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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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<Lin Himmelfahrtstag in Port-Royal

1891 im Stil der zerstörten Abteikirche auf den Ruinen des alten Chors erbaut
worden. Die Umrisse der einstigen Kirche kann man deutlich erkennen, denn
die Reste der Außenmauern mit ihren schlanken Halbsüulen sind zum Teil noch
mehrere Meter hoch. Die Nordwand ist dicht mit Efeu übersponnen. Wilder
Wein und Hagerosen hängen leicht herab und schaukeln im Winde. Dahinter
raschelt es in den hohen Pappeln, die an die Stelle der steinernen Strebe¬
pfeiler getreten find. Innerhalb der Mauern ist der Boden mit Rasen bedeckt,
aus dem hier und da Süulenstümpfe aufragen. Zum Museum führt eine
Treppe hinauf, da vor der Erbauung der Boden über dem alten Chor erhöht
worden ist. Auf diese Weise ist nach Osten hin eine neue Mauer entstanden,
die schon ganz grün überwachsen ist. Zu beiden Seiten der Treppe ist eine
Nische angebracht, in der eine Büste steht. Rechts und links ein bedeutender
Kopf mit Allongeperücke. Es sind Pascal und Racine, die berühmtesten Freunde
von Port-Royal. Der eine kam hierher, körperlich gebrochen, aber geistig ein
streitbarer Held, um seinen scharfen Verstand nur noch im Dienste des Christen¬
tums zu gebrauchen. Der andre war ein getreuer Schüler, der wiederholt in
Port-Royal weilte und 1699 seinem Wunsche gemäß hier bestattet worden ist.
Oben im Museum gab es in Wandschränken und aufgestellten Glaskasten auch
allerlei Erinnerungen an die beiden Männer zu sehen, Handschriften, Bilder
und andre mehr oder weniger beglaubigte Dinge; außerdem finden sich dort
Bilder und Pläne von Port-Royal, Urkunden und Bücher, die darüber ge¬
schrieben worden sind. Den schönsten Schmuck des schlichten Weißen Raumes
bilden außer der Marienstatue neun bunte Glasfenster mit je einem Porträt.
Die drei in der Apsis zeigen Bildnisse von Christus, Petrus und Paulus,
die andern sechs die von den Heiligen Augustin und Bernhard von Citeaux,
von der Mere Angelique, dem Abbe de Saint-Cyran, Pascal und Antoine
Arnauld. Die Mehrzahl der Glasgemälde ist nach Bildern von Philippe de
Champaigne ausgeführt worden und erinnert dadurch an den großen Meister,
der zu Port-Royal in inniger Beziehung stand. Seine Tochter lebte hier als
Nonne unter dem Namen Catherine de Sainte-Suzanne, und der Meister
malte nicht nur für die Klosterkirche das heilige Abendmahl und den toten
Christus, die jetzt in der großen Galerie des Louvre hängen, sondern er hat
der Nachwelt auch verschiedne Porträts von Nonnen und Einsiedlern aus Port-
Royal geschenkt. Ich erinnere an das Bild der Mere Angelique in Chantilly
und an das ergreifende Gemälde im Louvre: Agnes Arnauld und Catherine
de Sainte-Suzanne beten in Port-Royal für die Heilung Catherinens von
einer Lähmung. Von diesem Bilde geht derselbe überirdische Schein aus, den
wir an Ary Scheffers Monika bewundern. Wie die Kreuzritter trugen diese
Nonnen ein großes rotes Kreuz auf der Brust, und wie jene waren sie von
einer zur Ekstase gesteigerten Frömmigkeit durchdrungen. Einer so gläubigen
Inbrunst, wie sie sich in den bleichen Gesichtern der beiden Betenden ausdrückt,
sind wir heutzutage nicht mehr fähig; es mutet uns fast krankhaft an. Und
doch kann man sich eines tiefen Eindrucks nicht erwehren, und keiner wird das


<Lin Himmelfahrtstag in Port-Royal

1891 im Stil der zerstörten Abteikirche auf den Ruinen des alten Chors erbaut
worden. Die Umrisse der einstigen Kirche kann man deutlich erkennen, denn
die Reste der Außenmauern mit ihren schlanken Halbsüulen sind zum Teil noch
mehrere Meter hoch. Die Nordwand ist dicht mit Efeu übersponnen. Wilder
Wein und Hagerosen hängen leicht herab und schaukeln im Winde. Dahinter
raschelt es in den hohen Pappeln, die an die Stelle der steinernen Strebe¬
pfeiler getreten find. Innerhalb der Mauern ist der Boden mit Rasen bedeckt,
aus dem hier und da Süulenstümpfe aufragen. Zum Museum führt eine
Treppe hinauf, da vor der Erbauung der Boden über dem alten Chor erhöht
worden ist. Auf diese Weise ist nach Osten hin eine neue Mauer entstanden,
die schon ganz grün überwachsen ist. Zu beiden Seiten der Treppe ist eine
Nische angebracht, in der eine Büste steht. Rechts und links ein bedeutender
Kopf mit Allongeperücke. Es sind Pascal und Racine, die berühmtesten Freunde
von Port-Royal. Der eine kam hierher, körperlich gebrochen, aber geistig ein
streitbarer Held, um seinen scharfen Verstand nur noch im Dienste des Christen¬
tums zu gebrauchen. Der andre war ein getreuer Schüler, der wiederholt in
Port-Royal weilte und 1699 seinem Wunsche gemäß hier bestattet worden ist.
Oben im Museum gab es in Wandschränken und aufgestellten Glaskasten auch
allerlei Erinnerungen an die beiden Männer zu sehen, Handschriften, Bilder
und andre mehr oder weniger beglaubigte Dinge; außerdem finden sich dort
Bilder und Pläne von Port-Royal, Urkunden und Bücher, die darüber ge¬
schrieben worden sind. Den schönsten Schmuck des schlichten Weißen Raumes
bilden außer der Marienstatue neun bunte Glasfenster mit je einem Porträt.
Die drei in der Apsis zeigen Bildnisse von Christus, Petrus und Paulus,
die andern sechs die von den Heiligen Augustin und Bernhard von Citeaux,
von der Mere Angelique, dem Abbe de Saint-Cyran, Pascal und Antoine
Arnauld. Die Mehrzahl der Glasgemälde ist nach Bildern von Philippe de
Champaigne ausgeführt worden und erinnert dadurch an den großen Meister,
der zu Port-Royal in inniger Beziehung stand. Seine Tochter lebte hier als
Nonne unter dem Namen Catherine de Sainte-Suzanne, und der Meister
malte nicht nur für die Klosterkirche das heilige Abendmahl und den toten
Christus, die jetzt in der großen Galerie des Louvre hängen, sondern er hat
der Nachwelt auch verschiedne Porträts von Nonnen und Einsiedlern aus Port-
Royal geschenkt. Ich erinnere an das Bild der Mere Angelique in Chantilly
und an das ergreifende Gemälde im Louvre: Agnes Arnauld und Catherine
de Sainte-Suzanne beten in Port-Royal für die Heilung Catherinens von
einer Lähmung. Von diesem Bilde geht derselbe überirdische Schein aus, den
wir an Ary Scheffers Monika bewundern. Wie die Kreuzritter trugen diese
Nonnen ein großes rotes Kreuz auf der Brust, und wie jene waren sie von
einer zur Ekstase gesteigerten Frömmigkeit durchdrungen. Einer so gläubigen
Inbrunst, wie sie sich in den bleichen Gesichtern der beiden Betenden ausdrückt,
sind wir heutzutage nicht mehr fähig; es mutet uns fast krankhaft an. Und
doch kann man sich eines tiefen Eindrucks nicht erwehren, und keiner wird das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/312>, abgerufen am 06.02.2025.