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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland in französischer Beleuchtung

sie nicht mehr wie früher durch ihren Absatz erführen, wie es auf dem Welt¬
markte zuginge, da sie fast nie wüßten, wohin ihre Produkte vom Verbände
geschickt würden.

Über das Kohlen- und Kokssyndikat sind ihm Aufschlüsse gegeben worden,
die nicht minder interessant sind: das Rnhrbecken umfasse fünfzig bis sechzig
große Minengesellschaften, zwischen denen jahrelang ein erbitterter Konkurrenz¬
kampf geherrscht habe. Erst nach fünfjährigen Vorverhandlungen sei es ge¬
glückt, zuerst das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat und zehn Jahre später
das Koth- und das Brikettsyndikat zustandezubringen. Huret bemerkt, ihm
sei auf seinen Einwand, daß es doch außerordentlich gefährlich sei, die Preis¬
festsetzung einer so unentbehrlichen Materie wie der Kohle in die Hand eines
Syndikats zu legen, erwidert worden, daß das Syndikat den Bogen nicht
überspannen könne, ohne von den Kohle verbrauchenden Industrien in der
Öffentlichkeit diskreditiert zu werden, daß andrerseits aber durch die erreichte
Stabilisierung der Kohlenpreisc das Los von etwa 300000 Bergbauarbeitern,
die vorher ganz von der schwankenden Konjunktur abgehangen hätten, gesichert
worden sei.

Niemand wird behaupten wollen, daß mit diesen Erklärungen die Be¬
denken beseitigt worden sind, die durch die einseitige Preisfestsetzung des
Kohlensyndikats geweckt werden, da jedesmal, wenn die Kohlenpreise steigen,
natürlich auch die Preise aller Produkte infolge der dann höher gewordnen
Produktionskosten steigen müssen. Natürlich werden schließlich auch die Löhne
der Bergarbeiter steigen, da sie ja alle Konsumartikel teurer als früher bezahlen
müssen. Nimmt dieses dann das Kvhlensyndikat wieder zum Motiv für eine
weitere Erhöhung der Kohlenpreise, so ist die Schraube ohne Ende fertig.
Die natürliche Folge wird sein, daß der Staat früher oder später wird ein¬
schreiten und die Preisfestsetzung für die Kohle in die Hand nehmen müssen.

Mehr als andre Industrien, ja mehr als die Kruppschen und Ehrhardtschen
Etablissements, von denen er nicht viel neues zu erzählen weiß, hat Huret
die chemische Industrie imponiert, deren gewaltige statistische Ziffern ihm vor
Augen geführt haben, wie sehr Frankreich auf diesem Gebiete zurückgeblieben
und ins Hintertreffen geraten ist. Als Gründe des ungeheuern Aufschwungs
der deutschen chemischen Industrie gibt er an: die Wissenschaftlichkeit, das
Organisationstalent, die Ordnungsliebe und die Hartnäckigkeit. Die Zahl der
in jeder Fabrik beschäftigten Gelehrten, die ständig Versuche machten, sei ganz
erstaunlich. In Mainkur habe man ihm 3000 Farbennuancen gezeigt, darunter
300 schwarze Nuancen. Trotzdem seien 190 Chemiker beschäftigt, neue Farben
zu erfinden, die besser oder billiger als die bisherigen sein müssen, wenn sie vom
Handel angenommen werden sollen.

In den Hansestädten hat Huret sich am längsten aufgehalten und mit
wahrem Bienenfleiß seine Beobachtungen über das dort in so mächtigem
Schlage pulsierende Leben des Welthandels und der überseeischen Schiffahrt


Deutschland in französischer Beleuchtung

sie nicht mehr wie früher durch ihren Absatz erführen, wie es auf dem Welt¬
markte zuginge, da sie fast nie wüßten, wohin ihre Produkte vom Verbände
geschickt würden.

Über das Kohlen- und Kokssyndikat sind ihm Aufschlüsse gegeben worden,
die nicht minder interessant sind: das Rnhrbecken umfasse fünfzig bis sechzig
große Minengesellschaften, zwischen denen jahrelang ein erbitterter Konkurrenz¬
kampf geherrscht habe. Erst nach fünfjährigen Vorverhandlungen sei es ge¬
glückt, zuerst das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat und zehn Jahre später
das Koth- und das Brikettsyndikat zustandezubringen. Huret bemerkt, ihm
sei auf seinen Einwand, daß es doch außerordentlich gefährlich sei, die Preis¬
festsetzung einer so unentbehrlichen Materie wie der Kohle in die Hand eines
Syndikats zu legen, erwidert worden, daß das Syndikat den Bogen nicht
überspannen könne, ohne von den Kohle verbrauchenden Industrien in der
Öffentlichkeit diskreditiert zu werden, daß andrerseits aber durch die erreichte
Stabilisierung der Kohlenpreisc das Los von etwa 300000 Bergbauarbeitern,
die vorher ganz von der schwankenden Konjunktur abgehangen hätten, gesichert
worden sei.

Niemand wird behaupten wollen, daß mit diesen Erklärungen die Be¬
denken beseitigt worden sind, die durch die einseitige Preisfestsetzung des
Kohlensyndikats geweckt werden, da jedesmal, wenn die Kohlenpreise steigen,
natürlich auch die Preise aller Produkte infolge der dann höher gewordnen
Produktionskosten steigen müssen. Natürlich werden schließlich auch die Löhne
der Bergarbeiter steigen, da sie ja alle Konsumartikel teurer als früher bezahlen
müssen. Nimmt dieses dann das Kvhlensyndikat wieder zum Motiv für eine
weitere Erhöhung der Kohlenpreise, so ist die Schraube ohne Ende fertig.
Die natürliche Folge wird sein, daß der Staat früher oder später wird ein¬
schreiten und die Preisfestsetzung für die Kohle in die Hand nehmen müssen.

Mehr als andre Industrien, ja mehr als die Kruppschen und Ehrhardtschen
Etablissements, von denen er nicht viel neues zu erzählen weiß, hat Huret
die chemische Industrie imponiert, deren gewaltige statistische Ziffern ihm vor
Augen geführt haben, wie sehr Frankreich auf diesem Gebiete zurückgeblieben
und ins Hintertreffen geraten ist. Als Gründe des ungeheuern Aufschwungs
der deutschen chemischen Industrie gibt er an: die Wissenschaftlichkeit, das
Organisationstalent, die Ordnungsliebe und die Hartnäckigkeit. Die Zahl der
in jeder Fabrik beschäftigten Gelehrten, die ständig Versuche machten, sei ganz
erstaunlich. In Mainkur habe man ihm 3000 Farbennuancen gezeigt, darunter
300 schwarze Nuancen. Trotzdem seien 190 Chemiker beschäftigt, neue Farben
zu erfinden, die besser oder billiger als die bisherigen sein müssen, wenn sie vom
Handel angenommen werden sollen.

In den Hansestädten hat Huret sich am längsten aufgehalten und mit
wahrem Bienenfleiß seine Beobachtungen über das dort in so mächtigem
Schlage pulsierende Leben des Welthandels und der überseeischen Schiffahrt


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[0351] Deutschland in französischer Beleuchtung sie nicht mehr wie früher durch ihren Absatz erführen, wie es auf dem Welt¬ markte zuginge, da sie fast nie wüßten, wohin ihre Produkte vom Verbände geschickt würden. Über das Kohlen- und Kokssyndikat sind ihm Aufschlüsse gegeben worden, die nicht minder interessant sind: das Rnhrbecken umfasse fünfzig bis sechzig große Minengesellschaften, zwischen denen jahrelang ein erbitterter Konkurrenz¬ kampf geherrscht habe. Erst nach fünfjährigen Vorverhandlungen sei es ge¬ glückt, zuerst das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat und zehn Jahre später das Koth- und das Brikettsyndikat zustandezubringen. Huret bemerkt, ihm sei auf seinen Einwand, daß es doch außerordentlich gefährlich sei, die Preis¬ festsetzung einer so unentbehrlichen Materie wie der Kohle in die Hand eines Syndikats zu legen, erwidert worden, daß das Syndikat den Bogen nicht überspannen könne, ohne von den Kohle verbrauchenden Industrien in der Öffentlichkeit diskreditiert zu werden, daß andrerseits aber durch die erreichte Stabilisierung der Kohlenpreisc das Los von etwa 300000 Bergbauarbeitern, die vorher ganz von der schwankenden Konjunktur abgehangen hätten, gesichert worden sei. Niemand wird behaupten wollen, daß mit diesen Erklärungen die Be¬ denken beseitigt worden sind, die durch die einseitige Preisfestsetzung des Kohlensyndikats geweckt werden, da jedesmal, wenn die Kohlenpreise steigen, natürlich auch die Preise aller Produkte infolge der dann höher gewordnen Produktionskosten steigen müssen. Natürlich werden schließlich auch die Löhne der Bergarbeiter steigen, da sie ja alle Konsumartikel teurer als früher bezahlen müssen. Nimmt dieses dann das Kvhlensyndikat wieder zum Motiv für eine weitere Erhöhung der Kohlenpreise, so ist die Schraube ohne Ende fertig. Die natürliche Folge wird sein, daß der Staat früher oder später wird ein¬ schreiten und die Preisfestsetzung für die Kohle in die Hand nehmen müssen. Mehr als andre Industrien, ja mehr als die Kruppschen und Ehrhardtschen Etablissements, von denen er nicht viel neues zu erzählen weiß, hat Huret die chemische Industrie imponiert, deren gewaltige statistische Ziffern ihm vor Augen geführt haben, wie sehr Frankreich auf diesem Gebiete zurückgeblieben und ins Hintertreffen geraten ist. Als Gründe des ungeheuern Aufschwungs der deutschen chemischen Industrie gibt er an: die Wissenschaftlichkeit, das Organisationstalent, die Ordnungsliebe und die Hartnäckigkeit. Die Zahl der in jeder Fabrik beschäftigten Gelehrten, die ständig Versuche machten, sei ganz erstaunlich. In Mainkur habe man ihm 3000 Farbennuancen gezeigt, darunter 300 schwarze Nuancen. Trotzdem seien 190 Chemiker beschäftigt, neue Farben zu erfinden, die besser oder billiger als die bisherigen sein müssen, wenn sie vom Handel angenommen werden sollen. In den Hansestädten hat Huret sich am längsten aufgehalten und mit wahrem Bienenfleiß seine Beobachtungen über das dort in so mächtigem Schlage pulsierende Leben des Welthandels und der überseeischen Schiffahrt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/351>, abgerufen am 06.02.2025.