchtsleiden angefangen.
Die Tante atmete tief auf. erhob sich, ging in das Kabinett neben der Stube
und zog sich an. Im schwarzen Seidenkleid kam sie wieder. Sie war fein von
Figur, mit kurzen, leicht gepufften, graublonden Scheiteln.
Während sie noch vor dem schmalen Spiegel zwischen den Fenstern stand,
tobten die Zwillinge durch den Vorflur heran und stürzten in die Stube, zwei
große Mädchen von siebzehn Jahren.
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