Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.pfarrergestalten in neuern Dichterwerken zurück; das Amt seiner Überzeugung zu opfern, fehlt es an Kraft. Andre Natur¬ Episodenhaft kommt in dem Sewettschen Roman anch die Geincinschafts- pfarrergestalten in neuern Dichterwerken zurück; das Amt seiner Überzeugung zu opfern, fehlt es an Kraft. Andre Natur¬ Episodenhaft kommt in dem Sewettschen Roman anch die Geincinschafts- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302355"/> <fw type="header" place="top"> pfarrergestalten in neuern Dichterwerken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1564" prev="#ID_1563"> zurück; das Amt seiner Überzeugung zu opfern, fehlt es an Kraft. Andre Natur¬<lb/> anlage zeigt sein Bruder, ein Mann voll glühenden Wahrheitseifers. Bei der<lb/> Leichenfeier für den von ihn: verehrten Bürgermeister amtiert er in vollen, Ornat,<lb/> obwohl der Tote verbrannt werden soll, und er weiß, daß es ihn sein Amt<lb/> kosten kann. Ergreifend ist der Kampf, den Brandener mit dem Superintendenten<lb/> Winter auszufechten hat. Der hat auf persönliches Glück verzichtet, der will<lb/> nur seine Kirche lieben, der empfindet es als einen Mangel unsrer Kirche,<lb/> daß sich die Persönlichkeiten zu sehr in den Vordergrund stellen. Die Kirche<lb/> ist ihm alles, die Persönlichkeit etwas Minderwertiges. Wohl stutzt er, als<lb/> sich der junge, von ihm geliebte Brandener auf sein Gewissen beruft. Erst eigne<lb/> schwere Erfahrungen lassen ihn den Irrtum seiner Anschauung erkennen. Sein<lb/> bester Freund wird aus den edelsten Motiven zum Selbstmörder, ist ein tief<lb/> religiöser Mensch bis ans Ende gewesen. Da bricht sein ideales Kirchenbild<lb/> zusammen, denn die Kirche verbietet ihm, den Freund in Ehren zu bestatten.<lb/> Jetzt empfindet er selbst die überragende Bedeutuug der Persönlichkeit. Das<lb/> Höchste ist ihm das Streben nach Wahrheit, die er bisher in der Gesetzmäßigkeit<lb/> der Kirche gesehen hat, aber er kann um der Kirche willen nicht das Menschliche<lb/> verleugnen, denn das Menschliche ist stärker als die Gesetze. So tut er, wozu<lb/> ihn sein Gewissen verpflichtet, und verzichtet auf das Amt. „Die Kirche be¬<lb/> halte ihr Recht, und ich das meine." Der Konsistorialpräsident. ein ehrenfester<lb/> Mann, läßt den verehrten Mann ziehn, aber man ist sich nicht ganz klar, ob<lb/> das Schlußwort „die Kirche siegt" nicht in Wahrheit ein scharfes Urteil über<lb/> eine Ordnung ist, die so charaktervolle Männer wie den jungen Brandener und<lb/> Winter vou sich stößt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1565" next="#ID_1566"> Episodenhaft kommt in dem Sewettschen Roman anch die Geincinschafts-<lb/> bewegnng vor. Wenn irgend etwas, so ist diese Bewegung geeignet, die Pfarrer<lb/> in Peinliche Konflikte zu bringen. Immer wieder habe ich es erfahren, daß<lb/> zumal viele Landpastoren, die diese Bewegung nicht aus Erfahrung kennen,<lb/> sich sehr dafür begeistert haben. Nachdem ich die Bewegung genau habe studieren<lb/> können, stimme ich völlig denen zu, die von dieser Bewegung keinen Segen für<lb/> die Kirche erwarten. An zwei kleinern Erzählungen kann man recht lebens¬<lb/> wahr die Berderblichkeit dieses Gemeinschaftswesens beobachten. Marie Burmester<lb/> schildert in dem Büchlein „Pfarrhäuser" (Hanau, Clauß und Feddersen, 1902.<lb/> 120 S. 1,50 Mary einen jungen Pfarrer, der im Gegensatz zu dem erfahrnen<lb/> Amtsbruder die sonst so klar denkenden, nüchternen Friesen in eine Schwärmerei<lb/> hineintreibe, die sie über den himmlischen Pflichten die irdischen vergessen macht,<lb/> die sie von ihrem innern Leben, dem Zartesten, was es geben kann, und das<lb/> man deshalb nicht der Menge kundgibt, reden läßt wie von etwas Gewöhnlichen,<lb/> die sie, die sich gern die Erweckten nennen, mit maßlosem geistigem Hochmut<lb/> erfüllt. Die Leute kommen erst zur Besinnung, als ein bis dahin ordentlicher<lb/> Mensch durch den ungesunden Einfluß des Gemeinschaftspfarrers in Schwermut<lb/> verfällt und sich in religiöser Not das Leben nimmt. Sympathisch ist daneben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0367]
pfarrergestalten in neuern Dichterwerken
zurück; das Amt seiner Überzeugung zu opfern, fehlt es an Kraft. Andre Natur¬
anlage zeigt sein Bruder, ein Mann voll glühenden Wahrheitseifers. Bei der
Leichenfeier für den von ihn: verehrten Bürgermeister amtiert er in vollen, Ornat,
obwohl der Tote verbrannt werden soll, und er weiß, daß es ihn sein Amt
kosten kann. Ergreifend ist der Kampf, den Brandener mit dem Superintendenten
Winter auszufechten hat. Der hat auf persönliches Glück verzichtet, der will
nur seine Kirche lieben, der empfindet es als einen Mangel unsrer Kirche,
daß sich die Persönlichkeiten zu sehr in den Vordergrund stellen. Die Kirche
ist ihm alles, die Persönlichkeit etwas Minderwertiges. Wohl stutzt er, als
sich der junge, von ihm geliebte Brandener auf sein Gewissen beruft. Erst eigne
schwere Erfahrungen lassen ihn den Irrtum seiner Anschauung erkennen. Sein
bester Freund wird aus den edelsten Motiven zum Selbstmörder, ist ein tief
religiöser Mensch bis ans Ende gewesen. Da bricht sein ideales Kirchenbild
zusammen, denn die Kirche verbietet ihm, den Freund in Ehren zu bestatten.
Jetzt empfindet er selbst die überragende Bedeutuug der Persönlichkeit. Das
Höchste ist ihm das Streben nach Wahrheit, die er bisher in der Gesetzmäßigkeit
der Kirche gesehen hat, aber er kann um der Kirche willen nicht das Menschliche
verleugnen, denn das Menschliche ist stärker als die Gesetze. So tut er, wozu
ihn sein Gewissen verpflichtet, und verzichtet auf das Amt. „Die Kirche be¬
halte ihr Recht, und ich das meine." Der Konsistorialpräsident. ein ehrenfester
Mann, läßt den verehrten Mann ziehn, aber man ist sich nicht ganz klar, ob
das Schlußwort „die Kirche siegt" nicht in Wahrheit ein scharfes Urteil über
eine Ordnung ist, die so charaktervolle Männer wie den jungen Brandener und
Winter vou sich stößt.
Episodenhaft kommt in dem Sewettschen Roman anch die Geincinschafts-
bewegnng vor. Wenn irgend etwas, so ist diese Bewegung geeignet, die Pfarrer
in Peinliche Konflikte zu bringen. Immer wieder habe ich es erfahren, daß
zumal viele Landpastoren, die diese Bewegung nicht aus Erfahrung kennen,
sich sehr dafür begeistert haben. Nachdem ich die Bewegung genau habe studieren
können, stimme ich völlig denen zu, die von dieser Bewegung keinen Segen für
die Kirche erwarten. An zwei kleinern Erzählungen kann man recht lebens¬
wahr die Berderblichkeit dieses Gemeinschaftswesens beobachten. Marie Burmester
schildert in dem Büchlein „Pfarrhäuser" (Hanau, Clauß und Feddersen, 1902.
120 S. 1,50 Mary einen jungen Pfarrer, der im Gegensatz zu dem erfahrnen
Amtsbruder die sonst so klar denkenden, nüchternen Friesen in eine Schwärmerei
hineintreibe, die sie über den himmlischen Pflichten die irdischen vergessen macht,
die sie von ihrem innern Leben, dem Zartesten, was es geben kann, und das
man deshalb nicht der Menge kundgibt, reden läßt wie von etwas Gewöhnlichen,
die sie, die sich gern die Erweckten nennen, mit maßlosem geistigem Hochmut
erfüllt. Die Leute kommen erst zur Besinnung, als ein bis dahin ordentlicher
Mensch durch den ungesunden Einfluß des Gemeinschaftspfarrers in Schwermut
verfällt und sich in religiöser Not das Leben nimmt. Sympathisch ist daneben
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