Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches orientiert zu sein. Die Verfolgungssucht der durch Partcisucht erregten öffentlichen Vernünftige Leute werden aber nun doch wohl endlich zur Besinnung kommen Im preußischen Abgeordnetenhause nähern sich die Etatsberatungen schon Maßgebliches und Unmaßgebliches orientiert zu sein. Die Verfolgungssucht der durch Partcisucht erregten öffentlichen Vernünftige Leute werden aber nun doch wohl endlich zur Besinnung kommen Im preußischen Abgeordnetenhause nähern sich die Etatsberatungen schon <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302263"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1225" prev="#ID_1224"> orientiert zu sein. Die Verfolgungssucht der durch Partcisucht erregten öffentlichen<lb/> Meinung zeigte sich in ihrer schönsten Blüte, Mnu erregte sich noch nachträglich<lb/> darüber, daß Puttkamer überhaupt Gouverneur geworden sei. Das kann man in¬<lb/> sofern zugeben, als man heute wohl mehr als früher Bedenken tragen würde, Leute<lb/> in den Schutzgebieten zu verwenden, die in ihrer heimischen Laufbahn in irgend¬<lb/> einer Weise gescheitert sind. Aber abgesehen davon, daß die Strenge der heutigen<lb/> Anschauungen durchaus noch uicht die Frage entscheidet, ob es wirklich richtig und<lb/> zweckmäßig ist, Kräfte, die sich mit der nachgerade übertriebnen Korrektheit unsrer<lb/> heimischen Verhältnisse in ihrer Jugend nicht ganz abgefunden haben, unter allen<lb/> Umständen von der Betätigung im deutschen Neuland auszuschließen, ist doch daran<lb/> zu erinnern, daß man zu jeuer Zeit, als Puttkamer in den Kolonialdienst trat,<lb/> anders dachte. Und in Wahrheit hat er den an ihn gestellten Anforderungen und<lb/> Erwartungen entsprochen und sich in einundzwanzigjährigem Tropendienst große Ver¬<lb/> dienste um die westafrikanischen Schutzgebiete erworben. Als nun die Untersuchung<lb/> gegen ihn eingeleitet worden war wegen Verfehlungen, die zwar die gute Sitte und<lb/> die Amtswürde verletzten, aber strafrechtlich doch sehr leicht wogen, da behandelte<lb/> man ihn in der Heimat schon wie einen überführten Verbrecher. Erlaubte sich<lb/> ein verständiges Blatt einmal darauf hinzuweisen, daß sich für verschiedne Be¬<lb/> schuldigungen keine Anhaltspunkte ergeben hätten, so sielen die Hetzer darüber her,<lb/> als ob es sich um Vertuschungs- und Beschöniguugsversuche für die schlimmsten Ver¬<lb/> brechen handelte. Daß die Untersuchung mehr Zeit fordern würde, als wenn es<lb/> sich um Dinge, die in der Heimat geschehn, gehandelt hätte, stand für jeden über¬<lb/> legender Menschen von Anfang an fest. Trotzdem klagte man über die Verschleppung des<lb/> Falles. So wurde die öffentliche Meinung in der tendenziösesten Weise bearbeitet,<lb/> und als nun zuletzt das Disziplinargericht nach eingehender Würdigung aller Ver¬<lb/> hältnisse eiuen Richterspruch fällte, der der künstlich angestachelten Verfolgungssucht<lb/> der öffentlichen Meinung zu milde erschien, da konnte man sich gar nicht darüber<lb/> beruhigen, daß die ganze tugendhafte Entrüstung der guten Christen und Patrioten<lb/> vergeblich gewesen sein soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1226"> Vernünftige Leute werden aber nun doch wohl endlich zur Besinnung kommen<lb/> und sich noch etwas ernster als bisher die Frage vorlegen, ob wir unsre Kolonien<lb/> nur dazu haben, um die Erfolge deutscher Arbeit durch widerwärtige Persönliche<lb/> Skandale gefährden und diskreditieren zu lassen. Alle diese Sachen verschieben das<lb/> Urteil über die Bedeutung unsrer Kolonisation in gefährlicher Weise, indem sie<lb/> Fragen der privaten Moral eine ganz falsche Stelle anweisen und die heimischen<lb/> Kreise mit falschen Begriffen erfüllen. Die ekelhafte, systematische Ehrabschneiderei<lb/> gegenüber den Leuten, die einer der wichtigsten Aufgaben unsrer Zeit Leben und<lb/> Gesundheit opfern, muß endlich einmal ein Ende nehmen. Damit ist nicht gesagt<lb/> — wir müssen es noch einmal betonen —, daß Verfehlungen nicht gesühnt werden<lb/> sollen. Aber das kann geschehen ohne einen solchen Hexensabbat der niedrigsten<lb/> Parteisucht und Heuchelei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Im preußischen Abgeordnetenhause nähern sich die Etatsberatungen schon<lb/> ehren Ende. Man ist bei der dritten Lesung, Hierbei haben die vereinigten<lb/> Liberalen und Freikonservativen beim Kultusetat ihren Vorstoß gegen die Regierung<lb/> W Sachen einer liberalen Schulpolitik erneuert. Wir finden zwar auch jetzt den<lb/> Augenblick und die Umstände, unter denen dieses Vorgehen ins Werk gesetzt worden<lb/> lst, nicht besonders glücklich gewählt, müssen aber zugestehen, daß im einzelnen die<lb/> Sache diesmal geschickter gemacht wurde als am 16. März. Die Nationalliberalen<lb/> fühlen sich wohl durch ihre Wähler etwas gedrängt, die Echtheit ihres Liberalis¬<lb/> mus zu erweisen; die Freisinnigen müssen, um ihre nationale Aufgabe im Reichstage<lb/> zu erfüllen, ebenfalls etwas tun, um die „Unentwegten" und die Prinzipienreiter</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
orientiert zu sein. Die Verfolgungssucht der durch Partcisucht erregten öffentlichen
Meinung zeigte sich in ihrer schönsten Blüte, Mnu erregte sich noch nachträglich
darüber, daß Puttkamer überhaupt Gouverneur geworden sei. Das kann man in¬
sofern zugeben, als man heute wohl mehr als früher Bedenken tragen würde, Leute
in den Schutzgebieten zu verwenden, die in ihrer heimischen Laufbahn in irgend¬
einer Weise gescheitert sind. Aber abgesehen davon, daß die Strenge der heutigen
Anschauungen durchaus noch uicht die Frage entscheidet, ob es wirklich richtig und
zweckmäßig ist, Kräfte, die sich mit der nachgerade übertriebnen Korrektheit unsrer
heimischen Verhältnisse in ihrer Jugend nicht ganz abgefunden haben, unter allen
Umständen von der Betätigung im deutschen Neuland auszuschließen, ist doch daran
zu erinnern, daß man zu jeuer Zeit, als Puttkamer in den Kolonialdienst trat,
anders dachte. Und in Wahrheit hat er den an ihn gestellten Anforderungen und
Erwartungen entsprochen und sich in einundzwanzigjährigem Tropendienst große Ver¬
dienste um die westafrikanischen Schutzgebiete erworben. Als nun die Untersuchung
gegen ihn eingeleitet worden war wegen Verfehlungen, die zwar die gute Sitte und
die Amtswürde verletzten, aber strafrechtlich doch sehr leicht wogen, da behandelte
man ihn in der Heimat schon wie einen überführten Verbrecher. Erlaubte sich
ein verständiges Blatt einmal darauf hinzuweisen, daß sich für verschiedne Be¬
schuldigungen keine Anhaltspunkte ergeben hätten, so sielen die Hetzer darüber her,
als ob es sich um Vertuschungs- und Beschöniguugsversuche für die schlimmsten Ver¬
brechen handelte. Daß die Untersuchung mehr Zeit fordern würde, als wenn es
sich um Dinge, die in der Heimat geschehn, gehandelt hätte, stand für jeden über¬
legender Menschen von Anfang an fest. Trotzdem klagte man über die Verschleppung des
Falles. So wurde die öffentliche Meinung in der tendenziösesten Weise bearbeitet,
und als nun zuletzt das Disziplinargericht nach eingehender Würdigung aller Ver¬
hältnisse eiuen Richterspruch fällte, der der künstlich angestachelten Verfolgungssucht
der öffentlichen Meinung zu milde erschien, da konnte man sich gar nicht darüber
beruhigen, daß die ganze tugendhafte Entrüstung der guten Christen und Patrioten
vergeblich gewesen sein soll.
Vernünftige Leute werden aber nun doch wohl endlich zur Besinnung kommen
und sich noch etwas ernster als bisher die Frage vorlegen, ob wir unsre Kolonien
nur dazu haben, um die Erfolge deutscher Arbeit durch widerwärtige Persönliche
Skandale gefährden und diskreditieren zu lassen. Alle diese Sachen verschieben das
Urteil über die Bedeutung unsrer Kolonisation in gefährlicher Weise, indem sie
Fragen der privaten Moral eine ganz falsche Stelle anweisen und die heimischen
Kreise mit falschen Begriffen erfüllen. Die ekelhafte, systematische Ehrabschneiderei
gegenüber den Leuten, die einer der wichtigsten Aufgaben unsrer Zeit Leben und
Gesundheit opfern, muß endlich einmal ein Ende nehmen. Damit ist nicht gesagt
— wir müssen es noch einmal betonen —, daß Verfehlungen nicht gesühnt werden
sollen. Aber das kann geschehen ohne einen solchen Hexensabbat der niedrigsten
Parteisucht und Heuchelei.
Im preußischen Abgeordnetenhause nähern sich die Etatsberatungen schon
ehren Ende. Man ist bei der dritten Lesung, Hierbei haben die vereinigten
Liberalen und Freikonservativen beim Kultusetat ihren Vorstoß gegen die Regierung
W Sachen einer liberalen Schulpolitik erneuert. Wir finden zwar auch jetzt den
Augenblick und die Umstände, unter denen dieses Vorgehen ins Werk gesetzt worden
lst, nicht besonders glücklich gewählt, müssen aber zugestehen, daß im einzelnen die
Sache diesmal geschickter gemacht wurde als am 16. März. Die Nationalliberalen
fühlen sich wohl durch ihre Wähler etwas gedrängt, die Echtheit ihres Liberalis¬
mus zu erweisen; die Freisinnigen müssen, um ihre nationale Aufgabe im Reichstage
zu erfüllen, ebenfalls etwas tun, um die „Unentwegten" und die Prinzipienreiter
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |