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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Eigentum zu achten. Mit elementarer Naturgewalt s?j leben die grundlegenden
Ideen sdie von den heutigen Mologen geleugnet werden), und zwar an erster
Stelle gerade des geltenden Privatrechts, in allen ohne Unterschied. Wäre
das nicht, müßte jedes Darlehn, jeder Mietzins, jeder Kaufpreis mit Gewalt
eingetrieben werden, so wäre es mit der Geltung unsers Privatrechts sofort
zu Ende. fUud setzte sich in allen ohne Ausnahme die Rechtsidee mit Natur¬
gewalt durch, so brauchten wir weder Richter noch Rechtsanwälte. Die Aus¬
nahmen sind leider sehr häufig und mitunter, wie unter anderm bei uns die
"feinen Pleiten" und in Nordamerika die Trusts beweisen, sehr stark.) Das
Privatrecht ist, weil es jeden ohne Ausnahme unmittelbar berührt und in
Anspruch nimmt, in noch weit höherm Grade von der allgemeinen innern
Zustimmung abhängig als das öffentliche Recht. Sobald das allgemeine
Rechtsbewußtsein nicht mehr hinter dem geltenden Rechte steht, ist seine Lebens¬
kraft zu Ende. Gerade deshalb folgt das geltende Recht so naturnotwendig den
Wandlungen des Volkslebens. Es ändert unaufhörlich seinen Inhalt, häufig
unmerklich und unbewußt -- die großen Atemzüge des Volks- und Rechtslebens
sind regelmäßig für die Mitlebenden unhörbar -- aber um so unwiderstehlicher.
Alles fließt. Die Rechtsentwicklung läßt sich nicht bändigen noch festhalten im
Interesse der gegenwärtig etwa Begünstigten. Wo ist das aristokratische Privat¬
recht geblieben, das vor einem Jahrtausend die Macht des hohen Adels über
Hintersassen und Vasallen begründete? Wo das junkerliche Privatrecht, das
im spätern Mittelalter dem niedern Adel zum Mittel seines Emporsteigens
ward? Der dritte Stand ist in die Herrschaft eingetreten, und unser Privat¬
recht ist in der Hauptsache bürgerliches Recht. Der Kaufmann hat in der Macht
über das Privatrecht den Junker abgelöst. Marum? Weil sich die Rechts¬
ideen geändert hätten? Die sind in den Köpfen der Junker dieselben geblieben
wie vor hundert Jahren und werden durch Grimm und Neid noch befestigt.
Was sich geändert hat. das ist das Wirtschaftsleben. Die Geldwirtschaft hat
die Naturalwirtschaft verdrängt, die Industrie hat die Landwirtschaft überflügelt,
und ein Rothschild, ein Krupp, ein Ballin ist so reich wie tausend Junker und
darum tausendmal so mächtig wie einer von ihnen. Wenn irgendwo, so ist
im Rechtsgebiet die materialistische Geschichtsauffassung berechtigt, wenn sie auch,
wie unter anderm Stammler nachweist, Marx und Engels noch nicht ganz
richtig formuliert haben. Diese meldet sich darum hier zum Wort, wie oben
die Kirche. Was Sohm Wandlungen des Volkslebens nennt, das sind im
wesentlichen Wandlungen der Wirtschaft. Er hat das übrigens selbst anerkannt,
indem er im Eingange die große Wandlung daraus erklärt, daß den Bauer
und den Ritter als führende Macht der Kaufmann abgelöst habe, und auch
nachher tut er es noch einmal, indem er das heutige Recht kapitalistisch nennt;
nur an dieser Stelle unterläßt er es, daran zu erinnern, sodaß die Darstellung
ein rein "ideologisches" Ansetzn bekommt.) Über dem Tor der Rechtsgeschichte
lesen wir nicht die Hölleninschrift Dantes. Im Gegenteil. Mit goldnen Lettern


<Lin Kompendium der Rechtswissenschaft für Laien

Eigentum zu achten. Mit elementarer Naturgewalt s?j leben die grundlegenden
Ideen sdie von den heutigen Mologen geleugnet werden), und zwar an erster
Stelle gerade des geltenden Privatrechts, in allen ohne Unterschied. Wäre
das nicht, müßte jedes Darlehn, jeder Mietzins, jeder Kaufpreis mit Gewalt
eingetrieben werden, so wäre es mit der Geltung unsers Privatrechts sofort
zu Ende. fUud setzte sich in allen ohne Ausnahme die Rechtsidee mit Natur¬
gewalt durch, so brauchten wir weder Richter noch Rechtsanwälte. Die Aus¬
nahmen sind leider sehr häufig und mitunter, wie unter anderm bei uns die
»feinen Pleiten« und in Nordamerika die Trusts beweisen, sehr stark.) Das
Privatrecht ist, weil es jeden ohne Ausnahme unmittelbar berührt und in
Anspruch nimmt, in noch weit höherm Grade von der allgemeinen innern
Zustimmung abhängig als das öffentliche Recht. Sobald das allgemeine
Rechtsbewußtsein nicht mehr hinter dem geltenden Rechte steht, ist seine Lebens¬
kraft zu Ende. Gerade deshalb folgt das geltende Recht so naturnotwendig den
Wandlungen des Volkslebens. Es ändert unaufhörlich seinen Inhalt, häufig
unmerklich und unbewußt — die großen Atemzüge des Volks- und Rechtslebens
sind regelmäßig für die Mitlebenden unhörbar — aber um so unwiderstehlicher.
Alles fließt. Die Rechtsentwicklung läßt sich nicht bändigen noch festhalten im
Interesse der gegenwärtig etwa Begünstigten. Wo ist das aristokratische Privat¬
recht geblieben, das vor einem Jahrtausend die Macht des hohen Adels über
Hintersassen und Vasallen begründete? Wo das junkerliche Privatrecht, das
im spätern Mittelalter dem niedern Adel zum Mittel seines Emporsteigens
ward? Der dritte Stand ist in die Herrschaft eingetreten, und unser Privat¬
recht ist in der Hauptsache bürgerliches Recht. Der Kaufmann hat in der Macht
über das Privatrecht den Junker abgelöst. Marum? Weil sich die Rechts¬
ideen geändert hätten? Die sind in den Köpfen der Junker dieselben geblieben
wie vor hundert Jahren und werden durch Grimm und Neid noch befestigt.
Was sich geändert hat. das ist das Wirtschaftsleben. Die Geldwirtschaft hat
die Naturalwirtschaft verdrängt, die Industrie hat die Landwirtschaft überflügelt,
und ein Rothschild, ein Krupp, ein Ballin ist so reich wie tausend Junker und
darum tausendmal so mächtig wie einer von ihnen. Wenn irgendwo, so ist
im Rechtsgebiet die materialistische Geschichtsauffassung berechtigt, wenn sie auch,
wie unter anderm Stammler nachweist, Marx und Engels noch nicht ganz
richtig formuliert haben. Diese meldet sich darum hier zum Wort, wie oben
die Kirche. Was Sohm Wandlungen des Volkslebens nennt, das sind im
wesentlichen Wandlungen der Wirtschaft. Er hat das übrigens selbst anerkannt,
indem er im Eingange die große Wandlung daraus erklärt, daß den Bauer
und den Ritter als führende Macht der Kaufmann abgelöst habe, und auch
nachher tut er es noch einmal, indem er das heutige Recht kapitalistisch nennt;
nur an dieser Stelle unterläßt er es, daran zu erinnern, sodaß die Darstellung
ein rein „ideologisches" Ansetzn bekommt.) Über dem Tor der Rechtsgeschichte
lesen wir nicht die Hölleninschrift Dantes. Im Gegenteil. Mit goldnen Lettern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/303>, abgerufen am 06.02.2025.