Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wille, der bindende Kraft hat für die Staatsbürger, bei dessen Zustandekommen
aber zugleich der Wille der Staatsbürger mitgewirkt hat. Für die Staatswillen¬
bildung ist dieser unentbehrlich geworden durch das Recht, das der Konstitutionalis-
mus dem Volk in die Hand gegeben, und das von diesem mit Macht genutzt wird.
Gleichberechtigt sieht sich den Staatsausgaben gegenüber der Reichstag neben dem
Bundesrat. Ja auch nach einem "Über" hat man das Bestreben schon betätigt.
Erst ganz kürzlich ist der Reichskanzler Fürst Bülow einem solchen Unterfangen,
die Regierung "ducken" zu wollen, in wirksamer Parade entgegengetreten. Für
die Begrenzung der Kompetenzen von Bundesrat und Reichstag wurde bei dieser
Gelegenheit der Anfangssatz von Artikel 5 der Reichsverfassung angeführt: "Die
Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag", und
es wurde dabei betont, daß dem Reichstag wohl Gleichberechtigung zugestanden
würde, nicht aber eine übergeordnete Stellung gegenüber dem Bundesrat.

Ist aber staatsrechtlich streng genommen überhaupt der Reichstag dem Bundes¬
rat mit bezug auf die Reichsgesetzgebung völlig gleich an Rechten, ist er wirklich
Mitgesetzgeber? Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt die Antwort. Der mit
bindender Kraft für die Staatsbürger zum Ausdruck gebrachte Wille, den wir Gesetz
nennen, birgt zweierlei: den Willensinhalt, die Idee und die Willensverkündi¬
gung, den Machtspruch its, ius ssto. Die Gesetzesidee wird zunächst in einem,
gleichgiltig von wem, ob Privatmann, Gelehrten, Behörde verfaßten inoffiziellen
Entwurf fixiert. Ein solcher nicht offizieller Entwurf kann nun durch die Initiative
von Kaiser, Bundesrat oder Reichstag zu einem offiziellen erhoben werden. Tut dies
der Reichstag zuerst, so muß sich der Bundesrat darüber schlüssig machen. Dasselbe
ist umgekehrt der Reichstag gegenüber einem Bundesratsentwurf zu tun verpflichtet.

Nimmt der Reichstag nun einen Bundesratsentwurf an, so hat das nur die
Bedeutung einer zwischen Bundesrat und Reichstag zustandegekommnen Verein¬
barung, wonach der Reichstag damit einverstanden ist, daß jener Entwurf Gesetz
werde. Also die Annahme des Bundesratsentwurfs durch den Reichstag erzeugt
noch kein Reichsgesetz, wiewohl der Wortlaut des Artikels 5 der Reichsverfassung
sehr leicht zu dieser irrigen Anschauung verleitet. Wenn er ausspricht, daß die
Reichsgesetzgebung durch den Bundesrat und den Reichstag ausgeübt werde, so soll
damit eben gesagt sein, die Bestimmung des Gesetzesinhaltes, des Rechts¬
gedankens sei der gemeinsamen Tätigkeit von Bundesrat und Reichstag anheim¬
gestellt. In dieser Funktion sind beide Faktoren des Reichs gleichberechtigt, denn
jener Akt, der die Reichsidee schuf, sodaß sie nur noch den Stempel der Souveränität
zu bekommen hat, ist kein Akt der Reichsgewalt, sondern ein Akt der Vereinbarung
zwischen der Reichsgewalt und dem deutschen Volk, das durch den Reichstag spricht.
Damit aber ein Gesetz entstehe, muß jeuer inhaltlich vereinbarungsgemäß festgestellte
Staatswille noch formell mit bindender Rechtskraft ausgesprochen werden. Und
das ist lediglich Sache der Staatsgewalt. Sie allein kann sagen: "So soll es Recht
sein!" Sie allein kann das Volk binden. Dieses ist an der Erhebung eines Entwurfs
zum Gesetz, dem eigentlichen Akt der Gesetzgebung, überhaupt nicht beteiligt.

Anders ist die staatsrechtliche Stellung der Landtage in den beiden Mecklen¬
burg und der Bürgerschaften in den Städterepubliken Bremen, Hamburg, Lübeck.
Diese Landtage und diese Bürgerschaften sind Mitgesetzgeber und stehen bezüglich
der Ausübung der Staatsgewalt völlig gleichberechtigt neben der Regierung, d. h. in
Mecklenburg dem Monarchen und in den Städten neben den Senaten. Der Ge¬
setzgeber des Deutschen Reiches aber ist einzig und allein der Bundesrat. Durch
ihn handelt der Reichssouverän, durch ihn wird das Reichsvolk rechtlich verpflichtet
und berechtigt. In seinen Händen liegen die drei ordentlichen Akte der Gesetz¬
gebung: die Beschlußfassung, die Gesetzesausfertigung und die Gesetzesverkündignng.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wille, der bindende Kraft hat für die Staatsbürger, bei dessen Zustandekommen
aber zugleich der Wille der Staatsbürger mitgewirkt hat. Für die Staatswillen¬
bildung ist dieser unentbehrlich geworden durch das Recht, das der Konstitutionalis-
mus dem Volk in die Hand gegeben, und das von diesem mit Macht genutzt wird.
Gleichberechtigt sieht sich den Staatsausgaben gegenüber der Reichstag neben dem
Bundesrat. Ja auch nach einem „Über" hat man das Bestreben schon betätigt.
Erst ganz kürzlich ist der Reichskanzler Fürst Bülow einem solchen Unterfangen,
die Regierung „ducken" zu wollen, in wirksamer Parade entgegengetreten. Für
die Begrenzung der Kompetenzen von Bundesrat und Reichstag wurde bei dieser
Gelegenheit der Anfangssatz von Artikel 5 der Reichsverfassung angeführt: „Die
Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag", und
es wurde dabei betont, daß dem Reichstag wohl Gleichberechtigung zugestanden
würde, nicht aber eine übergeordnete Stellung gegenüber dem Bundesrat.

Ist aber staatsrechtlich streng genommen überhaupt der Reichstag dem Bundes¬
rat mit bezug auf die Reichsgesetzgebung völlig gleich an Rechten, ist er wirklich
Mitgesetzgeber? Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt die Antwort. Der mit
bindender Kraft für die Staatsbürger zum Ausdruck gebrachte Wille, den wir Gesetz
nennen, birgt zweierlei: den Willensinhalt, die Idee und die Willensverkündi¬
gung, den Machtspruch its, ius ssto. Die Gesetzesidee wird zunächst in einem,
gleichgiltig von wem, ob Privatmann, Gelehrten, Behörde verfaßten inoffiziellen
Entwurf fixiert. Ein solcher nicht offizieller Entwurf kann nun durch die Initiative
von Kaiser, Bundesrat oder Reichstag zu einem offiziellen erhoben werden. Tut dies
der Reichstag zuerst, so muß sich der Bundesrat darüber schlüssig machen. Dasselbe
ist umgekehrt der Reichstag gegenüber einem Bundesratsentwurf zu tun verpflichtet.

Nimmt der Reichstag nun einen Bundesratsentwurf an, so hat das nur die
Bedeutung einer zwischen Bundesrat und Reichstag zustandegekommnen Verein¬
barung, wonach der Reichstag damit einverstanden ist, daß jener Entwurf Gesetz
werde. Also die Annahme des Bundesratsentwurfs durch den Reichstag erzeugt
noch kein Reichsgesetz, wiewohl der Wortlaut des Artikels 5 der Reichsverfassung
sehr leicht zu dieser irrigen Anschauung verleitet. Wenn er ausspricht, daß die
Reichsgesetzgebung durch den Bundesrat und den Reichstag ausgeübt werde, so soll
damit eben gesagt sein, die Bestimmung des Gesetzesinhaltes, des Rechts¬
gedankens sei der gemeinsamen Tätigkeit von Bundesrat und Reichstag anheim¬
gestellt. In dieser Funktion sind beide Faktoren des Reichs gleichberechtigt, denn
jener Akt, der die Reichsidee schuf, sodaß sie nur noch den Stempel der Souveränität
zu bekommen hat, ist kein Akt der Reichsgewalt, sondern ein Akt der Vereinbarung
zwischen der Reichsgewalt und dem deutschen Volk, das durch den Reichstag spricht.
Damit aber ein Gesetz entstehe, muß jeuer inhaltlich vereinbarungsgemäß festgestellte
Staatswille noch formell mit bindender Rechtskraft ausgesprochen werden. Und
das ist lediglich Sache der Staatsgewalt. Sie allein kann sagen: „So soll es Recht
sein!" Sie allein kann das Volk binden. Dieses ist an der Erhebung eines Entwurfs
zum Gesetz, dem eigentlichen Akt der Gesetzgebung, überhaupt nicht beteiligt.

Anders ist die staatsrechtliche Stellung der Landtage in den beiden Mecklen¬
burg und der Bürgerschaften in den Städterepubliken Bremen, Hamburg, Lübeck.
Diese Landtage und diese Bürgerschaften sind Mitgesetzgeber und stehen bezüglich
der Ausübung der Staatsgewalt völlig gleichberechtigt neben der Regierung, d. h. in
Mecklenburg dem Monarchen und in den Städten neben den Senaten. Der Ge¬
setzgeber des Deutschen Reiches aber ist einzig und allein der Bundesrat. Durch
ihn handelt der Reichssouverän, durch ihn wird das Reichsvolk rechtlich verpflichtet
und berechtigt. In seinen Händen liegen die drei ordentlichen Akte der Gesetz¬
gebung: die Beschlußfassung, die Gesetzesausfertigung und die Gesetzesverkündignng.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302316"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1412" prev="#ID_1411"> Wille, der bindende Kraft hat für die Staatsbürger, bei dessen Zustandekommen<lb/>
aber zugleich der Wille der Staatsbürger mitgewirkt hat. Für die Staatswillen¬<lb/>
bildung ist dieser unentbehrlich geworden durch das Recht, das der Konstitutionalis-<lb/>
mus dem Volk in die Hand gegeben, und das von diesem mit Macht genutzt wird.<lb/>
Gleichberechtigt sieht sich den Staatsausgaben gegenüber der Reichstag neben dem<lb/>
Bundesrat. Ja auch nach einem &#x201E;Über" hat man das Bestreben schon betätigt.<lb/>
Erst ganz kürzlich ist der Reichskanzler Fürst Bülow einem solchen Unterfangen,<lb/>
die Regierung &#x201E;ducken" zu wollen, in wirksamer Parade entgegengetreten. Für<lb/>
die Begrenzung der Kompetenzen von Bundesrat und Reichstag wurde bei dieser<lb/>
Gelegenheit der Anfangssatz von Artikel 5 der Reichsverfassung angeführt: &#x201E;Die<lb/>
Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag", und<lb/>
es wurde dabei betont, daß dem Reichstag wohl Gleichberechtigung zugestanden<lb/>
würde, nicht aber eine übergeordnete Stellung gegenüber dem Bundesrat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1413"> Ist aber staatsrechtlich streng genommen überhaupt der Reichstag dem Bundes¬<lb/>
rat mit bezug auf die Reichsgesetzgebung völlig gleich an Rechten, ist er wirklich<lb/>
Mitgesetzgeber? Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt die Antwort. Der mit<lb/>
bindender Kraft für die Staatsbürger zum Ausdruck gebrachte Wille, den wir Gesetz<lb/>
nennen, birgt zweierlei: den Willensinhalt, die Idee und die Willensverkündi¬<lb/>
gung, den Machtspruch its, ius ssto. Die Gesetzesidee wird zunächst in einem,<lb/>
gleichgiltig von wem, ob Privatmann, Gelehrten, Behörde verfaßten inoffiziellen<lb/>
Entwurf fixiert. Ein solcher nicht offizieller Entwurf kann nun durch die Initiative<lb/>
von Kaiser, Bundesrat oder Reichstag zu einem offiziellen erhoben werden. Tut dies<lb/>
der Reichstag zuerst, so muß sich der Bundesrat darüber schlüssig machen. Dasselbe<lb/>
ist umgekehrt der Reichstag gegenüber einem Bundesratsentwurf zu tun verpflichtet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1414"> Nimmt der Reichstag nun einen Bundesratsentwurf an, so hat das nur die<lb/>
Bedeutung einer zwischen Bundesrat und Reichstag zustandegekommnen Verein¬<lb/>
barung, wonach der Reichstag damit einverstanden ist, daß jener Entwurf Gesetz<lb/>
werde. Also die Annahme des Bundesratsentwurfs durch den Reichstag erzeugt<lb/>
noch kein Reichsgesetz, wiewohl der Wortlaut des Artikels 5 der Reichsverfassung<lb/>
sehr leicht zu dieser irrigen Anschauung verleitet. Wenn er ausspricht, daß die<lb/>
Reichsgesetzgebung durch den Bundesrat und den Reichstag ausgeübt werde, so soll<lb/>
damit eben gesagt sein, die Bestimmung des Gesetzesinhaltes, des Rechts¬<lb/>
gedankens sei der gemeinsamen Tätigkeit von Bundesrat und Reichstag anheim¬<lb/>
gestellt. In dieser Funktion sind beide Faktoren des Reichs gleichberechtigt, denn<lb/>
jener Akt, der die Reichsidee schuf, sodaß sie nur noch den Stempel der Souveränität<lb/>
zu bekommen hat, ist kein Akt der Reichsgewalt, sondern ein Akt der Vereinbarung<lb/>
zwischen der Reichsgewalt und dem deutschen Volk, das durch den Reichstag spricht.<lb/>
Damit aber ein Gesetz entstehe, muß jeuer inhaltlich vereinbarungsgemäß festgestellte<lb/>
Staatswille noch formell mit bindender Rechtskraft ausgesprochen werden. Und<lb/>
das ist lediglich Sache der Staatsgewalt. Sie allein kann sagen: &#x201E;So soll es Recht<lb/>
sein!" Sie allein kann das Volk binden. Dieses ist an der Erhebung eines Entwurfs<lb/>
zum Gesetz, dem eigentlichen Akt der Gesetzgebung, überhaupt nicht beteiligt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1415" next="#ID_1416"> Anders ist die staatsrechtliche Stellung der Landtage in den beiden Mecklen¬<lb/>
burg und der Bürgerschaften in den Städterepubliken Bremen, Hamburg, Lübeck.<lb/>
Diese Landtage und diese Bürgerschaften sind Mitgesetzgeber und stehen bezüglich<lb/>
der Ausübung der Staatsgewalt völlig gleichberechtigt neben der Regierung, d. h. in<lb/>
Mecklenburg dem Monarchen und in den Städten neben den Senaten. Der Ge¬<lb/>
setzgeber des Deutschen Reiches aber ist einzig und allein der Bundesrat. Durch<lb/>
ihn handelt der Reichssouverän, durch ihn wird das Reichsvolk rechtlich verpflichtet<lb/>
und berechtigt. In seinen Händen liegen die drei ordentlichen Akte der Gesetz¬<lb/>
gebung: die Beschlußfassung, die Gesetzesausfertigung und die Gesetzesverkündignng.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0328] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wille, der bindende Kraft hat für die Staatsbürger, bei dessen Zustandekommen aber zugleich der Wille der Staatsbürger mitgewirkt hat. Für die Staatswillen¬ bildung ist dieser unentbehrlich geworden durch das Recht, das der Konstitutionalis- mus dem Volk in die Hand gegeben, und das von diesem mit Macht genutzt wird. Gleichberechtigt sieht sich den Staatsausgaben gegenüber der Reichstag neben dem Bundesrat. Ja auch nach einem „Über" hat man das Bestreben schon betätigt. Erst ganz kürzlich ist der Reichskanzler Fürst Bülow einem solchen Unterfangen, die Regierung „ducken" zu wollen, in wirksamer Parade entgegengetreten. Für die Begrenzung der Kompetenzen von Bundesrat und Reichstag wurde bei dieser Gelegenheit der Anfangssatz von Artikel 5 der Reichsverfassung angeführt: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat und den Reichstag", und es wurde dabei betont, daß dem Reichstag wohl Gleichberechtigung zugestanden würde, nicht aber eine übergeordnete Stellung gegenüber dem Bundesrat. Ist aber staatsrechtlich streng genommen überhaupt der Reichstag dem Bundes¬ rat mit bezug auf die Reichsgesetzgebung völlig gleich an Rechten, ist er wirklich Mitgesetzgeber? Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gibt die Antwort. Der mit bindender Kraft für die Staatsbürger zum Ausdruck gebrachte Wille, den wir Gesetz nennen, birgt zweierlei: den Willensinhalt, die Idee und die Willensverkündi¬ gung, den Machtspruch its, ius ssto. Die Gesetzesidee wird zunächst in einem, gleichgiltig von wem, ob Privatmann, Gelehrten, Behörde verfaßten inoffiziellen Entwurf fixiert. Ein solcher nicht offizieller Entwurf kann nun durch die Initiative von Kaiser, Bundesrat oder Reichstag zu einem offiziellen erhoben werden. Tut dies der Reichstag zuerst, so muß sich der Bundesrat darüber schlüssig machen. Dasselbe ist umgekehrt der Reichstag gegenüber einem Bundesratsentwurf zu tun verpflichtet. Nimmt der Reichstag nun einen Bundesratsentwurf an, so hat das nur die Bedeutung einer zwischen Bundesrat und Reichstag zustandegekommnen Verein¬ barung, wonach der Reichstag damit einverstanden ist, daß jener Entwurf Gesetz werde. Also die Annahme des Bundesratsentwurfs durch den Reichstag erzeugt noch kein Reichsgesetz, wiewohl der Wortlaut des Artikels 5 der Reichsverfassung sehr leicht zu dieser irrigen Anschauung verleitet. Wenn er ausspricht, daß die Reichsgesetzgebung durch den Bundesrat und den Reichstag ausgeübt werde, so soll damit eben gesagt sein, die Bestimmung des Gesetzesinhaltes, des Rechts¬ gedankens sei der gemeinsamen Tätigkeit von Bundesrat und Reichstag anheim¬ gestellt. In dieser Funktion sind beide Faktoren des Reichs gleichberechtigt, denn jener Akt, der die Reichsidee schuf, sodaß sie nur noch den Stempel der Souveränität zu bekommen hat, ist kein Akt der Reichsgewalt, sondern ein Akt der Vereinbarung zwischen der Reichsgewalt und dem deutschen Volk, das durch den Reichstag spricht. Damit aber ein Gesetz entstehe, muß jeuer inhaltlich vereinbarungsgemäß festgestellte Staatswille noch formell mit bindender Rechtskraft ausgesprochen werden. Und das ist lediglich Sache der Staatsgewalt. Sie allein kann sagen: „So soll es Recht sein!" Sie allein kann das Volk binden. Dieses ist an der Erhebung eines Entwurfs zum Gesetz, dem eigentlichen Akt der Gesetzgebung, überhaupt nicht beteiligt. Anders ist die staatsrechtliche Stellung der Landtage in den beiden Mecklen¬ burg und der Bürgerschaften in den Städterepubliken Bremen, Hamburg, Lübeck. Diese Landtage und diese Bürgerschaften sind Mitgesetzgeber und stehen bezüglich der Ausübung der Staatsgewalt völlig gleichberechtigt neben der Regierung, d. h. in Mecklenburg dem Monarchen und in den Städten neben den Senaten. Der Ge¬ setzgeber des Deutschen Reiches aber ist einzig und allein der Bundesrat. Durch ihn handelt der Reichssouverän, durch ihn wird das Reichsvolk rechtlich verpflichtet und berechtigt. In seinen Händen liegen die drei ordentlichen Akte der Gesetz¬ gebung: die Beschlußfassung, die Gesetzesausfertigung und die Gesetzesverkündignng.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/328
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/328>, abgerufen am 06.02.2025.