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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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wird nicht gerade behaupten können, daß die Behandlung des evangelischen
Pfarrers in frühern Dichterwerken sehr würdig und vornehm gewesen wäre.
Heute ist das Bestreben offenbar, den evangelischen Pfarrer in seiner Eigen¬
tümlichkeit zu versteh". Ganz entsprechend der evangelischen Anschauung er¬
scheint der Pfarrer als eine selbständige Persönlichkeit, die im Kampf steht oder
in Berührung kommt mit den Mächten seiner Zeit. Bald sehen wir den Pfarrer
sich mit den, Problem der sozialen Frage abmühn, bald finden wir ihn im
Kampfe mit der Behörde, weil das amtliche und das persönliche Gewissen in
Widerstreit geraten sind; hier sehen wir den Pfarrer in Berührung -- teils
freundlicher, meist gegnerischer Art -- mit dem Gemeinschaftschristentum, dort
sehen wir, wie die Liebe den, Pfarrer eigentümliche Konflikte bereitet. Es sind
überwiegend sympathische Pfarrergestalten, die uns in den neuern Dichterwerken
entgegentreten.

Der unsympathischste Roman, der den Pfarrerstand behandelt, ist von einem
ehemaligen Pfarrer geschrieben. Christaller, "Prostitution des Geistes". Satirischer
Roman aus dem kirchlichen Leben (Jugenheim, Sueviaverlag, 1901. 375 Seiten.
4 Mark gebunden). Das Buch hat seine Geschichte. In einem Heft "Ein kleiner
Kulturkampf" berichtet der Verfasser davon. Die Zeit der ersten Erregung ist
vorbei, man kann unbefangen die mannigfache Schönheit bewundern. Wir kennen
die gezeichneten Personen nicht, aber wir sehen klar, daß kein objektiver Beobachter
das Bild zeichnet. Das Buch ist geschrieben mit schonungslos ätzender Schärfe
eines von maßlosem Haß erfüllten Kindes. Mit dem Buch hat sich Christaller
kein rühmlich Denkmal errichtet.

Die neunziger Jahre waren die Zeit des sozialen Pastorenromans. Mit
Begeisterung hatte sich eine ganze Reihe sozial gesinnter Pastoren in die
soziale Arbeit gestürzt. Bei der ungewohnten Tätigkeit konnte es an Kon¬
flikten, an Mißgriffen nicht fehlen. In jenen Jahren konnte man "den" sozialen
Pastorenroman oft lesen. Es war im Grunde ganz gleich, ob der Titel "Pastor
Rheder" oder "Pastor Hammer" hieß. Erfindungsarme Schriftsteller meinten
zuweilen die Sache dadurch recht interessant zu machen, daß sie Tatsachen, die
in aller Munde waren, mit Abänderung der Eigennamen möglichst wahrheits¬
getreu verarbeiteten. Die Behörde stellte sich in diesen Romanen immer sozial¬
feindlich. Einen sympathischen Nachzügler sehen wir in dem sozialen Roman
"Der Armenpastor" von Arthur Sewett (Dresden, Reißner, 1899. 227 S.
^ Mark). Der Verfasser ist der Danziger Pastor Brausewetter. Mit Ver¬
ständnis schildert er den Mann, der den Kampf wie gegen den Reichtum so
gegen die Verführung von unten wagt. Herzen gewinnt er oben und unten, ge¬
meiner Intrigue scheint er fast zu erliegen, da durchschaut der ideal gezeichnete
Generalsuperintendent das unehrliche Spiel, und der vernichtet werden sollte,
wird zu hoher Stellung berufen. Was man bei den sozialen Romanen meist
vermißte, das empfindet man hier so wohltuend, daß Licht und Schatten auf
beide Seite" gerecht verteilt sind.


Grenzboten II 1907 47

wird nicht gerade behaupten können, daß die Behandlung des evangelischen
Pfarrers in frühern Dichterwerken sehr würdig und vornehm gewesen wäre.
Heute ist das Bestreben offenbar, den evangelischen Pfarrer in seiner Eigen¬
tümlichkeit zu versteh«. Ganz entsprechend der evangelischen Anschauung er¬
scheint der Pfarrer als eine selbständige Persönlichkeit, die im Kampf steht oder
in Berührung kommt mit den Mächten seiner Zeit. Bald sehen wir den Pfarrer
sich mit den, Problem der sozialen Frage abmühn, bald finden wir ihn im
Kampfe mit der Behörde, weil das amtliche und das persönliche Gewissen in
Widerstreit geraten sind; hier sehen wir den Pfarrer in Berührung — teils
freundlicher, meist gegnerischer Art — mit dem Gemeinschaftschristentum, dort
sehen wir, wie die Liebe den, Pfarrer eigentümliche Konflikte bereitet. Es sind
überwiegend sympathische Pfarrergestalten, die uns in den neuern Dichterwerken
entgegentreten.

Der unsympathischste Roman, der den Pfarrerstand behandelt, ist von einem
ehemaligen Pfarrer geschrieben. Christaller, „Prostitution des Geistes". Satirischer
Roman aus dem kirchlichen Leben (Jugenheim, Sueviaverlag, 1901. 375 Seiten.
4 Mark gebunden). Das Buch hat seine Geschichte. In einem Heft „Ein kleiner
Kulturkampf" berichtet der Verfasser davon. Die Zeit der ersten Erregung ist
vorbei, man kann unbefangen die mannigfache Schönheit bewundern. Wir kennen
die gezeichneten Personen nicht, aber wir sehen klar, daß kein objektiver Beobachter
das Bild zeichnet. Das Buch ist geschrieben mit schonungslos ätzender Schärfe
eines von maßlosem Haß erfüllten Kindes. Mit dem Buch hat sich Christaller
kein rühmlich Denkmal errichtet.

Die neunziger Jahre waren die Zeit des sozialen Pastorenromans. Mit
Begeisterung hatte sich eine ganze Reihe sozial gesinnter Pastoren in die
soziale Arbeit gestürzt. Bei der ungewohnten Tätigkeit konnte es an Kon¬
flikten, an Mißgriffen nicht fehlen. In jenen Jahren konnte man „den" sozialen
Pastorenroman oft lesen. Es war im Grunde ganz gleich, ob der Titel „Pastor
Rheder" oder „Pastor Hammer" hieß. Erfindungsarme Schriftsteller meinten
zuweilen die Sache dadurch recht interessant zu machen, daß sie Tatsachen, die
in aller Munde waren, mit Abänderung der Eigennamen möglichst wahrheits¬
getreu verarbeiteten. Die Behörde stellte sich in diesen Romanen immer sozial¬
feindlich. Einen sympathischen Nachzügler sehen wir in dem sozialen Roman
"Der Armenpastor" von Arthur Sewett (Dresden, Reißner, 1899. 227 S.
^ Mark). Der Verfasser ist der Danziger Pastor Brausewetter. Mit Ver¬
ständnis schildert er den Mann, der den Kampf wie gegen den Reichtum so
gegen die Verführung von unten wagt. Herzen gewinnt er oben und unten, ge¬
meiner Intrigue scheint er fast zu erliegen, da durchschaut der ideal gezeichnete
Generalsuperintendent das unehrliche Spiel, und der vernichtet werden sollte,
wird zu hoher Stellung berufen. Was man bei den sozialen Romanen meist
vermißte, das empfindet man hier so wohltuend, daß Licht und Schatten auf
beide Seite» gerecht verteilt sind.


Grenzboten II 1907 47
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/365>, abgerufen am 06.02.2025.