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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Ssamarkand

Loch zubringen in Erwartung dessen, daß ein andres, jetzt von einem schnarchenden
Offizier besetztes Zimmer uns freigemacht wurde. Der Besitzer unsrer Frcmzus-
skija^Nomerä, ein kleiner Jude, versprach in seiner primitiven Morgenerscheinung
alles und rühmte seine Beziehungen und seine Küche. Da sich selbst der Teufel
in der Not mit Fliegen begnügen soll, beugten auch wir uns dem Schicksal
und gingen sodann im heißersehnten Bade der zweiten Enttäuschung in bezug
auf Komfort entgegen. Aber auf der Post gabs Briefe von Hause -- große
Freude --! Dann hieß es, wieder an die Aufbesserung unsrer Finanzen durch
Barmittel denken; beinahe wäre es nicht geglückt, denn es war russische Butter¬
woche, und mit den unmöglichsten Feiertagen nimmts der Russe sehr genau.
Glücklicherweise stießen wir in dein Flur des großartig angelegten Gebäudes
der russisch-chinesischen Bank auf einen liebenswürdigen Beamten aus Balten-
land, der einen zweiten zur Auszahlung unbedingt notwendigen, darüber ziemlich
mißvergnügten Kollegen herbeiholen ließ und uns einstweilen das Berliner
Tageblatt vorlegte.

Inzwischen hatte sich der Militärgouverneur des Gebiets Ssamarkand, der
alte Generalleutnant Mjedynsti, unsertwegen unnötig aufgeregt, die Polizei ge¬
schickt und unsern Hotelier ängstlich gemacht. Unsre Siebensachen fanden wir
trotzdem durch die grobknochige, blatternarbige, blondgezvpfte und langgestiefelte
Akulina und das gutmütige männliche Faktotum, einen zur Ableistung seiner
Dienstzeit hierher verpflanzten und hängen gebliebner Weißrussen in Juchten-
stiefeln und zweifelhaften Kleidern, in ein einigermaßen brauchbares Zimmer
umgesetzt. Da stellten sich auch die andern ein. um die Glanznummer der Küche,
die Kasatschja Bitki *), als Mittagsmahl einzunehmen, denn in den Warschauer
Nummern, ihrem Unterkommen, kann man elend verhungern, und um im Zivil¬
kasino zu speisen, muß man dort eingeführt werden und unnötig viel Zeit
vergeuden. Aber den Gebietschef mußten wir erst von unsrer Ungefährlichkeit
überzeugen. Ein empfehlendes Schreiben von Exzellenz U. verschaffte uns wohl¬
wollende Aufnahme. '

Der General war etwas umständlich langweilig und schwer zu verstehn
u"d schweifte stets vom Thema unsrer Wünsche ab. Frau M. die sich die
durch Fremdenbesuch gebotne Abwechslung nicht entgehn lassen wollte, machte
dagegen durch ihre mit slawischer Lebhaftigkeit in elegantem Französisch geführte
Unterhaltung über alles mögliche die bei ihr zugebrachte halbe Stunde zu einer
durchaus interessanten und ließ uns für den ersten oder zweiten Abend unsers
Aufenthalts das beste hoffen. Der alte Herr ist aber noch heute Gegenbesuch
""d Einladung schuldig geblieben, wohl weil er sich damals schon mit den Ab¬
schiedsgedanken trug, die er kurz darauf verwirklicht hat. Immerhin hat er alle
"usre nicht ganz unbescheidnen Wünsche erfüllt und meinte, als :es ihm die
"ach unsern Bestimmungen begründete Bitte um Verlängerung der Glltlgketts-



") eine Art gehacktes Beefsteak mit mehreren Zutaten.
Ssamarkand

Loch zubringen in Erwartung dessen, daß ein andres, jetzt von einem schnarchenden
Offizier besetztes Zimmer uns freigemacht wurde. Der Besitzer unsrer Frcmzus-
skija^Nomerä, ein kleiner Jude, versprach in seiner primitiven Morgenerscheinung
alles und rühmte seine Beziehungen und seine Küche. Da sich selbst der Teufel
in der Not mit Fliegen begnügen soll, beugten auch wir uns dem Schicksal
und gingen sodann im heißersehnten Bade der zweiten Enttäuschung in bezug
auf Komfort entgegen. Aber auf der Post gabs Briefe von Hause — große
Freude —! Dann hieß es, wieder an die Aufbesserung unsrer Finanzen durch
Barmittel denken; beinahe wäre es nicht geglückt, denn es war russische Butter¬
woche, und mit den unmöglichsten Feiertagen nimmts der Russe sehr genau.
Glücklicherweise stießen wir in dein Flur des großartig angelegten Gebäudes
der russisch-chinesischen Bank auf einen liebenswürdigen Beamten aus Balten-
land, der einen zweiten zur Auszahlung unbedingt notwendigen, darüber ziemlich
mißvergnügten Kollegen herbeiholen ließ und uns einstweilen das Berliner
Tageblatt vorlegte.

Inzwischen hatte sich der Militärgouverneur des Gebiets Ssamarkand, der
alte Generalleutnant Mjedynsti, unsertwegen unnötig aufgeregt, die Polizei ge¬
schickt und unsern Hotelier ängstlich gemacht. Unsre Siebensachen fanden wir
trotzdem durch die grobknochige, blatternarbige, blondgezvpfte und langgestiefelte
Akulina und das gutmütige männliche Faktotum, einen zur Ableistung seiner
Dienstzeit hierher verpflanzten und hängen gebliebner Weißrussen in Juchten-
stiefeln und zweifelhaften Kleidern, in ein einigermaßen brauchbares Zimmer
umgesetzt. Da stellten sich auch die andern ein. um die Glanznummer der Küche,
die Kasatschja Bitki *), als Mittagsmahl einzunehmen, denn in den Warschauer
Nummern, ihrem Unterkommen, kann man elend verhungern, und um im Zivil¬
kasino zu speisen, muß man dort eingeführt werden und unnötig viel Zeit
vergeuden. Aber den Gebietschef mußten wir erst von unsrer Ungefährlichkeit
überzeugen. Ein empfehlendes Schreiben von Exzellenz U. verschaffte uns wohl¬
wollende Aufnahme. '

Der General war etwas umständlich langweilig und schwer zu verstehn
u»d schweifte stets vom Thema unsrer Wünsche ab. Frau M. die sich die
durch Fremdenbesuch gebotne Abwechslung nicht entgehn lassen wollte, machte
dagegen durch ihre mit slawischer Lebhaftigkeit in elegantem Französisch geführte
Unterhaltung über alles mögliche die bei ihr zugebrachte halbe Stunde zu einer
durchaus interessanten und ließ uns für den ersten oder zweiten Abend unsers
Aufenthalts das beste hoffen. Der alte Herr ist aber noch heute Gegenbesuch
""d Einladung schuldig geblieben, wohl weil er sich damals schon mit den Ab¬
schiedsgedanken trug, die er kurz darauf verwirklicht hat. Immerhin hat er alle
"usre nicht ganz unbescheidnen Wünsche erfüllt und meinte, als :es ihm die
»ach unsern Bestimmungen begründete Bitte um Verlängerung der Glltlgketts-



") eine Art gehacktes Beefsteak mit mehreren Zutaten.
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[0423] Ssamarkand Loch zubringen in Erwartung dessen, daß ein andres, jetzt von einem schnarchenden Offizier besetztes Zimmer uns freigemacht wurde. Der Besitzer unsrer Frcmzus- skija^Nomerä, ein kleiner Jude, versprach in seiner primitiven Morgenerscheinung alles und rühmte seine Beziehungen und seine Küche. Da sich selbst der Teufel in der Not mit Fliegen begnügen soll, beugten auch wir uns dem Schicksal und gingen sodann im heißersehnten Bade der zweiten Enttäuschung in bezug auf Komfort entgegen. Aber auf der Post gabs Briefe von Hause — große Freude —! Dann hieß es, wieder an die Aufbesserung unsrer Finanzen durch Barmittel denken; beinahe wäre es nicht geglückt, denn es war russische Butter¬ woche, und mit den unmöglichsten Feiertagen nimmts der Russe sehr genau. Glücklicherweise stießen wir in dein Flur des großartig angelegten Gebäudes der russisch-chinesischen Bank auf einen liebenswürdigen Beamten aus Balten- land, der einen zweiten zur Auszahlung unbedingt notwendigen, darüber ziemlich mißvergnügten Kollegen herbeiholen ließ und uns einstweilen das Berliner Tageblatt vorlegte. Inzwischen hatte sich der Militärgouverneur des Gebiets Ssamarkand, der alte Generalleutnant Mjedynsti, unsertwegen unnötig aufgeregt, die Polizei ge¬ schickt und unsern Hotelier ängstlich gemacht. Unsre Siebensachen fanden wir trotzdem durch die grobknochige, blatternarbige, blondgezvpfte und langgestiefelte Akulina und das gutmütige männliche Faktotum, einen zur Ableistung seiner Dienstzeit hierher verpflanzten und hängen gebliebner Weißrussen in Juchten- stiefeln und zweifelhaften Kleidern, in ein einigermaßen brauchbares Zimmer umgesetzt. Da stellten sich auch die andern ein. um die Glanznummer der Küche, die Kasatschja Bitki *), als Mittagsmahl einzunehmen, denn in den Warschauer Nummern, ihrem Unterkommen, kann man elend verhungern, und um im Zivil¬ kasino zu speisen, muß man dort eingeführt werden und unnötig viel Zeit vergeuden. Aber den Gebietschef mußten wir erst von unsrer Ungefährlichkeit überzeugen. Ein empfehlendes Schreiben von Exzellenz U. verschaffte uns wohl¬ wollende Aufnahme. ' Der General war etwas umständlich langweilig und schwer zu verstehn u»d schweifte stets vom Thema unsrer Wünsche ab. Frau M. die sich die durch Fremdenbesuch gebotne Abwechslung nicht entgehn lassen wollte, machte dagegen durch ihre mit slawischer Lebhaftigkeit in elegantem Französisch geführte Unterhaltung über alles mögliche die bei ihr zugebrachte halbe Stunde zu einer durchaus interessanten und ließ uns für den ersten oder zweiten Abend unsers Aufenthalts das beste hoffen. Der alte Herr ist aber noch heute Gegenbesuch ""d Einladung schuldig geblieben, wohl weil er sich damals schon mit den Ab¬ schiedsgedanken trug, die er kurz darauf verwirklicht hat. Immerhin hat er alle "usre nicht ganz unbescheidnen Wünsche erfüllt und meinte, als :es ihm die »ach unsern Bestimmungen begründete Bitte um Verlängerung der Glltlgketts- ") eine Art gehacktes Beefsteak mit mehreren Zutaten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/423>, abgerufen am 06.02.2025.