Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Deutschland in französischer Beleuchtung deshalb unabhängig von den Parteiungen und privaten Einflüssen sei. Da sich Die deutsche Disziplin hat Huret gewaltig imponiert, und er sieht in ihr Deutschland in französischer Beleuchtung deshalb unabhängig von den Parteiungen und privaten Einflüssen sei. Da sich Die deutsche Disziplin hat Huret gewaltig imponiert, und er sieht in ihr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302275"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland in französischer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1253" prev="#ID_1252"> deshalb unabhängig von den Parteiungen und privaten Einflüssen sei. Da sich<lb/> die Bürgermeister mit Politik nicht beschäftigen dürften, außer wenn sie zugleich<lb/> Abgeordnete wären, so könnten sie ihre ganze Arbeitskraft dafür verwenden,<lb/> die ihnen anvertraute Stadt wirtschaftlich vorwärts zu bringen. Darum herrsche<lb/> in den städtischen Verwaltungen Deutschlands eine Ordnung und eine Dis¬<lb/> ziplin, wie sie in Frankreich fast unbekannt seien, wodurch aber dem Leben der<lb/> Bürger Regelmäßigkeit und Sicherheit gewährleistet würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Die deutsche Disziplin hat Huret gewaltig imponiert, und er sieht in ihr<lb/> mit Recht die innere Ursache unsrer Überlegenheit über seine Landsleute. In<lb/> Deutschland tue der geringste Beamte oder Angestellte seine Pflicht, auch wenn<lb/> der Vorgesetzte nicht anwesend sei, während man in Frankreich immer den Ein¬<lb/> druck habe, czsuö tout 1s moiräe s'mi tiodo. Er selbst habe die Erfahrung an<lb/> sich gemacht, wie die Disziplin wirke. Unmöglich sei es zum Beispiel, ans<lb/> einem Bahnhof eine Treppe zum Ausgang zu benutzen, an der „Eingang"<lb/> stehe, und umgekehrt. So habe er sich eines Tages in der Abfahrt seines<lb/> Zuges geirrt und habe, obgleich er auf dem direkten Wege nur wenig Meter<lb/> von seinem Zuge entfernt gewesen sei, durch Tunnels und Treppen einen<lb/> langen Umweg machen müssen, sodaß der Zug vor seiner Nase abgefahren sei.<lb/> An diesem Tage habe er die Disziplin verflucht, aber jetzt habe er längst be¬<lb/> griffen, wie segensreich die feste, unabänderliche Regel sei, und bald werde er<lb/> genau so darüber denken wie die sechzig Millionen Untertanen Kaiser Wilhelms.<lb/> Den Fremden fiele zunächst uur die äußere Form der Disziplin unangenehm<lb/> auf: die stramme Haltung sogar alter Untergebner vor ganz jungen Vor¬<lb/> gesetzten, das barbarische Hackenzusammenschlagen bei einem erteilten Auftrag<lb/> oder beim Abschied und der rauhe Verkehrston aller Beamten gegenüber dem<lb/> Publikum, aber die günstigen Folgen dieser Disziplin seien so staunenswert,<lb/> daß er sich nicht nur mit ihr ausgesöhnt, sondern sie für jeden modernen<lb/> Staat für die unerläßliche Bedingung öffentlicher Ordnung und wirtschaft¬<lb/> lichen Gedeihens halte. Nirgends sei infolge dieser Disziplin die Sicherheit<lb/> und die Pünktlichkeit der Eisenbahnen, der Post, der Telegraphen und Tele¬<lb/> phone größer als in Deutschland. Die Wilddieberei, die in Frankreich wie<lb/> eine Pest herrsche, sei bei uns fast unbekannt, und überall habe er den herr¬<lb/> lichsten Wildstand beobachten können. Der Generalzolldirektor in Hamburg<lb/> habe ihm gesagt, daß beim Hamburgischen Freihafen, der zwölf Kilometer im<lb/> Umfang habe, und worin 15000 Arbeiter täglich beschäftigt würden, so gut<lb/> wie keine Schmuggeleien vorkämen. Wolle man aber in Marseille einen Frei¬<lb/> hafen einrichten, so würden die Schmuggler gewiß ein Syndikat bilden! Die<lb/> Disziplin herrsche eben außer bei den Beamten auch bei allen Privatange¬<lb/> stellten, in den großen Bankhäusern, Fabriken, Bergwerken, industriellen und<lb/> kaufmännischen Unternehmungen, ja sogar bei den drei Millionen Sozialdemo¬<lb/> kraten, die von Bebel wie von einem absoluten Souverän beherrscht würden,<lb/> der trotz aller Versuche, die Partei zu teilen, seine Tyrannei festgehalten habe<lb/> und allen andern Genossen seinen Willen aufzwinge. Der Despotismus des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Deutschland in französischer Beleuchtung
deshalb unabhängig von den Parteiungen und privaten Einflüssen sei. Da sich
die Bürgermeister mit Politik nicht beschäftigen dürften, außer wenn sie zugleich
Abgeordnete wären, so könnten sie ihre ganze Arbeitskraft dafür verwenden,
die ihnen anvertraute Stadt wirtschaftlich vorwärts zu bringen. Darum herrsche
in den städtischen Verwaltungen Deutschlands eine Ordnung und eine Dis¬
ziplin, wie sie in Frankreich fast unbekannt seien, wodurch aber dem Leben der
Bürger Regelmäßigkeit und Sicherheit gewährleistet würden.
Die deutsche Disziplin hat Huret gewaltig imponiert, und er sieht in ihr
mit Recht die innere Ursache unsrer Überlegenheit über seine Landsleute. In
Deutschland tue der geringste Beamte oder Angestellte seine Pflicht, auch wenn
der Vorgesetzte nicht anwesend sei, während man in Frankreich immer den Ein¬
druck habe, czsuö tout 1s moiräe s'mi tiodo. Er selbst habe die Erfahrung an
sich gemacht, wie die Disziplin wirke. Unmöglich sei es zum Beispiel, ans
einem Bahnhof eine Treppe zum Ausgang zu benutzen, an der „Eingang"
stehe, und umgekehrt. So habe er sich eines Tages in der Abfahrt seines
Zuges geirrt und habe, obgleich er auf dem direkten Wege nur wenig Meter
von seinem Zuge entfernt gewesen sei, durch Tunnels und Treppen einen
langen Umweg machen müssen, sodaß der Zug vor seiner Nase abgefahren sei.
An diesem Tage habe er die Disziplin verflucht, aber jetzt habe er längst be¬
griffen, wie segensreich die feste, unabänderliche Regel sei, und bald werde er
genau so darüber denken wie die sechzig Millionen Untertanen Kaiser Wilhelms.
Den Fremden fiele zunächst uur die äußere Form der Disziplin unangenehm
auf: die stramme Haltung sogar alter Untergebner vor ganz jungen Vor¬
gesetzten, das barbarische Hackenzusammenschlagen bei einem erteilten Auftrag
oder beim Abschied und der rauhe Verkehrston aller Beamten gegenüber dem
Publikum, aber die günstigen Folgen dieser Disziplin seien so staunenswert,
daß er sich nicht nur mit ihr ausgesöhnt, sondern sie für jeden modernen
Staat für die unerläßliche Bedingung öffentlicher Ordnung und wirtschaft¬
lichen Gedeihens halte. Nirgends sei infolge dieser Disziplin die Sicherheit
und die Pünktlichkeit der Eisenbahnen, der Post, der Telegraphen und Tele¬
phone größer als in Deutschland. Die Wilddieberei, die in Frankreich wie
eine Pest herrsche, sei bei uns fast unbekannt, und überall habe er den herr¬
lichsten Wildstand beobachten können. Der Generalzolldirektor in Hamburg
habe ihm gesagt, daß beim Hamburgischen Freihafen, der zwölf Kilometer im
Umfang habe, und worin 15000 Arbeiter täglich beschäftigt würden, so gut
wie keine Schmuggeleien vorkämen. Wolle man aber in Marseille einen Frei¬
hafen einrichten, so würden die Schmuggler gewiß ein Syndikat bilden! Die
Disziplin herrsche eben außer bei den Beamten auch bei allen Privatange¬
stellten, in den großen Bankhäusern, Fabriken, Bergwerken, industriellen und
kaufmännischen Unternehmungen, ja sogar bei den drei Millionen Sozialdemo¬
kraten, die von Bebel wie von einem absoluten Souverän beherrscht würden,
der trotz aller Versuche, die Partei zu teilen, seine Tyrannei festgehalten habe
und allen andern Genossen seinen Willen aufzwinge. Der Despotismus des
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