Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.pfarrergestalten in neuern Dichterwerken Sympathisch berührt auch die kleine Erzählung von Gabriele Schulz, In eine sozial erregte Welt führt uns Effenberger mit seinem Roman aus Daß idealer Sinn auch heute noch nicht in dem jüngern Theologengeschlecht Daß gerade solche ideal angelegte Naturen am ehesten mit den starren pfarrergestalten in neuern Dichterwerken Sympathisch berührt auch die kleine Erzählung von Gabriele Schulz, In eine sozial erregte Welt führt uns Effenberger mit seinem Roman aus Daß idealer Sinn auch heute noch nicht in dem jüngern Theologengeschlecht Daß gerade solche ideal angelegte Naturen am ehesten mit den starren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302354"/> <fw type="header" place="top"> pfarrergestalten in neuern Dichterwerken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1560"> Sympathisch berührt auch die kleine Erzählung von Gabriele Schulz,<lb/> „Der Pfarrer von Se, Jürgen" (Berlin, Zanke. 1903. 142 S. 1 Mary. Mit<lb/> Absicht hat sich der einem adlichen Geschlecht entstammende Pfarrer die verrufne<lb/> Vorstadtgemeinde erbeten. Dort hofft er trotz aller Gleichgiltigkeit und Feind¬<lb/> schaft der Sozialdemokraten seine idealen Gedanken realisieren zu können. Alles<lb/> ist umsonst, da findet er wenigstens eine Seele, die sich seiner Leitung anver¬<lb/> trauen will; es ist des Bootsmanns schöne Tochter; doch schließlich entdeckt<lb/> der Pfarrer, daß es nicht der Glaube, sondern die Liebe zu ihm war, die ihr<lb/> Herz erschlossen hat. Sie aber sucht den Tod auf der See, da sie merkt, daß<lb/> sie den Geliebten nicht gewinnen kann. Da ist um seine Welt zertrümmert,<lb/> die ganze Gemeinde hatte er leiten wollen und hat nicht vermocht, die eine, die<lb/> sich leiten ließ, vor dem Fall zu bewahren. In treuer Arbeit an den Lebenden<lb/> büßt der Pfarrer seine Schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_1561"> In eine sozial erregte Welt führt uns Effenberger mit seinem Roman aus<lb/> der Gegenwart „Neue Ziele" (Hagen, Nippel, 1904. 371 Seiten, gebunden<lb/> 5 Mark). Wir sehen einen Pfarrer, der in den Harzbergen treulich seines Amtes<lb/> waltet, der beim Eindringen der Industrie Pflichttreue, Gehorsam und Selbst¬<lb/> zucht zik schützen versucht, der durch Unvernunft und Anfechtung hindurch doch<lb/> sein Ziel erreicht. Die Liebesgeschichte des Pfarrers zieht sich durch das Ganze.<lb/> Der Roman zeigt viel Schönheit und Handlung, als Mangel in der Komposition<lb/> erscheint es nur, daß der Zufall alle Handelnden aus allen Windteilen gerade<lb/> in dein kleinen Harzdorf zusammenführen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1562"> Daß idealer Sinn auch heute noch nicht in dem jüngern Theologengeschlecht<lb/> erloschen ist, das zeigt der Roman aus der Gegenwart: „Kreuz und Amboß" von<lb/> Walter Classen (Hamburg, Bopser, 1903. 329 Seiten. 3 Mary. Classen ist ein<lb/> junger Hamburger Theologe, der einen Blick in das religiöse Denken der Arbeiter<lb/> hat tun dürfen. In einem Knabenhort wird der Optimismus Classens noch<lb/> genährt, so lebt er jetzt unter den Arbeitern, so versucht er jetzt, so zu ihnen zu<lb/> reden, daß sie ihn hören und verstehn können. Man spürt es wohl: was Classen in<lb/> Romanform bietet, sind eigne Erlebnisse. Das Buch ist mit Herzblut geschrieben,<lb/> die größten Wünsche sind hineingelegt. Es steht doch gut um den evangelischen<lb/> Pfarrerstand wie um das Volk, solange so glühender, religiös begründeter<lb/> Optimismus in der Arbeit steht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1563" next="#ID_1564"> Daß gerade solche ideal angelegte Naturen am ehesten mit den starren<lb/> Ordnungen der Kirche in Widerstreit kommen, ist nur zu natürlich. Von<lb/> einem solchen Kampfe des sittlich ernsten, weitherzigen Idealismus mit der<lb/> kirchlichen Ordnung erzählt der schon genannte Arthur Sewett in dem neuesten<lb/> Roman „Die Kirche siegt" (Berlin, Zanke. 1904. 296 S. 3 Mary. Wir finden<lb/> da eine ganze Galerie interessanter Pfarrergestalten. Da ist zunächst Brandener,<lb/> ein Modeprediger, der Liebling der Damen, oberflächlich, gefallsüchtig, ein rechter<lb/> Schauspieler. Er hat keine Ideale, denkt nur an sein armes eignes Ich; dabei<lb/> fehlt es ihm am Mut der Konsequenz; findet er einen Stärkern, so zieht er sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
pfarrergestalten in neuern Dichterwerken
Sympathisch berührt auch die kleine Erzählung von Gabriele Schulz,
„Der Pfarrer von Se, Jürgen" (Berlin, Zanke. 1903. 142 S. 1 Mary. Mit
Absicht hat sich der einem adlichen Geschlecht entstammende Pfarrer die verrufne
Vorstadtgemeinde erbeten. Dort hofft er trotz aller Gleichgiltigkeit und Feind¬
schaft der Sozialdemokraten seine idealen Gedanken realisieren zu können. Alles
ist umsonst, da findet er wenigstens eine Seele, die sich seiner Leitung anver¬
trauen will; es ist des Bootsmanns schöne Tochter; doch schließlich entdeckt
der Pfarrer, daß es nicht der Glaube, sondern die Liebe zu ihm war, die ihr
Herz erschlossen hat. Sie aber sucht den Tod auf der See, da sie merkt, daß
sie den Geliebten nicht gewinnen kann. Da ist um seine Welt zertrümmert,
die ganze Gemeinde hatte er leiten wollen und hat nicht vermocht, die eine, die
sich leiten ließ, vor dem Fall zu bewahren. In treuer Arbeit an den Lebenden
büßt der Pfarrer seine Schuld.
In eine sozial erregte Welt führt uns Effenberger mit seinem Roman aus
der Gegenwart „Neue Ziele" (Hagen, Nippel, 1904. 371 Seiten, gebunden
5 Mark). Wir sehen einen Pfarrer, der in den Harzbergen treulich seines Amtes
waltet, der beim Eindringen der Industrie Pflichttreue, Gehorsam und Selbst¬
zucht zik schützen versucht, der durch Unvernunft und Anfechtung hindurch doch
sein Ziel erreicht. Die Liebesgeschichte des Pfarrers zieht sich durch das Ganze.
Der Roman zeigt viel Schönheit und Handlung, als Mangel in der Komposition
erscheint es nur, daß der Zufall alle Handelnden aus allen Windteilen gerade
in dein kleinen Harzdorf zusammenführen muß.
Daß idealer Sinn auch heute noch nicht in dem jüngern Theologengeschlecht
erloschen ist, das zeigt der Roman aus der Gegenwart: „Kreuz und Amboß" von
Walter Classen (Hamburg, Bopser, 1903. 329 Seiten. 3 Mary. Classen ist ein
junger Hamburger Theologe, der einen Blick in das religiöse Denken der Arbeiter
hat tun dürfen. In einem Knabenhort wird der Optimismus Classens noch
genährt, so lebt er jetzt unter den Arbeitern, so versucht er jetzt, so zu ihnen zu
reden, daß sie ihn hören und verstehn können. Man spürt es wohl: was Classen in
Romanform bietet, sind eigne Erlebnisse. Das Buch ist mit Herzblut geschrieben,
die größten Wünsche sind hineingelegt. Es steht doch gut um den evangelischen
Pfarrerstand wie um das Volk, solange so glühender, religiös begründeter
Optimismus in der Arbeit steht.
Daß gerade solche ideal angelegte Naturen am ehesten mit den starren
Ordnungen der Kirche in Widerstreit kommen, ist nur zu natürlich. Von
einem solchen Kampfe des sittlich ernsten, weitherzigen Idealismus mit der
kirchlichen Ordnung erzählt der schon genannte Arthur Sewett in dem neuesten
Roman „Die Kirche siegt" (Berlin, Zanke. 1904. 296 S. 3 Mary. Wir finden
da eine ganze Galerie interessanter Pfarrergestalten. Da ist zunächst Brandener,
ein Modeprediger, der Liebling der Damen, oberflächlich, gefallsüchtig, ein rechter
Schauspieler. Er hat keine Ideale, denkt nur an sein armes eignes Ich; dabei
fehlt es ihm am Mut der Konsequenz; findet er einen Stärkern, so zieht er sich
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