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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Der norddeutsche Lloyd

Genua der Ausgangshafen nach Alexandria, und von hier aus wurde 1891,
mit besondrer Rücksicht auf die starke italienische Auswanderung, die neue Linie
über Neapel nach Newyork eingerichtet. Die Linien der Reichspostdampfer
rentierten in den ersten Jahren nicht genügend, weil der Passagierverkehr noch
nicht stark genug und für Frachten nicht genug Raum war. Aber im März
1890 beschloß der Lloyd die Vergrößerung seiner Hafenanlagen in Bremer-
haven und fertigte bis zu ihrer Vollendung (im Jahre 1898) seine Schnell¬
dampfer nach einem Vertrage mit der oldenburgischen Regierung von Norden-
Harn ab; im Jahre 1891 wurde, zuerst im Verkehr mit Nordamerika, die
"deutsche Seepost" eingerichtet, indem die bei der Abfahrt angenommnen Post¬
sachen von deutschen und amerikanischen Postbeamten schon während der Fahrt
bearbeitet und für die sofortige Versendung weiter ins Land hinein fertig ge¬
macht wurden. Endlich veranlaßte der Lloyd die Fixierung bestimmter Schiff¬
fahrtslinien zwischen dem Kanal und Newyork für Hin- und Rückfahrt, um
Zusammenstöße auf See zu vermeiden und so die Sicherheit des Betriebs
möglichst zu erhöhen. Indem Kaiser Wilhelm der Zweite am 22. April 1890
zum erstenmal die Kaiserstandarte auf einem Handelsschiff, dem Schnelldampfer
Lahn, zur Fahrt von Bremerhaven nach Wilhelmshaven bisher ließ, begründete
er sein ganz persönliches Verhältnis zum Lloyd und zu Bremen. Das deutsche
Kaisertum, die alten beschränkten Bahnen der Binnenpolitik verlassend, zog auf
die See hinaus.

Als Johann Georg Lohmann am 9. Februar 1892 plötzlich starb, folgte
ihm als Direktor (seit 1902 als Generaldirektor) der bisherige Konsulent des
Lloyd, Dr. Heinrich Wiegand; an die Spitze des Aufsichtsrats trat Georg
Plate. Die Leitung dieser beiden Männer hat den Lloyd auf seine stolzeste
Höhe gehoben, aus einer Erwerbsgesellschaft "einen außerordentlich wichtigen
nationalpolitischen Faktor" gemacht.

Zunächst wurden die Linien vermehrt und ausgestaltet. Nach dem Ver¬
trage von 1890 verdoppelte der Lloyd die Fahrten seiner Reichspostdampfer
nach Ostasien; er richtete besondre Frachtlinien dorthin, nach Australien, nach
Newyork (die Rolandlinie) und nach Galveston in Texas (1900) statt Neu-
Orleans ein, brachte einen guten Teil der ostasiatischen Küstenschiffahrt in seine
Hand durch Erwerbung der Schiffe zweier englischen Gesellschaften 1899, richtete
eine Linie zwischen Japan und Australien über Hongkong ein, verbesserte die
Verbindung mit Südamerika, besonders durch einen Vertrag mit der Gesellschaft
"Hansa". Andrerseits überließ er seine englischen Linien 1397 der "Argo"
und zog die besondre Mittelmeerlinie und die Samoazweiglinie ein, aber jene
nur, weil er seine Reichspostdampfer nach Ostasien und Australien nun auch
Neapel anlaufen ließ, diese, weil er sie durch die neue Zweiglinie Singapore-
Batavia-Neu-Guinea ersetzte. Wenn er somit für die fernsten Fernen sorgte,
entwickelte er zugleich in der nächsten Nähe den Verkehr mit den Nordsee¬
bädern, von denen er bisher nur Norderney und Helgoland hatte anlaufen


Der norddeutsche Lloyd

Genua der Ausgangshafen nach Alexandria, und von hier aus wurde 1891,
mit besondrer Rücksicht auf die starke italienische Auswanderung, die neue Linie
über Neapel nach Newyork eingerichtet. Die Linien der Reichspostdampfer
rentierten in den ersten Jahren nicht genügend, weil der Passagierverkehr noch
nicht stark genug und für Frachten nicht genug Raum war. Aber im März
1890 beschloß der Lloyd die Vergrößerung seiner Hafenanlagen in Bremer-
haven und fertigte bis zu ihrer Vollendung (im Jahre 1898) seine Schnell¬
dampfer nach einem Vertrage mit der oldenburgischen Regierung von Norden-
Harn ab; im Jahre 1891 wurde, zuerst im Verkehr mit Nordamerika, die
„deutsche Seepost" eingerichtet, indem die bei der Abfahrt angenommnen Post¬
sachen von deutschen und amerikanischen Postbeamten schon während der Fahrt
bearbeitet und für die sofortige Versendung weiter ins Land hinein fertig ge¬
macht wurden. Endlich veranlaßte der Lloyd die Fixierung bestimmter Schiff¬
fahrtslinien zwischen dem Kanal und Newyork für Hin- und Rückfahrt, um
Zusammenstöße auf See zu vermeiden und so die Sicherheit des Betriebs
möglichst zu erhöhen. Indem Kaiser Wilhelm der Zweite am 22. April 1890
zum erstenmal die Kaiserstandarte auf einem Handelsschiff, dem Schnelldampfer
Lahn, zur Fahrt von Bremerhaven nach Wilhelmshaven bisher ließ, begründete
er sein ganz persönliches Verhältnis zum Lloyd und zu Bremen. Das deutsche
Kaisertum, die alten beschränkten Bahnen der Binnenpolitik verlassend, zog auf
die See hinaus.

Als Johann Georg Lohmann am 9. Februar 1892 plötzlich starb, folgte
ihm als Direktor (seit 1902 als Generaldirektor) der bisherige Konsulent des
Lloyd, Dr. Heinrich Wiegand; an die Spitze des Aufsichtsrats trat Georg
Plate. Die Leitung dieser beiden Männer hat den Lloyd auf seine stolzeste
Höhe gehoben, aus einer Erwerbsgesellschaft „einen außerordentlich wichtigen
nationalpolitischen Faktor" gemacht.

Zunächst wurden die Linien vermehrt und ausgestaltet. Nach dem Ver¬
trage von 1890 verdoppelte der Lloyd die Fahrten seiner Reichspostdampfer
nach Ostasien; er richtete besondre Frachtlinien dorthin, nach Australien, nach
Newyork (die Rolandlinie) und nach Galveston in Texas (1900) statt Neu-
Orleans ein, brachte einen guten Teil der ostasiatischen Küstenschiffahrt in seine
Hand durch Erwerbung der Schiffe zweier englischen Gesellschaften 1899, richtete
eine Linie zwischen Japan und Australien über Hongkong ein, verbesserte die
Verbindung mit Südamerika, besonders durch einen Vertrag mit der Gesellschaft
„Hansa". Andrerseits überließ er seine englischen Linien 1397 der „Argo"
und zog die besondre Mittelmeerlinie und die Samoazweiglinie ein, aber jene
nur, weil er seine Reichspostdampfer nach Ostasien und Australien nun auch
Neapel anlaufen ließ, diese, weil er sie durch die neue Zweiglinie Singapore-
Batavia-Neu-Guinea ersetzte. Wenn er somit für die fernsten Fernen sorgte,
entwickelte er zugleich in der nächsten Nähe den Verkehr mit den Nordsee¬
bädern, von denen er bisher nur Norderney und Helgoland hatte anlaufen


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[0414] Der norddeutsche Lloyd Genua der Ausgangshafen nach Alexandria, und von hier aus wurde 1891, mit besondrer Rücksicht auf die starke italienische Auswanderung, die neue Linie über Neapel nach Newyork eingerichtet. Die Linien der Reichspostdampfer rentierten in den ersten Jahren nicht genügend, weil der Passagierverkehr noch nicht stark genug und für Frachten nicht genug Raum war. Aber im März 1890 beschloß der Lloyd die Vergrößerung seiner Hafenanlagen in Bremer- haven und fertigte bis zu ihrer Vollendung (im Jahre 1898) seine Schnell¬ dampfer nach einem Vertrage mit der oldenburgischen Regierung von Norden- Harn ab; im Jahre 1891 wurde, zuerst im Verkehr mit Nordamerika, die „deutsche Seepost" eingerichtet, indem die bei der Abfahrt angenommnen Post¬ sachen von deutschen und amerikanischen Postbeamten schon während der Fahrt bearbeitet und für die sofortige Versendung weiter ins Land hinein fertig ge¬ macht wurden. Endlich veranlaßte der Lloyd die Fixierung bestimmter Schiff¬ fahrtslinien zwischen dem Kanal und Newyork für Hin- und Rückfahrt, um Zusammenstöße auf See zu vermeiden und so die Sicherheit des Betriebs möglichst zu erhöhen. Indem Kaiser Wilhelm der Zweite am 22. April 1890 zum erstenmal die Kaiserstandarte auf einem Handelsschiff, dem Schnelldampfer Lahn, zur Fahrt von Bremerhaven nach Wilhelmshaven bisher ließ, begründete er sein ganz persönliches Verhältnis zum Lloyd und zu Bremen. Das deutsche Kaisertum, die alten beschränkten Bahnen der Binnenpolitik verlassend, zog auf die See hinaus. Als Johann Georg Lohmann am 9. Februar 1892 plötzlich starb, folgte ihm als Direktor (seit 1902 als Generaldirektor) der bisherige Konsulent des Lloyd, Dr. Heinrich Wiegand; an die Spitze des Aufsichtsrats trat Georg Plate. Die Leitung dieser beiden Männer hat den Lloyd auf seine stolzeste Höhe gehoben, aus einer Erwerbsgesellschaft „einen außerordentlich wichtigen nationalpolitischen Faktor" gemacht. Zunächst wurden die Linien vermehrt und ausgestaltet. Nach dem Ver¬ trage von 1890 verdoppelte der Lloyd die Fahrten seiner Reichspostdampfer nach Ostasien; er richtete besondre Frachtlinien dorthin, nach Australien, nach Newyork (die Rolandlinie) und nach Galveston in Texas (1900) statt Neu- Orleans ein, brachte einen guten Teil der ostasiatischen Küstenschiffahrt in seine Hand durch Erwerbung der Schiffe zweier englischen Gesellschaften 1899, richtete eine Linie zwischen Japan und Australien über Hongkong ein, verbesserte die Verbindung mit Südamerika, besonders durch einen Vertrag mit der Gesellschaft „Hansa". Andrerseits überließ er seine englischen Linien 1397 der „Argo" und zog die besondre Mittelmeerlinie und die Samoazweiglinie ein, aber jene nur, weil er seine Reichspostdampfer nach Ostasien und Australien nun auch Neapel anlaufen ließ, diese, weil er sie durch die neue Zweiglinie Singapore- Batavia-Neu-Guinea ersetzte. Wenn er somit für die fernsten Fernen sorgte, entwickelte er zugleich in der nächsten Nähe den Verkehr mit den Nordsee¬ bädern, von denen er bisher nur Norderney und Helgoland hatte anlaufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/414>, abgerufen am 06.02.2025.