Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der norddeutsche Tloyd wenig eine Reichsstadt wie etwa Magdeburg, mit dem zusammen es seinen Der norddeutsche Tloyd wenig eine Reichsstadt wie etwa Magdeburg, mit dem zusammen es seinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0408" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302396"/> <fw type="header" place="top"> Der norddeutsche Tloyd</fw><lb/> <p xml:id="ID_1732" prev="#ID_1731" next="#ID_1733"> wenig eine Reichsstadt wie etwa Magdeburg, mit dem zusammen es seinen<lb/> Protestantismus, der auch der Herrschaft seines Erzbischofs nur tatsächlich ein<lb/> Ende machte, gegen Karl den Fünften tapfer behauptete und 1547 eine schwere<lb/> Belagerung aushielt. Erst 1654 wurde es als Reichsstadt anerkannt, aber<lb/> beständig bedrängt von Schweden, dem im Westfälischen Frieden 1648 die alten<lb/> geistlichen Gebiete von Bremen und Werden zugefallen waren, und es behauptete<lb/> seine Freiheit 1668 nur mit Hilfe der benachbarten niedersächsischen Fürsten<lb/> und Brandenburgs. Aber indem jene Gebiete 1719 an Hannover übergingen,<lb/> wurde die Lage der Stadt kaum verbessert; sie war jetzt ganz von welfischen<lb/> und oldenburgischen Gebiet umschlossen, und nach der kurzen Episode der<lb/> Napoleonischen Herrschaft (1810 bis 1813), die sie aufs schwerste schädigte,<lb/> geriet sie in einen langen Konkurrenzkampf mit Hannover, das sich zur deutschen<lb/> Vormacht an der Nordsee berufen wühnte. Aber in diesem kleinen, isolierten,<lb/> ganz auf sich selbst gestellten, zur See absolut macht- und schutzlosen Stadt¬<lb/> staate — der Deutsche Bund bedeutete ja fast noch weniger als das alte<lb/> Reich — lebte eine starke Seele, wie in so mancher andern alten deutschen<lb/> Stadt, und die alte, sonst längst überwundne Stadtwirtschaft hat hier noch Großes<lb/> geleistet, nicht nur für sich, sondern für ganz Deutschland, für das sie Aufgaben<lb/> und Pflichten übernahm, die die deutsche Gesamtheit nicht erfüllte. Bremen ist<lb/> noch heute sehr viel weniger Großstadt als das stolze, prächtige, laute, von<lb/> tosenden Leben erfüllte Hamburg, von dem es schon seit dem siebzehnten Jahr¬<lb/> hundert überflügelt wurde, ruhiger, behaglicher, schlichter, und es hat in seiner<lb/> altansüssigen Bevölkerung sogar einen eigentümlichen Typus ausgebildet. Aber<lb/> seine Kaufmannschaft hatte schon nach dem nordamerikanischen Unabhängigkeits¬<lb/> kriege (1773 bis 1783) den Tabak- und Baumwollenhandel für Deutschland<lb/> in seine Hand gebracht, in Newhork schon 1807 ein eignes Konsulat errichtet,<lb/> und daß junge Bremer „hinüber" gingen nach England und Amerika, um dort<lb/> zu lernen, wohl auch eigne Handelshäuser zu gründen, wurde immer häufiger.<lb/> Als dann die Weser, Bremens Lebensader, zu versanden drohte, für die ver¬<lb/> größerten Schiffe zu seicht wurde, da gründete der kluge Bürgermeister Johann<lb/> Smidt 1827 bis 1830 an der Mündung des Stromes auf ödem, fast wertlosen<lb/> Heide- und Moorlande, das ihm Hannover billig überließ, Bremerhaven. Aber<lb/> kaum begann der neue Seeplatz aufzubinden, so erschwerte das eifersüchtige<lb/> Hannover den Landverkehr zwischen den beiden Städten, ließ in Bremerhaven<lb/> kein bremisches Postamt zu, hielt später die Eisenbahnverbindung auf, so lange<lb/> irgend möglich. Während nun auch Zollschranken die kleine Republik von ihrem<lb/> natürlichen deutschen Hinterlands abschlossen, sielen allmählich die Schranken,<lb/> die die englische Navigationsaktc von 1651 dem Zwischenhandel der fremden<lb/> Nationen mit England gezogen hatte: nach dem hanseatisch-englischen Vertrage<lb/> vom September 1825 wurden die hanseatischen Schiffe, wenn sie aus Bremen,<lb/> Hamburg oder Lübeck kamen, in allen britischen Besitzungen zugelassen, 1839<lb/> der direkte Verkehr mit Ostindien allen Nationen geöffnet. Zugleich wuchs die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0408]
Der norddeutsche Tloyd
wenig eine Reichsstadt wie etwa Magdeburg, mit dem zusammen es seinen
Protestantismus, der auch der Herrschaft seines Erzbischofs nur tatsächlich ein
Ende machte, gegen Karl den Fünften tapfer behauptete und 1547 eine schwere
Belagerung aushielt. Erst 1654 wurde es als Reichsstadt anerkannt, aber
beständig bedrängt von Schweden, dem im Westfälischen Frieden 1648 die alten
geistlichen Gebiete von Bremen und Werden zugefallen waren, und es behauptete
seine Freiheit 1668 nur mit Hilfe der benachbarten niedersächsischen Fürsten
und Brandenburgs. Aber indem jene Gebiete 1719 an Hannover übergingen,
wurde die Lage der Stadt kaum verbessert; sie war jetzt ganz von welfischen
und oldenburgischen Gebiet umschlossen, und nach der kurzen Episode der
Napoleonischen Herrschaft (1810 bis 1813), die sie aufs schwerste schädigte,
geriet sie in einen langen Konkurrenzkampf mit Hannover, das sich zur deutschen
Vormacht an der Nordsee berufen wühnte. Aber in diesem kleinen, isolierten,
ganz auf sich selbst gestellten, zur See absolut macht- und schutzlosen Stadt¬
staate — der Deutsche Bund bedeutete ja fast noch weniger als das alte
Reich — lebte eine starke Seele, wie in so mancher andern alten deutschen
Stadt, und die alte, sonst längst überwundne Stadtwirtschaft hat hier noch Großes
geleistet, nicht nur für sich, sondern für ganz Deutschland, für das sie Aufgaben
und Pflichten übernahm, die die deutsche Gesamtheit nicht erfüllte. Bremen ist
noch heute sehr viel weniger Großstadt als das stolze, prächtige, laute, von
tosenden Leben erfüllte Hamburg, von dem es schon seit dem siebzehnten Jahr¬
hundert überflügelt wurde, ruhiger, behaglicher, schlichter, und es hat in seiner
altansüssigen Bevölkerung sogar einen eigentümlichen Typus ausgebildet. Aber
seine Kaufmannschaft hatte schon nach dem nordamerikanischen Unabhängigkeits¬
kriege (1773 bis 1783) den Tabak- und Baumwollenhandel für Deutschland
in seine Hand gebracht, in Newhork schon 1807 ein eignes Konsulat errichtet,
und daß junge Bremer „hinüber" gingen nach England und Amerika, um dort
zu lernen, wohl auch eigne Handelshäuser zu gründen, wurde immer häufiger.
Als dann die Weser, Bremens Lebensader, zu versanden drohte, für die ver¬
größerten Schiffe zu seicht wurde, da gründete der kluge Bürgermeister Johann
Smidt 1827 bis 1830 an der Mündung des Stromes auf ödem, fast wertlosen
Heide- und Moorlande, das ihm Hannover billig überließ, Bremerhaven. Aber
kaum begann der neue Seeplatz aufzubinden, so erschwerte das eifersüchtige
Hannover den Landverkehr zwischen den beiden Städten, ließ in Bremerhaven
kein bremisches Postamt zu, hielt später die Eisenbahnverbindung auf, so lange
irgend möglich. Während nun auch Zollschranken die kleine Republik von ihrem
natürlichen deutschen Hinterlands abschlossen, sielen allmählich die Schranken,
die die englische Navigationsaktc von 1651 dem Zwischenhandel der fremden
Nationen mit England gezogen hatte: nach dem hanseatisch-englischen Vertrage
vom September 1825 wurden die hanseatischen Schiffe, wenn sie aus Bremen,
Hamburg oder Lübeck kamen, in allen britischen Besitzungen zugelassen, 1839
der direkte Verkehr mit Ostindien allen Nationen geöffnet. Zugleich wuchs die
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