Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Pfarrergestalten in neuern Dichterwerken kortitsr sein Wahlspruch, auch ohne fromme Allüren ist er der ideale Christ Weniger gelungen sind die Theologen in dem Roman von Wilhelm Sabäer Eine Dichterin von Gottes Gnaden sehen wir in Helene Christaller. Viel¬ Eine eigentümliche Pfarrergestalt schildert Otto Hauser in der Erzählung: Pfarrergestalten in neuern Dichterwerken kortitsr sein Wahlspruch, auch ohne fromme Allüren ist er der ideale Christ Weniger gelungen sind die Theologen in dem Roman von Wilhelm Sabäer Eine Dichterin von Gottes Gnaden sehen wir in Helene Christaller. Viel¬ Eine eigentümliche Pfarrergestalt schildert Otto Hauser in der Erzählung: <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302362"/> <fw type="header" place="top"> Pfarrergestalten in neuern Dichterwerken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1590" prev="#ID_1589"> kortitsr sein Wahlspruch, auch ohne fromme Allüren ist er der ideale Christ<lb/> in der Erzählung, ein Mann mit lachenden Augen und anfrecht sitzendem Kopf,<lb/> kein Kind wehleidiger Weltflucht und gesalbter Worte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1591"> Weniger gelungen sind die Theologen in dem Roman von Wilhelm Sabäer<lb/> „Das Erbe der Stubenrauch" (Berlin, Lattmann. 447 Seiten, gebunden 5 Mark).<lb/> Leider fehlt dem Verfasser scheinbar jede persönliche Bekanntschaft mit studen¬<lb/> tischen Leben und theologischen Denken. So kommt es, daß der unbefangne<lb/> Beurteiler den gewiß ungewollten Eindruck der Karikatur bekommt. Der alte<lb/> Pastor, der der allzu nackten Wahrheit den Rücken kehrt und obendrein zum<lb/> Betrüger an seinen Kindern wird, gewinnt unser Mitleid nur durch seine schmäh¬<lb/> liche Knechtschaft unter der zweiten Frau. Sympathisch ist Karl Hermann,<lb/> der Held des Buches, gezeichnet. Wir begleiten ihn durch die ganze Kind¬<lb/> heit, durch die Schulzeit, in der eine ideale Liebe nicht fehlt, durch die<lb/> Studienzeit mit all den Kämpfen und Entsagungen bis an seinen Tod.<lb/> Eigentlich interessiert den Leser mehr das Leben des gebildeten Proletariers,<lb/> mit dem er Mitleid haben muß, als das des Theologen, dessen Anschauungen<lb/> ebenso unklar wie unbegründet sind. Als künstlerischen Mangel empfinden nur<lb/> es auch, daß der Held mitten in der Entwicklung stirbt. Bei gutem Wollen<lb/> fehlt es an Kraft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1592"> Eine Dichterin von Gottes Gnaden sehen wir in Helene Christaller. Viel¬<lb/> versprechend waren schon die entzückenden Bilder aus einem Dorfe „Meine<lb/> Waldhäuser" (Heilbronn, Salzer, 1906. 147 Seiten. 2 Mark 40 Pfg ). Prächtige<lb/> Pfarrer, auch sonst religiös interessante Gestalten bietet die Verfasserin dar. Ihre<lb/> volle Kunst zeigt sie in den beiden größern Erzählungen, in denen sie beides<lb/> bekundet: ihre feine psychologische Empfindung und ihren offnen Blick für Klein¬<lb/> stadt, Pfarrhaus und Pfarrkranz. „Magda. Geschichte einer Seele" (Jugenheim,<lb/> Süeviaverlag, 1903. 144 Seiten, gebunden 3 Mark). Magda ist Gattin eines<lb/> Oberamtmanns. Ihr Vater hat mit ihr das gewagte Experiment gemacht, sie<lb/> zur vollkommnen Skeptikerin zu erziehen, nur kann sie trotz aller Skepsis das<lb/> Heimweh nach Gott nicht verlieren. Stadtpfarrer Haller lernt sie schätzen, zeigt<lb/> ihr den Weg zu Gott und flieht dann, da er fürchtet, seine Leidenschaft nicht<lb/> zügeln zu können. Später trifft er die geliebte Frau, die inzwischen auch zum<lb/> Ziel gekommen ist. Ernst und schaurig ist das andre Buch „Wer aber nicht<lb/> hat . . ." Novelle (ebenda, 140 Seiten, gebunden 3 Mark). Ein Vikar wird ge^<lb/> schildert, der den Glauben verloren hat, dem auch der Mut fehlt, auf das Amt<lb/> zu verzichten, der auch die Liebe und Achtung des geliebten Mädchens nicht<lb/> gewinnen kann. Den unerträglichen Qualen macht er ein Ende, indem er das<lb/> Leben von sich wirft. So furchtbar der Inhalt ist, so zart und wahr ist die<lb/> Darstellung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1593" next="#ID_1594"> Eine eigentümliche Pfarrergestalt schildert Otto Hauser in der Erzählung:<lb/> Ein abgesetzter Pfarrer (Stuttgart, Bonz, 1904. 369 Seiten. 3,60 Mark). Aus<lb/> dem "Vorwort entnehmen wir, daß der geschilderte Pfarrer wirklich gelebt hat,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
Pfarrergestalten in neuern Dichterwerken
kortitsr sein Wahlspruch, auch ohne fromme Allüren ist er der ideale Christ
in der Erzählung, ein Mann mit lachenden Augen und anfrecht sitzendem Kopf,
kein Kind wehleidiger Weltflucht und gesalbter Worte.
Weniger gelungen sind die Theologen in dem Roman von Wilhelm Sabäer
„Das Erbe der Stubenrauch" (Berlin, Lattmann. 447 Seiten, gebunden 5 Mark).
Leider fehlt dem Verfasser scheinbar jede persönliche Bekanntschaft mit studen¬
tischen Leben und theologischen Denken. So kommt es, daß der unbefangne
Beurteiler den gewiß ungewollten Eindruck der Karikatur bekommt. Der alte
Pastor, der der allzu nackten Wahrheit den Rücken kehrt und obendrein zum
Betrüger an seinen Kindern wird, gewinnt unser Mitleid nur durch seine schmäh¬
liche Knechtschaft unter der zweiten Frau. Sympathisch ist Karl Hermann,
der Held des Buches, gezeichnet. Wir begleiten ihn durch die ganze Kind¬
heit, durch die Schulzeit, in der eine ideale Liebe nicht fehlt, durch die
Studienzeit mit all den Kämpfen und Entsagungen bis an seinen Tod.
Eigentlich interessiert den Leser mehr das Leben des gebildeten Proletariers,
mit dem er Mitleid haben muß, als das des Theologen, dessen Anschauungen
ebenso unklar wie unbegründet sind. Als künstlerischen Mangel empfinden nur
es auch, daß der Held mitten in der Entwicklung stirbt. Bei gutem Wollen
fehlt es an Kraft.
Eine Dichterin von Gottes Gnaden sehen wir in Helene Christaller. Viel¬
versprechend waren schon die entzückenden Bilder aus einem Dorfe „Meine
Waldhäuser" (Heilbronn, Salzer, 1906. 147 Seiten. 2 Mark 40 Pfg ). Prächtige
Pfarrer, auch sonst religiös interessante Gestalten bietet die Verfasserin dar. Ihre
volle Kunst zeigt sie in den beiden größern Erzählungen, in denen sie beides
bekundet: ihre feine psychologische Empfindung und ihren offnen Blick für Klein¬
stadt, Pfarrhaus und Pfarrkranz. „Magda. Geschichte einer Seele" (Jugenheim,
Süeviaverlag, 1903. 144 Seiten, gebunden 3 Mark). Magda ist Gattin eines
Oberamtmanns. Ihr Vater hat mit ihr das gewagte Experiment gemacht, sie
zur vollkommnen Skeptikerin zu erziehen, nur kann sie trotz aller Skepsis das
Heimweh nach Gott nicht verlieren. Stadtpfarrer Haller lernt sie schätzen, zeigt
ihr den Weg zu Gott und flieht dann, da er fürchtet, seine Leidenschaft nicht
zügeln zu können. Später trifft er die geliebte Frau, die inzwischen auch zum
Ziel gekommen ist. Ernst und schaurig ist das andre Buch „Wer aber nicht
hat . . ." Novelle (ebenda, 140 Seiten, gebunden 3 Mark). Ein Vikar wird ge^
schildert, der den Glauben verloren hat, dem auch der Mut fehlt, auf das Amt
zu verzichten, der auch die Liebe und Achtung des geliebten Mädchens nicht
gewinnen kann. Den unerträglichen Qualen macht er ein Ende, indem er das
Leben von sich wirft. So furchtbar der Inhalt ist, so zart und wahr ist die
Darstellung.
Eine eigentümliche Pfarrergestalt schildert Otto Hauser in der Erzählung:
Ein abgesetzter Pfarrer (Stuttgart, Bonz, 1904. 369 Seiten. 3,60 Mark). Aus
dem "Vorwort entnehmen wir, daß der geschilderte Pfarrer wirklich gelebt hat,
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