Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Deutschland in französischer Beleuchtung überlassen werde", ist einer Großmacht, die mit jedem Tage mehr eine Weltmacht In andern Dingen sei dagegen, meint Huret, das fast absolutistisch re¬ Die Stellung der Frau findet er besser als in Frankreich. Sie würde mehr Das Trinkgelderwesen in Deutschland hält er für eine große Plage, zum Deutschland in französischer Beleuchtung überlassen werde», ist einer Großmacht, die mit jedem Tage mehr eine Weltmacht In andern Dingen sei dagegen, meint Huret, das fast absolutistisch re¬ Die Stellung der Frau findet er besser als in Frankreich. Sie würde mehr Das Trinkgelderwesen in Deutschland hält er für eine große Plage, zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302278"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland in französischer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263"> überlassen werde», ist einer Großmacht, die mit jedem Tage mehr eine Weltmacht<lb/> wird, höchst unwürdig, und was der Abgeordnete Bassermann hierüber vor kurzem<lb/> gesagt hat, trifft den Nagel auf den Kopf. Eine nationale Politik großen<lb/> Stils wird jedenfalls erst dann möglich sein, wenn sich nicht nur die Regierung,<lb/> sondern weite Kreise des Volkes, wie in England, mit diesen Fragen be¬<lb/> schäftigen und für sie eintreten. Der jetzige Zustand, wo Entscheidungen, wie<lb/> die Schwenkung in der Marokkvaffäre, unternommen werden können, ohne daß<lb/> sich die gebildeten Teile der Bevölkerung überhaupt klar geworden sind, worum<lb/> es sich eigentlich handelt, steht so außer Verhältnis zu dem gewaltigen Auf¬<lb/> schwünge unsers Vaterlandes und birgt so schwere Gefahren in sich, daß es<lb/> geradezu eine Pflicht der patriotischen Presse ist, systematisch die Aufklärung<lb/> ihrer Leser über auswärtige Politik in die Hand zu nehmen, wie es England<lb/> seit Jahrhunderten getan hat, und wie es jetzt die Vereinigten Staaten, Frank¬<lb/> reich und Italien tun.</p><lb/> <p xml:id="ID_1265"> In andern Dingen sei dagegen, meint Huret, das fast absolutistisch re¬<lb/> gierte Deutsche Reich ein Muster für Frankreich in bezug auf vernünftigen<lb/> und weisen Demokratismus. Die Sonntagsruhe, die jetzt erst in Frankreich<lb/> eingeführt werde, herrsche seit Jahren in Deutschland, und zwar nicht in der<lb/> puritanischen englischen Form, sondern als wirkliche Erholung des arbeitenden<lb/> Volkes. Alles geschehe, um die Erholung billig und praktisch zu gestalten.<lb/> Für wenige Groschen könne man mit den Trambahnen, Dampfschiffen oder<lb/> Eisenbahnen die Umgebung der großen Städte erreichen, während zum Beispiel<lb/> ein Retourbillett für die sechs Kilometer lange Strecke Paris-Asnieres zwei¬<lb/> undzwanzig Sous löste, also nur für wohlhabende Leute in Betracht komme.</p><lb/> <p xml:id="ID_1266"> Die Stellung der Frau findet er besser als in Frankreich. Sie würde mehr<lb/> respektiert, habe aber allerdings ans das änßere Leben wenig Einfluß. Er wundert<lb/> sich über die vielen Frauen, die auf den deutschen Universitäten studieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1267" next="#ID_1268"> Das Trinkgelderwesen in Deutschland hält er für eine große Plage, zum<lb/> Teil auch für eine Geschmacklosigkeit. Nach jedem Essen und jeder Fahrt müsse<lb/> man ein Trinkgeld geben, oft unter den Augen des Herrn des betreffenden<lb/> Dienstboten. In Hamburg habe er es erlebt, daß eine Dame von einer<lb/> Freundin in deren Wagen nach Hause begleitet worden sei und vor dieser<lb/> dem Kutscher ein Trinkgeld in die Hand gedrückt habe. Infolge solcher Sitten<lb/> würden die Domestiken der Privatfamilien gerade solche Bettler wie die Kellner<lb/> in den Restaurants und die Angestellten in den Hotels. Es sei schon so weit<lb/> gekommen, daß sich die Domestiken nach dem Fortgange der Gäste über die<lb/> einzelnen Trinkgelder unterhielten und die Gäste danach in ihrem Werturteil<lb/> rangierten. Als Abhilfe schlägt er vor, nur einmal im Jahre, zu Weihnachten<lb/> oder zu Neujahr, Trinkgelder in den befreundeten Familien zu geben. Noch<lb/> besser wäre es wohl, wenn man das Prinzip einiger Familien allgemein<lb/> durchsetzen und den Dienstboten jede Annahme von Trinkgeldern untersagen<lb/> könnte. Denn es muß doch einen Unterschied macheu, ob ich in einem Privat-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0290]
Deutschland in französischer Beleuchtung
überlassen werde», ist einer Großmacht, die mit jedem Tage mehr eine Weltmacht
wird, höchst unwürdig, und was der Abgeordnete Bassermann hierüber vor kurzem
gesagt hat, trifft den Nagel auf den Kopf. Eine nationale Politik großen
Stils wird jedenfalls erst dann möglich sein, wenn sich nicht nur die Regierung,
sondern weite Kreise des Volkes, wie in England, mit diesen Fragen be¬
schäftigen und für sie eintreten. Der jetzige Zustand, wo Entscheidungen, wie
die Schwenkung in der Marokkvaffäre, unternommen werden können, ohne daß
sich die gebildeten Teile der Bevölkerung überhaupt klar geworden sind, worum
es sich eigentlich handelt, steht so außer Verhältnis zu dem gewaltigen Auf¬
schwünge unsers Vaterlandes und birgt so schwere Gefahren in sich, daß es
geradezu eine Pflicht der patriotischen Presse ist, systematisch die Aufklärung
ihrer Leser über auswärtige Politik in die Hand zu nehmen, wie es England
seit Jahrhunderten getan hat, und wie es jetzt die Vereinigten Staaten, Frank¬
reich und Italien tun.
In andern Dingen sei dagegen, meint Huret, das fast absolutistisch re¬
gierte Deutsche Reich ein Muster für Frankreich in bezug auf vernünftigen
und weisen Demokratismus. Die Sonntagsruhe, die jetzt erst in Frankreich
eingeführt werde, herrsche seit Jahren in Deutschland, und zwar nicht in der
puritanischen englischen Form, sondern als wirkliche Erholung des arbeitenden
Volkes. Alles geschehe, um die Erholung billig und praktisch zu gestalten.
Für wenige Groschen könne man mit den Trambahnen, Dampfschiffen oder
Eisenbahnen die Umgebung der großen Städte erreichen, während zum Beispiel
ein Retourbillett für die sechs Kilometer lange Strecke Paris-Asnieres zwei¬
undzwanzig Sous löste, also nur für wohlhabende Leute in Betracht komme.
Die Stellung der Frau findet er besser als in Frankreich. Sie würde mehr
respektiert, habe aber allerdings ans das änßere Leben wenig Einfluß. Er wundert
sich über die vielen Frauen, die auf den deutschen Universitäten studieren.
Das Trinkgelderwesen in Deutschland hält er für eine große Plage, zum
Teil auch für eine Geschmacklosigkeit. Nach jedem Essen und jeder Fahrt müsse
man ein Trinkgeld geben, oft unter den Augen des Herrn des betreffenden
Dienstboten. In Hamburg habe er es erlebt, daß eine Dame von einer
Freundin in deren Wagen nach Hause begleitet worden sei und vor dieser
dem Kutscher ein Trinkgeld in die Hand gedrückt habe. Infolge solcher Sitten
würden die Domestiken der Privatfamilien gerade solche Bettler wie die Kellner
in den Restaurants und die Angestellten in den Hotels. Es sei schon so weit
gekommen, daß sich die Domestiken nach dem Fortgange der Gäste über die
einzelnen Trinkgelder unterhielten und die Gäste danach in ihrem Werturteil
rangierten. Als Abhilfe schlägt er vor, nur einmal im Jahre, zu Weihnachten
oder zu Neujahr, Trinkgelder in den befreundeten Familien zu geben. Noch
besser wäre es wohl, wenn man das Prinzip einiger Familien allgemein
durchsetzen und den Dienstboten jede Annahme von Trinkgeldern untersagen
könnte. Denn es muß doch einen Unterschied macheu, ob ich in einem Privat-
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