Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß Gesichter glitt ein Schimmer der Befriedigung, als der Ersehnte endlich erschien. Nun wurden die Leute aus dem Wartezimmer einer nach dem andern vor¬ Bei den Terminen, wo er zu sprechen hatte, erwies sich der größte Ver¬ In den Kreisen der Berufsgenossen sprach man von nichts anderm mehr als Nun hatte Amalie aber einen Onkel, der eine einflußreiche Stelle im Justiz¬ Die Haselnuß Gesichter glitt ein Schimmer der Befriedigung, als der Ersehnte endlich erschien. Nun wurden die Leute aus dem Wartezimmer einer nach dem andern vor¬ Bei den Terminen, wo er zu sprechen hatte, erwies sich der größte Ver¬ In den Kreisen der Berufsgenossen sprach man von nichts anderm mehr als Nun hatte Amalie aber einen Onkel, der eine einflußreiche Stelle im Justiz¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302304"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_1328" prev="#ID_1327"> Gesichter glitt ein Schimmer der Befriedigung, als der Ersehnte endlich erschien.<lb/> So etwas hatte der junge Jurist bisher noch nicht erlebt. Aber er fand sich<lb/> merkwürdig schnell in die Rolle des gesuchten Urwalds, durchmaß das Wartezimmer<lb/> mit raschen Schritten, grüßte kurz und geschäftsmäßig nach rechts und links und<lb/> ließ sich im Bureau an seinem Schreibtisch nieder. Dort lag ein ganzer Stoß<lb/> Briefe mit Stempeln und Siegeln von Gerichten, Behörden und Standespersonen,<lb/> aber ehe er noch Zeit fand, sie näher anzusehen, trat schon der Bureauvorstaud<lb/> zu ihm und meldete, soeben sei Herr Direktor Harkort von der Leipzig-Dresdner<lb/> Bahn dagewesen und habe Herrn Schrödter in einer dringlichen Angelegenheit<lb/> sprechen wollen. Wenn er die Andeutungen des Direktors recht verstanden habe,<lb/> so beabsichtige man im Direktorium, Herrn Schrödter das Amt eines Syndikus<lb/> anzutragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1329"> Nun wurden die Leute aus dem Wartezimmer einer nach dem andern vor¬<lb/> gelassen, und da stellte es sich heraus, daß es sich, abgesehen von zwei oder drei<lb/> Bagatellsachen, um lauter schöne und einträgliche Fälle handelte. Da war eine<lb/> Erbschaftsangelegenheit, bei der das Objekt zwei Millionen Taler betrug, eine sehr<lb/> verwickelte Ehescheidungssache, aus der man ohne allzu große Mühe drei gesonderte<lb/> Prozesse machen konnte, ferner ein Streit über den Nießbrauch eines Braunkohlen¬<lb/> bergwerks, der, wie sich auf den ersten Blick erkennen ließ, eine Unzahl von<lb/> Terminen und Reisen beanspruchte und deshalb außer den Gebühren noch eine<lb/> sehr ansehnliche Einnahme ans Schriftsätzen, Reisekosten und Tagegeldern in Aus¬<lb/> sicht stellte. Keine Frage: der kleine unbekannte Advokat war mit einem Schlage<lb/> der gesuchteste Anwalt Leipzigs geworden. Den gewohnten Mittagsspaziergang<lb/> „ums Tor" mußte er aufgeben; in seiner Privatwohnung brannte bis spät in der<lb/> Nacht noch Licht, und die Leute im gegenüberliegenden Hause konnten, wenn sie ein¬<lb/> mal zu vorgerückter Stunde von einer Abendgesellschaft heimkehrten, sehen, wie<lb/> Schrödter bei einer Tasse starken Kaffees am Schreibtisch saß, Gesetzbücher wälzte<lb/> und Akte» studierte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1330"> Bei den Terminen, wo er zu sprechen hatte, erwies sich der größte Ver¬<lb/> handlungssaal des Bezirksgerichts als zu klein, das Publikum drängte sich auf den<lb/> Korridoren, um den gefeierten Juristen zu sehe» und womöglich zu hören, und<lb/> den jungen Ausländern, die zum Studium der deutschen Sprache nach Leipzig ge¬<lb/> kommen waren, wurde geraten, den Verhandlungen beizuwohnen, in denen Schrödter<lb/> plädierte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1331"> In den Kreisen der Berufsgenossen sprach man von nichts anderm mehr als<lb/> von seinem Talent und seinen Kenntnissen, die Laien bewunderten seine Schlag¬<lb/> fertigkeit und seinen Witz, und die Gerichtsdiener erzählten sich schmunzelnd allerlei<lb/> Geschichtchen, wie der Advokat gewiegte Gegner auf den Sand gesetzt und das<lb/> Richterkollegium in Verzweiflung gebracht hatte. Und so verbreitete sich denn in<lb/> Stadt und Land die Überzeugung, daß ein Prozeß, bei dem man durch Schrödter<lb/> vertreten werde, von vornherein als gewonnen zu betrachten sei. Mütter heirats¬<lb/> fähiger Töchter veranstalteten dem hoffnungsvollen jungen Mann zuliebe Bälle und<lb/> Soireen, und wenn er auch bald genug die Absicht merkte und die meisten Ein¬<lb/> ladungen dankend ablehnte, so wußte ihn die verwitwete Appellationsrätin Heyden-<lb/> reich dennoch mit Geschick und Ausdauer dahin zu bringen, daß er ihrer Amalie in<lb/> einer schwachen Stunde einen Antrag machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Nun hatte Amalie aber einen Onkel, der eine einflußreiche Stelle im Justiz¬<lb/> ministerium bekleidete, und so gelangte man in Dresden zu der Einsicht, daß sich<lb/> der Staat einen so ungewöhnlich begabten Juristen nicht entgehn lassen dürfe, und<lb/> daß es die höchste Zeit sei, ihn als Rat an das Bezirksgericht zu berufen. Schrödter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
Die Haselnuß
Gesichter glitt ein Schimmer der Befriedigung, als der Ersehnte endlich erschien.
So etwas hatte der junge Jurist bisher noch nicht erlebt. Aber er fand sich
merkwürdig schnell in die Rolle des gesuchten Urwalds, durchmaß das Wartezimmer
mit raschen Schritten, grüßte kurz und geschäftsmäßig nach rechts und links und
ließ sich im Bureau an seinem Schreibtisch nieder. Dort lag ein ganzer Stoß
Briefe mit Stempeln und Siegeln von Gerichten, Behörden und Standespersonen,
aber ehe er noch Zeit fand, sie näher anzusehen, trat schon der Bureauvorstaud
zu ihm und meldete, soeben sei Herr Direktor Harkort von der Leipzig-Dresdner
Bahn dagewesen und habe Herrn Schrödter in einer dringlichen Angelegenheit
sprechen wollen. Wenn er die Andeutungen des Direktors recht verstanden habe,
so beabsichtige man im Direktorium, Herrn Schrödter das Amt eines Syndikus
anzutragen.
Nun wurden die Leute aus dem Wartezimmer einer nach dem andern vor¬
gelassen, und da stellte es sich heraus, daß es sich, abgesehen von zwei oder drei
Bagatellsachen, um lauter schöne und einträgliche Fälle handelte. Da war eine
Erbschaftsangelegenheit, bei der das Objekt zwei Millionen Taler betrug, eine sehr
verwickelte Ehescheidungssache, aus der man ohne allzu große Mühe drei gesonderte
Prozesse machen konnte, ferner ein Streit über den Nießbrauch eines Braunkohlen¬
bergwerks, der, wie sich auf den ersten Blick erkennen ließ, eine Unzahl von
Terminen und Reisen beanspruchte und deshalb außer den Gebühren noch eine
sehr ansehnliche Einnahme ans Schriftsätzen, Reisekosten und Tagegeldern in Aus¬
sicht stellte. Keine Frage: der kleine unbekannte Advokat war mit einem Schlage
der gesuchteste Anwalt Leipzigs geworden. Den gewohnten Mittagsspaziergang
„ums Tor" mußte er aufgeben; in seiner Privatwohnung brannte bis spät in der
Nacht noch Licht, und die Leute im gegenüberliegenden Hause konnten, wenn sie ein¬
mal zu vorgerückter Stunde von einer Abendgesellschaft heimkehrten, sehen, wie
Schrödter bei einer Tasse starken Kaffees am Schreibtisch saß, Gesetzbücher wälzte
und Akte» studierte.
Bei den Terminen, wo er zu sprechen hatte, erwies sich der größte Ver¬
handlungssaal des Bezirksgerichts als zu klein, das Publikum drängte sich auf den
Korridoren, um den gefeierten Juristen zu sehe» und womöglich zu hören, und
den jungen Ausländern, die zum Studium der deutschen Sprache nach Leipzig ge¬
kommen waren, wurde geraten, den Verhandlungen beizuwohnen, in denen Schrödter
plädierte.
In den Kreisen der Berufsgenossen sprach man von nichts anderm mehr als
von seinem Talent und seinen Kenntnissen, die Laien bewunderten seine Schlag¬
fertigkeit und seinen Witz, und die Gerichtsdiener erzählten sich schmunzelnd allerlei
Geschichtchen, wie der Advokat gewiegte Gegner auf den Sand gesetzt und das
Richterkollegium in Verzweiflung gebracht hatte. Und so verbreitete sich denn in
Stadt und Land die Überzeugung, daß ein Prozeß, bei dem man durch Schrödter
vertreten werde, von vornherein als gewonnen zu betrachten sei. Mütter heirats¬
fähiger Töchter veranstalteten dem hoffnungsvollen jungen Mann zuliebe Bälle und
Soireen, und wenn er auch bald genug die Absicht merkte und die meisten Ein¬
ladungen dankend ablehnte, so wußte ihn die verwitwete Appellationsrätin Heyden-
reich dennoch mit Geschick und Ausdauer dahin zu bringen, daß er ihrer Amalie in
einer schwachen Stunde einen Antrag machte.
Nun hatte Amalie aber einen Onkel, der eine einflußreiche Stelle im Justiz¬
ministerium bekleidete, und so gelangte man in Dresden zu der Einsicht, daß sich
der Staat einen so ungewöhnlich begabten Juristen nicht entgehn lassen dürfe, und
daß es die höchste Zeit sei, ihn als Rat an das Bezirksgericht zu berufen. Schrödter
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