Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Kompendium der Rechtswissenschaft für Laien

"daß die großen historischen Kirchen ohne weitgehende Gefahren nicht dnrch
Rechtssatz künstlich zu Privatvereinen gemacht werden können, d. h. zu
etwas, was sie nach Wesen und Bestand, nach Zweck und Bedeutung nicht
sind und nicht sein können. Die Phrase von der Religion als Privatsache
hat ihre Geltung im Gebiet der individuellen Gewissensfreiheit, sie hat aber
keine Wahrheit im Verhältnis der Religion zur Gesamtheit von Staat und
Volk." Zu den prinzipiellen Gründen gegen die Trennung gesellten sich aber
in Deutschland noch tatsächliche Hindernisse, die in der geschichtlichen Ver¬
gangenheit unsers Volkes wurzelten: das Verhältnis des Reiches zu den
Einzelstaaten, denen die Kirchenhoheit zustehe, das landesherrliche Regiment
über die evangelischen Landeskirchen, und die Schwierigkeit einer Vermögens-
cmseinandersetzung zwischen den Staaten und den Kirchen. Bei der weiter"
Entwicklung seien zwar Rückfälle ins Staatskirchentum zu vermeiden, die
anachronistischen Ansprüche des Kirchenstaatstums aber entschieden abzuweisen
auch in der gemilderten Form der Koordination, nach der die Kirche als eine
dem Staate gleichberechtigte Macht mit diesem zu verhandeln habe. "Der
Ausbau des herrschenden Systems der Kirchenhoheit ist in der Art fortzu¬
führen, daß individuelle Gewissensfreiheit und gesellschaftliche Kultusfreiheit in
dem weitesten, mit den bürgerlichen Pflichten und dem Staatswohl vereinbaren
Maße gewährleistet, die Selbständigkeit der Kirchen auf ihrem innern und
eignen Lebensgebiete gewissenhaft respektiert, die Staatsaufsicht andrerseits auf
dem ihr gesetzlich begrenzten Gebiete der gemischten Angelegenheiten mit Ernst
und Konsequenz gehandhabt, endlich die Parität unter dem Gesichtspunkte
gerechter Differenzierung der Kirchen und Religionsgesellschaften aufrecht er¬
halten werden."

Aus der Abhandlung über das Völkerrecht mag nur zweierlei hervor¬
gehoben werden. Einmal die Abgrenzung seines Geltungsgebiets. Das
Völkerrecht ist "die Rechtsordnung einer Staatengemeinschaft. Nur insoweit
steht die Menschheit unter seinen Normen, als sie bereits eine politische
Organisation in der Form des Staates gefunden hat. Naturvölker gehören
dem internationalen Verbände nicht an . . . Die Jagdreviere und Weide¬
gebiete, in denen sie Hausen, sind völkerrechtlich herrenlos. Me aber, wenn sie,
wie die meisten Negervölker, Ackerbau und Gewerbe treibenAuf welchem
Fuß sie eintretendenfalls zu behandeln seien, darüber entscheidet Recht,
Religion, Kultur. Politik des Staates, der mit ihnen in Berührung kommt
oder ihre Siedlungen seinem Territorium einverleibt oder angliedert. Auch
mögen Staaten ihnen gegenüber ein gemeinsames Verhalten befolgen oder
vereinbaren ... Das Völkerrecht ist gegenseitiges Staatenrecht, nicht allge¬
meines Menschenrecht. Indessen auch innerhalb der gegenwärtig bestehenden
Staatengesellschaft sind doch nur die zivilisierten Staaten, d. h. die Länder
christlich-europäischer Gesittungsformen, die vollberechtigter Glieder des völker¬
rechtlichen Verbandes." Der Eintritt in diesen, zu dem sich die islamitischen


Lin Kompendium der Rechtswissenschaft für Laien

„daß die großen historischen Kirchen ohne weitgehende Gefahren nicht dnrch
Rechtssatz künstlich zu Privatvereinen gemacht werden können, d. h. zu
etwas, was sie nach Wesen und Bestand, nach Zweck und Bedeutung nicht
sind und nicht sein können. Die Phrase von der Religion als Privatsache
hat ihre Geltung im Gebiet der individuellen Gewissensfreiheit, sie hat aber
keine Wahrheit im Verhältnis der Religion zur Gesamtheit von Staat und
Volk." Zu den prinzipiellen Gründen gegen die Trennung gesellten sich aber
in Deutschland noch tatsächliche Hindernisse, die in der geschichtlichen Ver¬
gangenheit unsers Volkes wurzelten: das Verhältnis des Reiches zu den
Einzelstaaten, denen die Kirchenhoheit zustehe, das landesherrliche Regiment
über die evangelischen Landeskirchen, und die Schwierigkeit einer Vermögens-
cmseinandersetzung zwischen den Staaten und den Kirchen. Bei der weiter»
Entwicklung seien zwar Rückfälle ins Staatskirchentum zu vermeiden, die
anachronistischen Ansprüche des Kirchenstaatstums aber entschieden abzuweisen
auch in der gemilderten Form der Koordination, nach der die Kirche als eine
dem Staate gleichberechtigte Macht mit diesem zu verhandeln habe. „Der
Ausbau des herrschenden Systems der Kirchenhoheit ist in der Art fortzu¬
führen, daß individuelle Gewissensfreiheit und gesellschaftliche Kultusfreiheit in
dem weitesten, mit den bürgerlichen Pflichten und dem Staatswohl vereinbaren
Maße gewährleistet, die Selbständigkeit der Kirchen auf ihrem innern und
eignen Lebensgebiete gewissenhaft respektiert, die Staatsaufsicht andrerseits auf
dem ihr gesetzlich begrenzten Gebiete der gemischten Angelegenheiten mit Ernst
und Konsequenz gehandhabt, endlich die Parität unter dem Gesichtspunkte
gerechter Differenzierung der Kirchen und Religionsgesellschaften aufrecht er¬
halten werden."

Aus der Abhandlung über das Völkerrecht mag nur zweierlei hervor¬
gehoben werden. Einmal die Abgrenzung seines Geltungsgebiets. Das
Völkerrecht ist „die Rechtsordnung einer Staatengemeinschaft. Nur insoweit
steht die Menschheit unter seinen Normen, als sie bereits eine politische
Organisation in der Form des Staates gefunden hat. Naturvölker gehören
dem internationalen Verbände nicht an . . . Die Jagdreviere und Weide¬
gebiete, in denen sie Hausen, sind völkerrechtlich herrenlos. Me aber, wenn sie,
wie die meisten Negervölker, Ackerbau und Gewerbe treibenAuf welchem
Fuß sie eintretendenfalls zu behandeln seien, darüber entscheidet Recht,
Religion, Kultur. Politik des Staates, der mit ihnen in Berührung kommt
oder ihre Siedlungen seinem Territorium einverleibt oder angliedert. Auch
mögen Staaten ihnen gegenüber ein gemeinsames Verhalten befolgen oder
vereinbaren ... Das Völkerrecht ist gegenseitiges Staatenrecht, nicht allge¬
meines Menschenrecht. Indessen auch innerhalb der gegenwärtig bestehenden
Staatengesellschaft sind doch nur die zivilisierten Staaten, d. h. die Länder
christlich-europäischer Gesittungsformen, die vollberechtigter Glieder des völker¬
rechtlichen Verbandes." Der Eintritt in diesen, zu dem sich die islamitischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302295"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin Kompendium der Rechtswissenschaft für Laien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> &#x201E;daß die großen historischen Kirchen ohne weitgehende Gefahren nicht dnrch<lb/>
Rechtssatz künstlich zu Privatvereinen gemacht werden können, d. h. zu<lb/>
etwas, was sie nach Wesen und Bestand, nach Zweck und Bedeutung nicht<lb/>
sind und nicht sein können. Die Phrase von der Religion als Privatsache<lb/>
hat ihre Geltung im Gebiet der individuellen Gewissensfreiheit, sie hat aber<lb/>
keine Wahrheit im Verhältnis der Religion zur Gesamtheit von Staat und<lb/>
Volk." Zu den prinzipiellen Gründen gegen die Trennung gesellten sich aber<lb/>
in Deutschland noch tatsächliche Hindernisse, die in der geschichtlichen Ver¬<lb/>
gangenheit unsers Volkes wurzelten: das Verhältnis des Reiches zu den<lb/>
Einzelstaaten, denen die Kirchenhoheit zustehe, das landesherrliche Regiment<lb/>
über die evangelischen Landeskirchen, und die Schwierigkeit einer Vermögens-<lb/>
cmseinandersetzung zwischen den Staaten und den Kirchen. Bei der weiter»<lb/>
Entwicklung seien zwar Rückfälle ins Staatskirchentum zu vermeiden, die<lb/>
anachronistischen Ansprüche des Kirchenstaatstums aber entschieden abzuweisen<lb/>
auch in der gemilderten Form der Koordination, nach der die Kirche als eine<lb/>
dem Staate gleichberechtigte Macht mit diesem zu verhandeln habe. &#x201E;Der<lb/>
Ausbau des herrschenden Systems der Kirchenhoheit ist in der Art fortzu¬<lb/>
führen, daß individuelle Gewissensfreiheit und gesellschaftliche Kultusfreiheit in<lb/>
dem weitesten, mit den bürgerlichen Pflichten und dem Staatswohl vereinbaren<lb/>
Maße gewährleistet, die Selbständigkeit der Kirchen auf ihrem innern und<lb/>
eignen Lebensgebiete gewissenhaft respektiert, die Staatsaufsicht andrerseits auf<lb/>
dem ihr gesetzlich begrenzten Gebiete der gemischten Angelegenheiten mit Ernst<lb/>
und Konsequenz gehandhabt, endlich die Parität unter dem Gesichtspunkte<lb/>
gerechter Differenzierung der Kirchen und Religionsgesellschaften aufrecht er¬<lb/>
halten werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302" next="#ID_1303"> Aus der Abhandlung über das Völkerrecht mag nur zweierlei hervor¬<lb/>
gehoben werden. Einmal die Abgrenzung seines Geltungsgebiets. Das<lb/>
Völkerrecht ist &#x201E;die Rechtsordnung einer Staatengemeinschaft. Nur insoweit<lb/>
steht die Menschheit unter seinen Normen, als sie bereits eine politische<lb/>
Organisation in der Form des Staates gefunden hat. Naturvölker gehören<lb/>
dem internationalen Verbände nicht an . . . Die Jagdreviere und Weide¬<lb/>
gebiete, in denen sie Hausen, sind völkerrechtlich herrenlos. Me aber, wenn sie,<lb/>
wie die meisten Negervölker, Ackerbau und Gewerbe treibenAuf welchem<lb/>
Fuß sie eintretendenfalls zu behandeln seien, darüber entscheidet Recht,<lb/>
Religion, Kultur. Politik des Staates, der mit ihnen in Berührung kommt<lb/>
oder ihre Siedlungen seinem Territorium einverleibt oder angliedert. Auch<lb/>
mögen Staaten ihnen gegenüber ein gemeinsames Verhalten befolgen oder<lb/>
vereinbaren ... Das Völkerrecht ist gegenseitiges Staatenrecht, nicht allge¬<lb/>
meines Menschenrecht. Indessen auch innerhalb der gegenwärtig bestehenden<lb/>
Staatengesellschaft sind doch nur die zivilisierten Staaten, d. h. die Länder<lb/>
christlich-europäischer Gesittungsformen, die vollberechtigter Glieder des völker¬<lb/>
rechtlichen Verbandes."  Der Eintritt in diesen, zu dem sich die islamitischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Lin Kompendium der Rechtswissenschaft für Laien „daß die großen historischen Kirchen ohne weitgehende Gefahren nicht dnrch Rechtssatz künstlich zu Privatvereinen gemacht werden können, d. h. zu etwas, was sie nach Wesen und Bestand, nach Zweck und Bedeutung nicht sind und nicht sein können. Die Phrase von der Religion als Privatsache hat ihre Geltung im Gebiet der individuellen Gewissensfreiheit, sie hat aber keine Wahrheit im Verhältnis der Religion zur Gesamtheit von Staat und Volk." Zu den prinzipiellen Gründen gegen die Trennung gesellten sich aber in Deutschland noch tatsächliche Hindernisse, die in der geschichtlichen Ver¬ gangenheit unsers Volkes wurzelten: das Verhältnis des Reiches zu den Einzelstaaten, denen die Kirchenhoheit zustehe, das landesherrliche Regiment über die evangelischen Landeskirchen, und die Schwierigkeit einer Vermögens- cmseinandersetzung zwischen den Staaten und den Kirchen. Bei der weiter» Entwicklung seien zwar Rückfälle ins Staatskirchentum zu vermeiden, die anachronistischen Ansprüche des Kirchenstaatstums aber entschieden abzuweisen auch in der gemilderten Form der Koordination, nach der die Kirche als eine dem Staate gleichberechtigte Macht mit diesem zu verhandeln habe. „Der Ausbau des herrschenden Systems der Kirchenhoheit ist in der Art fortzu¬ führen, daß individuelle Gewissensfreiheit und gesellschaftliche Kultusfreiheit in dem weitesten, mit den bürgerlichen Pflichten und dem Staatswohl vereinbaren Maße gewährleistet, die Selbständigkeit der Kirchen auf ihrem innern und eignen Lebensgebiete gewissenhaft respektiert, die Staatsaufsicht andrerseits auf dem ihr gesetzlich begrenzten Gebiete der gemischten Angelegenheiten mit Ernst und Konsequenz gehandhabt, endlich die Parität unter dem Gesichtspunkte gerechter Differenzierung der Kirchen und Religionsgesellschaften aufrecht er¬ halten werden." Aus der Abhandlung über das Völkerrecht mag nur zweierlei hervor¬ gehoben werden. Einmal die Abgrenzung seines Geltungsgebiets. Das Völkerrecht ist „die Rechtsordnung einer Staatengemeinschaft. Nur insoweit steht die Menschheit unter seinen Normen, als sie bereits eine politische Organisation in der Form des Staates gefunden hat. Naturvölker gehören dem internationalen Verbände nicht an . . . Die Jagdreviere und Weide¬ gebiete, in denen sie Hausen, sind völkerrechtlich herrenlos. Me aber, wenn sie, wie die meisten Negervölker, Ackerbau und Gewerbe treibenAuf welchem Fuß sie eintretendenfalls zu behandeln seien, darüber entscheidet Recht, Religion, Kultur. Politik des Staates, der mit ihnen in Berührung kommt oder ihre Siedlungen seinem Territorium einverleibt oder angliedert. Auch mögen Staaten ihnen gegenüber ein gemeinsames Verhalten befolgen oder vereinbaren ... Das Völkerrecht ist gegenseitiges Staatenrecht, nicht allge¬ meines Menschenrecht. Indessen auch innerhalb der gegenwärtig bestehenden Staatengesellschaft sind doch nur die zivilisierten Staaten, d. h. die Länder christlich-europäischer Gesittungsformen, die vollberechtigter Glieder des völker¬ rechtlichen Verbandes." Der Eintritt in diesen, zu dem sich die islamitischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/307>, abgerufen am 06.02.2025.