Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Lidern und Kinder Auffassung des Lebens, die überall das Eigne offenbart und es trotz aller Welch ein Gegensatz zu der Art, wie der wackre Familienvater heute aus Das moderne Leben bläst alles aus. was unser Dasein reich und warm Die Art der Beschäftigung, die den Vater den größten Teil des Tages Lidern und Kinder Auffassung des Lebens, die überall das Eigne offenbart und es trotz aller Welch ein Gegensatz zu der Art, wie der wackre Familienvater heute aus Das moderne Leben bläst alles aus. was unser Dasein reich und warm Die Art der Beschäftigung, die den Vater den größten Teil des Tages <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302014"/> <fw type="header" place="top"> Lidern und Kinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_54" prev="#ID_53"> Auffassung des Lebens, die überall das Eigne offenbart und es trotz aller<lb/> statuarischen Haltung eckig und kantig ausprägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_55"> Welch ein Gegensatz zu der Art, wie der wackre Familienvater heute aus<lb/> Anlaß seiner silbernen Hochzeit sich und die Seinigen ini Bilde der Mit- und<lb/> Nachwelt überliefern läßt! Mit Hilfe widersinnig geformter Sitzmöbel, erlogner<lb/> Balustraden und verblaßter Blumenarrangements wird eine photographische<lb/> Gruppe gestellt — ein ausgeklügeltes Ganze von schwarzen Gehröcken und feier¬<lb/> täglichen Kostümen, die kein Mensch zu Hause trügt, Posen, die den Körper aus<lb/> seiner üblichen Haltung herausrenken, frisierte Köpfe, aus denen im Ernst des<lb/> Moments jede Lebensäußerung zurücktritt und die dafür die Maske von irgend-<lb/> etwas süßlichen oder Imposantem annehmen. Von dem allerelemeutarsten<lb/> Kunstempfinden kann hier keine Rede sein, aber auch die Empfindung des<lb/> Natürlichen ist abhanden gekommen: man hält die Gruppe für ganz entzückend,<lb/> und sie ist doch verrückt; man spricht von zwangloser Anordnung, wo der ge¬<lb/> walttätigste Zwang herrscht; man bewundert die geistlose Familienähnlichkeit,<lb/> obwohl das eigentlich Familienhafte durchaus fehlt, und niemand ist, der von<lb/> einem furchtbaren Grauen vor einer solchen Familie geschüttelt wird. Das Bild<lb/> ist ja eine Lüge durch und durch! Und doch ist es keine Lüge! Es fehlen<lb/> uns im Leben die Menschen, weil wir in unserm Bürgerhause fast gar kein<lb/> Familienleben mehr haben. Und was immer von einem traulichen Heim und<lb/> echter sinniger deutscher Häuslichkeit geredet wird, ist Nomanphrase und sentimen¬<lb/> tale Selbsttäuschung.</p><lb/> <p xml:id="ID_56"> Das moderne Leben bläst alles aus. was unser Dasein reich und warm<lb/> macht; atmet alles ein, was es vergiften und zerreißen muß. Das alte treu¬<lb/> herzige Heimatgefühl hat es längst beiseite gestoßen; nun will es auch daran<lb/> gehn, der Familie die Kräfte zu entziehn, die ihr Sinn und ihre Seele sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_57" next="#ID_58"> Die Art der Beschäftigung, die den Vater den größten Teil des Tages<lb/> vom Hause fern hält, die Unstete des wirtschaftlichen Lebens auch im kleinen,<lb/> die Dienstbotennot und das barbarische Nomadenleben in Miethäusern, ein<lb/> nervöser Drang nach Zerstreuung, nach außerhüuslichen Genüssen, nach Gesell¬<lb/> schaftlichkeit und Sport und ein ebenso krankhaftes Begehren der absoluten<lb/> Stille und Vereinsamung, das alles sind Strömungen, die die Kontinuität des<lb/> Familienlebens und seinen ersprießlichen Grund unterwühlen. Aber die wirk¬<lb/> liche Todesgefahr kommt von einer andern Seite her: Eltern und Kinder sind<lb/> keine Eltern und Kinder mehr. Zwischen Mann und Frau findet sich zumeist<lb/> schon eine genügende Verträglichkeit, die das Leben behaglich und genießbar<lb/> macht — das nennt man dann eine glückliche Ehe. Aber den Kindern ist dabei<lb/> oft ihr Raum genommen; man hat sie heimatlos gemacht. Und sie sind doch<lb/> das Bleibende, das im GeWoge niemals untergehn darf; sie fordern unsre<lb/> besten Gedanken, unsre beste Zeit. Sie sind das unverbrüchliche Naturgesetz,<lb/> das dem Familienleben Sinn und Zweck gibt und seine Form bestimmt. In<lb/> einer der wunderbar feinen seelischen Erzählungen des schwedischen Dichters</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Lidern und Kinder
Auffassung des Lebens, die überall das Eigne offenbart und es trotz aller
statuarischen Haltung eckig und kantig ausprägt.
Welch ein Gegensatz zu der Art, wie der wackre Familienvater heute aus
Anlaß seiner silbernen Hochzeit sich und die Seinigen ini Bilde der Mit- und
Nachwelt überliefern läßt! Mit Hilfe widersinnig geformter Sitzmöbel, erlogner
Balustraden und verblaßter Blumenarrangements wird eine photographische
Gruppe gestellt — ein ausgeklügeltes Ganze von schwarzen Gehröcken und feier¬
täglichen Kostümen, die kein Mensch zu Hause trügt, Posen, die den Körper aus
seiner üblichen Haltung herausrenken, frisierte Köpfe, aus denen im Ernst des
Moments jede Lebensäußerung zurücktritt und die dafür die Maske von irgend-
etwas süßlichen oder Imposantem annehmen. Von dem allerelemeutarsten
Kunstempfinden kann hier keine Rede sein, aber auch die Empfindung des
Natürlichen ist abhanden gekommen: man hält die Gruppe für ganz entzückend,
und sie ist doch verrückt; man spricht von zwangloser Anordnung, wo der ge¬
walttätigste Zwang herrscht; man bewundert die geistlose Familienähnlichkeit,
obwohl das eigentlich Familienhafte durchaus fehlt, und niemand ist, der von
einem furchtbaren Grauen vor einer solchen Familie geschüttelt wird. Das Bild
ist ja eine Lüge durch und durch! Und doch ist es keine Lüge! Es fehlen
uns im Leben die Menschen, weil wir in unserm Bürgerhause fast gar kein
Familienleben mehr haben. Und was immer von einem traulichen Heim und
echter sinniger deutscher Häuslichkeit geredet wird, ist Nomanphrase und sentimen¬
tale Selbsttäuschung.
Das moderne Leben bläst alles aus. was unser Dasein reich und warm
macht; atmet alles ein, was es vergiften und zerreißen muß. Das alte treu¬
herzige Heimatgefühl hat es längst beiseite gestoßen; nun will es auch daran
gehn, der Familie die Kräfte zu entziehn, die ihr Sinn und ihre Seele sind.
Die Art der Beschäftigung, die den Vater den größten Teil des Tages
vom Hause fern hält, die Unstete des wirtschaftlichen Lebens auch im kleinen,
die Dienstbotennot und das barbarische Nomadenleben in Miethäusern, ein
nervöser Drang nach Zerstreuung, nach außerhüuslichen Genüssen, nach Gesell¬
schaftlichkeit und Sport und ein ebenso krankhaftes Begehren der absoluten
Stille und Vereinsamung, das alles sind Strömungen, die die Kontinuität des
Familienlebens und seinen ersprießlichen Grund unterwühlen. Aber die wirk¬
liche Todesgefahr kommt von einer andern Seite her: Eltern und Kinder sind
keine Eltern und Kinder mehr. Zwischen Mann und Frau findet sich zumeist
schon eine genügende Verträglichkeit, die das Leben behaglich und genießbar
macht — das nennt man dann eine glückliche Ehe. Aber den Kindern ist dabei
oft ihr Raum genommen; man hat sie heimatlos gemacht. Und sie sind doch
das Bleibende, das im GeWoge niemals untergehn darf; sie fordern unsre
besten Gedanken, unsre beste Zeit. Sie sind das unverbrüchliche Naturgesetz,
das dem Familienleben Sinn und Zweck gibt und seine Form bestimmt. In
einer der wunderbar feinen seelischen Erzählungen des schwedischen Dichters
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