Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Das russische Agrarproblem Mit der ersten ist gemeint, daß der Bauer genug erhalten soll, seine und der Das russische Agrarproblem Mit der ersten ist gemeint, daß der Bauer genug erhalten soll, seine und der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302387"/> <fw type="header" place="top"> Das russische Agrarproblem</fw><lb/> <p xml:id="ID_1714" prev="#ID_1713" next="#ID_1715"> Mit der ersten ist gemeint, daß der Bauer genug erhalten soll, seine und der<lb/> Semen Arbeitskraft voll auszunutzen. „Das Land ist Gottes; es darf nur<lb/> denen überlassen werden, die es selbst bearbeiten, jeder von diesen aber muß<lb/> so viel bekommen, als er bearbeiten kann." Die andre Norm besagt: jede<lb/> Familie soll soviel bekommen, als zur Deckung ihrer Bedürfnisse erforderlich<lb/> ist. Die erste der beiden Normen proklamiert das Recht auf Arbeit, ist dem¬<lb/> nach, wie Weber hervorhebt, modern und revolutionär, die zweite setzt das<lb/> mittelalterliche Recht auf Existenz, ans Nahrung voraus. Da aber diese<lb/> Normen sehr schwierige Erhebungen verursachen würden (je nach der Boden-<lb/> beschaffenheit, dem Klima und der Qualität der Bauern genügen für die an¬<lb/> gegebnen beiden Zwecke sehr verschiedne Ausmaße), so hat man noch eine dritte,<lb/> die historische Norm, vorgeschlagen: es soll entweder das 1861 bei der<lb/> Emanzipation bestimmte Maximalmaß oder die heutige Durchschnittsgröße<lb/> des Familienbodenanteils als Minimum festgesetzt werden. Für alle drei<lb/> Arten von Versorgung würde nun das Land, auch wem, der größte Teil der<lb/> Gutsherrschaften mit verwandt würde, nicht ausreichen. Das heißt das Land<lb/> an sich schon, aber nicht das wirtschaftlich benutzbare Land, und nicht bei der<lb/> gegenwärtigen unvollkommnen Betriebsart. Von den vielen Berechnungen, die<lb/> Weber mitteilt, und die natürlich sehr weit auseinandergehn, wollen wir nur<lb/> eine vergleichende erwähnen, die Weber selbst aufstellt, für deu Fall, daß die<lb/> Norm von 1361 angenommen wird. „Deutschland hatte 1895 an männlichen<lb/> Erwerbstätigen, deren Hauptberuf Landwirtschaft war (Wirte, Arbeiter und<lb/> Dienstboten zusammen), 5^ Millionen. Der Seelennadjel jNadjel heißt der<lb/> »ach der russischen Agrarverfassung jedem zustehende Lcmdanteilj des Jahres 1861<lb/> betrug im Mittel 5 Deßjätinen (5^ Hektar). Wollte mau alle jene deutschen<lb/> Erwerbstätigen, deren Hauptberuf Landwirtschaft ist, mit einem solchen Land-<lb/> ansinaß ausstatten, so würden dazu nur 30 Millionen Hektar gehöre»; die<lb/> landwirtschaftlich benutzte Fläche Deutschlands ist etwas größer: 32^ Millionen<lb/> Hektar. In Nußland aber soll nicht auf jeden männlichen Erwerbstätigen,<lb/> sondern auf jede männliche Seele der Bauernschaft, die Säuglinge einbegriffen,<lb/> eine solche Minimalfläche kommen. Das würde für Deutschland rund<lb/> W'/,. Millionen männliche Seelen bedeuten, also etwa 57 Millionen Hektar.<lb/> Und hierzu müßten, da auch die nebenberuflich in der Landwirtschaft Be¬<lb/> schäftigten berücksichtigt werden sollen, noch reichlich 10 Millionen Deßjätinen<lb/> hinzugefügt werden, woraus sich ein Bedarf von 67 Millionen Deßjätinen.<lb/> also etwas über das Doppelte der gesamten landwirtschaftlichen Fläche Deutsch¬<lb/> lands ergibt. . . . Man muß, um Vergleiche zwischen Deutschland und Ru߬<lb/> land zu ziehen, fragen: bei welchem Landausmaß kann in Deutschlands<lb/> Agrargegenden eine Bauernfamilie selbständig ohne dauernden Nebenverdienst<lb/> bestehn? Das ist auf den mittlern Sandboden des deutschen Ostens bei etwa<lb/> 6 Hektar, 1^ bis 2 Hektar auf die männliche Seele, der Fall; also bei dem¬<lb/> selben Ausmaß, bei dem die russische Bauernschaft auch auf der Schwarzerde</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0399]
Das russische Agrarproblem
Mit der ersten ist gemeint, daß der Bauer genug erhalten soll, seine und der
Semen Arbeitskraft voll auszunutzen. „Das Land ist Gottes; es darf nur
denen überlassen werden, die es selbst bearbeiten, jeder von diesen aber muß
so viel bekommen, als er bearbeiten kann." Die andre Norm besagt: jede
Familie soll soviel bekommen, als zur Deckung ihrer Bedürfnisse erforderlich
ist. Die erste der beiden Normen proklamiert das Recht auf Arbeit, ist dem¬
nach, wie Weber hervorhebt, modern und revolutionär, die zweite setzt das
mittelalterliche Recht auf Existenz, ans Nahrung voraus. Da aber diese
Normen sehr schwierige Erhebungen verursachen würden (je nach der Boden-
beschaffenheit, dem Klima und der Qualität der Bauern genügen für die an¬
gegebnen beiden Zwecke sehr verschiedne Ausmaße), so hat man noch eine dritte,
die historische Norm, vorgeschlagen: es soll entweder das 1861 bei der
Emanzipation bestimmte Maximalmaß oder die heutige Durchschnittsgröße
des Familienbodenanteils als Minimum festgesetzt werden. Für alle drei
Arten von Versorgung würde nun das Land, auch wem, der größte Teil der
Gutsherrschaften mit verwandt würde, nicht ausreichen. Das heißt das Land
an sich schon, aber nicht das wirtschaftlich benutzbare Land, und nicht bei der
gegenwärtigen unvollkommnen Betriebsart. Von den vielen Berechnungen, die
Weber mitteilt, und die natürlich sehr weit auseinandergehn, wollen wir nur
eine vergleichende erwähnen, die Weber selbst aufstellt, für deu Fall, daß die
Norm von 1361 angenommen wird. „Deutschland hatte 1895 an männlichen
Erwerbstätigen, deren Hauptberuf Landwirtschaft war (Wirte, Arbeiter und
Dienstboten zusammen), 5^ Millionen. Der Seelennadjel jNadjel heißt der
»ach der russischen Agrarverfassung jedem zustehende Lcmdanteilj des Jahres 1861
betrug im Mittel 5 Deßjätinen (5^ Hektar). Wollte mau alle jene deutschen
Erwerbstätigen, deren Hauptberuf Landwirtschaft ist, mit einem solchen Land-
ansinaß ausstatten, so würden dazu nur 30 Millionen Hektar gehöre»; die
landwirtschaftlich benutzte Fläche Deutschlands ist etwas größer: 32^ Millionen
Hektar. In Nußland aber soll nicht auf jeden männlichen Erwerbstätigen,
sondern auf jede männliche Seele der Bauernschaft, die Säuglinge einbegriffen,
eine solche Minimalfläche kommen. Das würde für Deutschland rund
W'/,. Millionen männliche Seelen bedeuten, also etwa 57 Millionen Hektar.
Und hierzu müßten, da auch die nebenberuflich in der Landwirtschaft Be¬
schäftigten berücksichtigt werden sollen, noch reichlich 10 Millionen Deßjätinen
hinzugefügt werden, woraus sich ein Bedarf von 67 Millionen Deßjätinen.
also etwas über das Doppelte der gesamten landwirtschaftlichen Fläche Deutsch¬
lands ergibt. . . . Man muß, um Vergleiche zwischen Deutschland und Ru߬
land zu ziehen, fragen: bei welchem Landausmaß kann in Deutschlands
Agrargegenden eine Bauernfamilie selbständig ohne dauernden Nebenverdienst
bestehn? Das ist auf den mittlern Sandboden des deutschen Ostens bei etwa
6 Hektar, 1^ bis 2 Hektar auf die männliche Seele, der Fall; also bei dem¬
selben Ausmaß, bei dem die russische Bauernschaft auch auf der Schwarzerde
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