Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß I" diesen, Augenblick regte sich der berühmte Vater auf dem Diwan, stöhnte Ach Anneliese, sagte er, ich habe wohl geschlafen? Ja Vater, mindestens eine halbe Stunde. Ich glaube, du hast sogar ge¬ Ja, ich habe geträumt. Und dazu einen recht fatalen Traum. Ich hatte Er saß jetzt auf seinem Lager, strich sich das Haar aus der feuchten Stirn Du hast wohl wirklich etwas verloren, Väterchen? fragte sie. Er warf ihr einen mißtrauischen Blick zu und ging zu den Rocktaschen über. Ja, allerdings, erwiderte er, ich habe etwas verloren. Meinen Taschenkamm, Sie half ihm suchen, griff in die Vertiefungen des Polsters und strich mit Es ist wirklich zu fatal, sagte er, ganz erhitzt vom Suchen, und dabei muß Ach Alterchen, erwiderte sie, während sie ihm die Wangen streichelte, die Man kann nie wissen, wies kommt, sagte er und bemühte sich zu lächeln. Und die Stimme in seinem Innern sollte Recht behalten: als er am Spät¬ Wenn ihr eure Glückwünsche an den Mann bringen wollt, dann geht zu Heinz Lenzmann war ein unverbesserlicher Optimist. Als er mit der Haselnuß Droben auf dem Flur vor seiner Kammer empfing ihn die Hausmannsfrau, Fix, fix, Herr Lenzmann, es wartet jemand auf Sie. Der Geldbriefträger? fragte er. I -- nee! Der Gerichtsvollzieher? Die Haselnuß I» diesen, Augenblick regte sich der berühmte Vater auf dem Diwan, stöhnte Ach Anneliese, sagte er, ich habe wohl geschlafen? Ja Vater, mindestens eine halbe Stunde. Ich glaube, du hast sogar ge¬ Ja, ich habe geträumt. Und dazu einen recht fatalen Traum. Ich hatte Er saß jetzt auf seinem Lager, strich sich das Haar aus der feuchten Stirn Du hast wohl wirklich etwas verloren, Väterchen? fragte sie. Er warf ihr einen mißtrauischen Blick zu und ging zu den Rocktaschen über. Ja, allerdings, erwiderte er, ich habe etwas verloren. Meinen Taschenkamm, Sie half ihm suchen, griff in die Vertiefungen des Polsters und strich mit Es ist wirklich zu fatal, sagte er, ganz erhitzt vom Suchen, und dabei muß Ach Alterchen, erwiderte sie, während sie ihm die Wangen streichelte, die Man kann nie wissen, wies kommt, sagte er und bemühte sich zu lächeln. Und die Stimme in seinem Innern sollte Recht behalten: als er am Spät¬ Wenn ihr eure Glückwünsche an den Mann bringen wollt, dann geht zu Heinz Lenzmann war ein unverbesserlicher Optimist. Als er mit der Haselnuß Droben auf dem Flur vor seiner Kammer empfing ihn die Hausmannsfrau, Fix, fix, Herr Lenzmann, es wartet jemand auf Sie. Der Geldbriefträger? fragte er. I — nee! Der Gerichtsvollzieher? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302307"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_1343"> I» diesen, Augenblick regte sich der berühmte Vater auf dem Diwan, stöhnte<lb/> wie in einem bösen Traume befangen und richtete sich ans.</p><lb/> <p xml:id="ID_1344"> Ach Anneliese, sagte er, ich habe wohl geschlafen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1345"> Ja Vater, mindestens eine halbe Stunde. Ich glaube, du hast sogar ge¬<lb/> träumt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1346"> Ja, ich habe geträumt. Und dazu einen recht fatalen Traum. Ich hatte<lb/> etwas verloren und suchte und suchte, aber alles war umsonst, und darüber er¬<lb/> wachte ich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1347"> Er saß jetzt auf seinem Lager, strich sich das Haar aus der feuchten Stirn<lb/> und griff mit nervöser Hast in alle vier Westentaschen. 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Die Haselnuß
I» diesen, Augenblick regte sich der berühmte Vater auf dem Diwan, stöhnte
wie in einem bösen Traume befangen und richtete sich ans.
Ach Anneliese, sagte er, ich habe wohl geschlafen?
Ja Vater, mindestens eine halbe Stunde. Ich glaube, du hast sogar ge¬
träumt.
Ja, ich habe geträumt. Und dazu einen recht fatalen Traum. Ich hatte
etwas verloren und suchte und suchte, aber alles war umsonst, und darüber er¬
wachte ich.
Er saß jetzt auf seinem Lager, strich sich das Haar aus der feuchten Stirn
und griff mit nervöser Hast in alle vier Westentaschen. Sogar der liebenden
Tochter fiel es auf, daß er in diesem Moment mehr sonderbar als bedeutend
aussah.
Du hast wohl wirklich etwas verloren, Väterchen? fragte sie.
Er warf ihr einen mißtrauischen Blick zu und ging zu den Rocktaschen über.
Ja, allerdings, erwiderte er, ich habe etwas verloren. Meinen Taschenkamm,
wenn du es durchaus wissen mußt.
Sie half ihm suchen, griff in die Vertiefungen des Polsters und strich mit
der flachen Hand über das weiche dichte Vlies des Smyrnatcppichs. Natürlich
fand sich der Kamm nicht, das war aber schon deshalb erklärlich, weil er dem
Herrn Geheimrat vor vier Wochen bei einem Ausflug in die Sächsische Schweiz
abhanden gekommen war.
Es ist wirklich zu fatal, sagte er, ganz erhitzt vom Suchen, und dabei muß
ich nachher zur Rektorwahl.
Ach Alterchen, erwiderte sie, während sie ihm die Wangen streichelte, die
Glückwünsche deiner Kollegen wirst du wohl auch ohne den Taschenkamm entgegen¬
nehmen können. Denn daß sie dich wählen werden, das bezweifelst du doch Wohl
selbst nicht. Wir Juristen sind ja an der Reihe, und in der Fakultät hast du doch
keinen Rivalen.
Man kann nie wissen, wies kommt, sagte er und bemühte sich zu lächeln.
Aber er fühlte selbst am deutlichsten, daß seine frohe Zuversicht mit einemmal einer
seltsamen Mutlosigkeit gewichen war.
Und die Stimme in seinem Innern sollte Recht behalten: als er am Spät¬
nachmittage nach Hause kam, und Frau und Tochter ihm auf der Treppe entgegen¬
eilten, um ihn als Magnifizenz zu begrüßen, winkte er ab und sagte bitter:
Wenn ihr eure Glückwünsche an den Mann bringen wollt, dann geht zu
Schmidt. Er ists geworden!
Heinz Lenzmann war ein unverbesserlicher Optimist. Als er mit der Haselnuß
in der Tasche seiner mehr als bescheidnen Dachwohnung zuwanderte, sagte er zu
sich: Das war doch endlich einmal ein kleines Zeichen, daß ich ihr nicht ganz
gleichgiltig bin. Schade, daß sie keine Rose zur Hand hatte! Das wäre poetischer
gewesen.
Droben auf dem Flur vor seiner Kammer empfing ihn die Hausmannsfrau,
seine Wirtin, mit den Worten:
Fix, fix, Herr Lenzmann, es wartet jemand auf Sie.
Der Geldbriefträger? fragte er.
I — nee!
Der Gerichtsvollzieher?
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