Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Für die Reichshauptstadt emporgewachsen wie hier. Nicht mit Unrecht hat man oft gesagt, Berlin ver¬ Ab und zu spotten tatendurstige Stürmer und Dränger über philiströse Für die Reichshauptstadt emporgewachsen wie hier. Nicht mit Unrecht hat man oft gesagt, Berlin ver¬ Ab und zu spotten tatendurstige Stürmer und Dränger über philiströse <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302284"/> <fw type="header" place="top"> Für die Reichshauptstadt</fw><lb/> <p xml:id="ID_1282" prev="#ID_1281"> emporgewachsen wie hier. Nicht mit Unrecht hat man oft gesagt, Berlin ver¬<lb/> danke den Hohenzollern, was es sei. In der Tat, wie dies Herrschergeschlecht<lb/> den preußischen Staat recht eigentlich gemacht hat, so auch dessen Hauptstadt.<lb/> Aber die volle Wahrheit bleibt deshalb doch, daß Berlin niemals geworden<lb/> wäre, was es ist, ohne die Tüchtigkeit seines Bürgertums. Im Vergleich zu<lb/> andern großen Kapitalen — von Rom, wo ganz außerordentliche Verhält¬<lb/> nisse obwalten, braucht man nicht erst zu reden, es genügt, an Paris zu<lb/> denken — ist für Berlin vom Staate, abgesehen von den diesem in seiner<lb/> Gesamtheit dienenden Einrichtungen, niemals sonderlich viel geschehen, geschieht<lb/> wenigstens heute nur noch recht wenig. Und nun gar das Reich! Hat es<lb/> auf seine Hauptstadt jemals mehr verwandt, als was die Zwecke seiner eignen<lb/> Verwaltung unumgänglich erheischten? Wohl strömt Berlin ans dem ganzen<lb/> Reiche die wirtschaftliche Nahrung zu; aber man könnte nicht sagen, daß der<lb/> eine Teil immer nur der empfangende, der andre immer nur der gebende sei;<lb/> sie sind beide beides zugleich. Berlin ist sich der großen Aufgabe, die ihm<lb/> in unserm nationalen Staatswesen zufällt, voll bewußt, und es erfüllt sie aus<lb/> sich heraus, ohne fremde Unterstützung, glänzender, als auch hochgespannte An¬<lb/> sprüche erwarten dürften.</p><lb/> <p xml:id="ID_1283" next="#ID_1284"> Ab und zu spotten tatendurstige Stürmer und Dränger über philiströse<lb/> Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, zum mindesten über Mangel an „Gro߬<lb/> zügigkeit" in der Stadtverwaltung, und auch wohlwollendere Kritiker werden<lb/> das Werk dieser nicht als das absolut Vollendete preisen wollen; aber<lb/> wer das, was in Berlin tatsächlich geleistet wird, der sehr mäßigen Inanspruch¬<lb/> nahme der Steuerkraft seiner Bewohner gegenüberstellt, wird rückhaltlos aner¬<lb/> kennen müssen, daß hier freimütiges Verständnis für die Bedürfnisse einer un¬<lb/> absehbaren Fortentwicklung und weise Sparsamkeit mustergiltig gepaart sind.<lb/> Und dabei sind obendrein Schwierigkeiten ganz besondrer Art zu überwinden.<lb/> Das unglaublich großartige Wachstum der Vororte, insbesondre Charlotten-<lb/> burgs, Schönebergs und Wilmersdorfs, bereitet der Metropole, weil ihr da¬<lb/> durch in stets sich steigernden Maße ein großer Teil der besten Steuerkrüfte<lb/> entführt wird, schwere finanzielle Sorgen und hat mancherlei Reibungen zwischen<lb/> den verschiednen Gemeindeverwaltungen sowie widerwärtige Belästigungen des<lb/> Publikums zur Folge. Leider werden diese Verhältnisse wohl erst den Gipfel<lb/> der Unertrüglichkeit erreichen müssen, bis alle beteiligten Kreise zur Ver¬<lb/> ständigung über die beste Form einer einheitlichen Verwaltung von Großberlin<lb/> gelangt sind. Inzwischen aber stürmt die wunderbare Entwicklung rastlos<lb/> weiter. Immer von neuem erstaunt der Blick ob dieser üppigen Fülle des<lb/> Werdens. Der Kopf mag einem schwindeln angesichts der kühnen Pläne, die<lb/> die Zukunft Berlins schon auf ein halbes Jahrhundert hinaus festzulegen<lb/> suchen. Aber auch das, was auf sicherm Boden steht, was schon beschlossen<lb/> ist und sich greifbar zu formen beginnt, ist gewaltig genug, dem Beschauer den<lb/> tiefsten Respekt einzuflößen. Dies um so mehr, als man im großen und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0296]
Für die Reichshauptstadt
emporgewachsen wie hier. Nicht mit Unrecht hat man oft gesagt, Berlin ver¬
danke den Hohenzollern, was es sei. In der Tat, wie dies Herrschergeschlecht
den preußischen Staat recht eigentlich gemacht hat, so auch dessen Hauptstadt.
Aber die volle Wahrheit bleibt deshalb doch, daß Berlin niemals geworden
wäre, was es ist, ohne die Tüchtigkeit seines Bürgertums. Im Vergleich zu
andern großen Kapitalen — von Rom, wo ganz außerordentliche Verhält¬
nisse obwalten, braucht man nicht erst zu reden, es genügt, an Paris zu
denken — ist für Berlin vom Staate, abgesehen von den diesem in seiner
Gesamtheit dienenden Einrichtungen, niemals sonderlich viel geschehen, geschieht
wenigstens heute nur noch recht wenig. Und nun gar das Reich! Hat es
auf seine Hauptstadt jemals mehr verwandt, als was die Zwecke seiner eignen
Verwaltung unumgänglich erheischten? Wohl strömt Berlin ans dem ganzen
Reiche die wirtschaftliche Nahrung zu; aber man könnte nicht sagen, daß der
eine Teil immer nur der empfangende, der andre immer nur der gebende sei;
sie sind beide beides zugleich. Berlin ist sich der großen Aufgabe, die ihm
in unserm nationalen Staatswesen zufällt, voll bewußt, und es erfüllt sie aus
sich heraus, ohne fremde Unterstützung, glänzender, als auch hochgespannte An¬
sprüche erwarten dürften.
Ab und zu spotten tatendurstige Stürmer und Dränger über philiströse
Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, zum mindesten über Mangel an „Gro߬
zügigkeit" in der Stadtverwaltung, und auch wohlwollendere Kritiker werden
das Werk dieser nicht als das absolut Vollendete preisen wollen; aber
wer das, was in Berlin tatsächlich geleistet wird, der sehr mäßigen Inanspruch¬
nahme der Steuerkraft seiner Bewohner gegenüberstellt, wird rückhaltlos aner¬
kennen müssen, daß hier freimütiges Verständnis für die Bedürfnisse einer un¬
absehbaren Fortentwicklung und weise Sparsamkeit mustergiltig gepaart sind.
Und dabei sind obendrein Schwierigkeiten ganz besondrer Art zu überwinden.
Das unglaublich großartige Wachstum der Vororte, insbesondre Charlotten-
burgs, Schönebergs und Wilmersdorfs, bereitet der Metropole, weil ihr da¬
durch in stets sich steigernden Maße ein großer Teil der besten Steuerkrüfte
entführt wird, schwere finanzielle Sorgen und hat mancherlei Reibungen zwischen
den verschiednen Gemeindeverwaltungen sowie widerwärtige Belästigungen des
Publikums zur Folge. Leider werden diese Verhältnisse wohl erst den Gipfel
der Unertrüglichkeit erreichen müssen, bis alle beteiligten Kreise zur Ver¬
ständigung über die beste Form einer einheitlichen Verwaltung von Großberlin
gelangt sind. Inzwischen aber stürmt die wunderbare Entwicklung rastlos
weiter. Immer von neuem erstaunt der Blick ob dieser üppigen Fülle des
Werdens. Der Kopf mag einem schwindeln angesichts der kühnen Pläne, die
die Zukunft Berlins schon auf ein halbes Jahrhundert hinaus festzulegen
suchen. Aber auch das, was auf sicherm Boden steht, was schon beschlossen
ist und sich greifbar zu formen beginnt, ist gewaltig genug, dem Beschauer den
tiefsten Respekt einzuflößen. Dies um so mehr, als man im großen und
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