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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Daß die Zahl der Krüppel und der mit offnen Schäden Behafteten so
groß war, kann uns bei dem damaligen Tiefstände der Reinlichkeit und der
ärztlichen Kunst nicht wundern. Beschädigungen, Unglücksfälle gab es alle
Tage, aber geheilt wurden sie in den seltensten Fällen. Als recht eigentlichen
Opfern ihres Berufs müssen wir Mitleid zollen dein Snlzsicder von Linie
bürg, der sich beide Augen aus dem Kopfe gebrannt, dein Fechtmeister aus
Straßburg, dem ein Auge ausgestoßen, und dein Brauer ans Brandenburg, "so in
die brawpfanne gefallen und sich gard, verbrannt, nackt und bloß gegangen".

Neben dem Handwerk lieferte der Krieg einen bedeutenden Teil der großen
bettelnden Armee. Wie der verunglückte oder erkrankte Handwerksmann, so war
der verwundete Soldat rechtlos -- bis auf das Recht, den Schnappsack um¬
zuhängen. Mau gab auch ihnen, oft mehr als andern, um sie los zu werden,
am meisten, wenn sie in Rudeln kamen und fest auftreten konnten, am
kärglichsten, wenn sie, heruntergekommen, sich als Krüppel mit Weib lind Kind
durchs Land bettelten und zwar kläglich, aber nicht mehr drohend ausschauten.
Den Pfennig, den man 1680 dem lahmen Soldaten "mit bei sich habenden
Weib und Kindern" anbot, hätte" die Landsknechte aus Ungarn, die zu zweien
und dreien recht häufig dem Stadtschreiber ihre Reverenz machten, ihm ver¬
mutlich mit einem Kapitalfluch vor die Füße geworfen. Man gab ihnen in
der Regel zwei bis drei Groschen, oftmals mehr "5 Groschen 9 Pfennig den
Reisigen Knechten und Fußgängern die in Ungarn gezogen", verzeichnet die
Rechnung von 1595, die von 1597 sogar "12 Groschen denen Landsknechten,
welche sich vor der kirchen gelagert und dem Ambte, Kirchen und Rath und
eine Ritter zehrnng gebethen". Da sah man sie wohl lieber vereinzelt kommen,
weniger ansehnlich, aber bescheidner, wie die "zween Reuters, so voller Un-
geziffers gewesen". Wenn man das besonders hervorhob, muß es allerdings
sehr schlimm gewesen sein. Förmlich dahergefahren kamen die verwundeten und
abgedankter Marssöhne in und nach den Jahren blutiger Schlachten, wie 1678.
Neben zwei Churfürstlich Brandenburgischen Soldaten, "so für Anklam und
Stettin um ihre Glieder gekommen", melden sich ebenso vertrauensvoll Kaiser¬
liche, dänische und andre Nationen, und man gab einem wie dem andern,
auch dem "Fürstlich Sächsischen Soldaten, welcher dem Bischof von .Halle ge¬
dient und bei Dammgarten um seine gesundheit gekommen". Er kam in guter
Gesellschaft: ein schwedischer Feldscherer, der aus Schonen stammte, einer von
Adel, der "Wachtmeister-Leutnant unter dem König in Pohlen" gewesen war,
zwei Tambours, "so vou Lübeck nach Dresden gereiset, laut vorgezeigtem Paß",
tauchen neben ihm aus den vergilbten Registern auf.

Unter dem fremden Kriegsvolk waren Schwedische immer vertreten, besonders
nach der barbarischen Verwüstung Pommerns im schwedisch-brandenburgischen
Kriege (1680) treten sie in Mengen ans. So erscheint einmal an der Seite eines
armen pommerschen Schuldieners ein abgedankter lahmer schwedischer Leutnant.
Dann begegnen uns Offiziere, die dem "Könige von Dennemarck", Kapitains,


fahrendes Doll i>» sind'zchnion Jahrhundert

Daß die Zahl der Krüppel und der mit offnen Schäden Behafteten so
groß war, kann uns bei dem damaligen Tiefstände der Reinlichkeit und der
ärztlichen Kunst nicht wundern. Beschädigungen, Unglücksfälle gab es alle
Tage, aber geheilt wurden sie in den seltensten Fällen. Als recht eigentlichen
Opfern ihres Berufs müssen wir Mitleid zollen dein Snlzsicder von Linie
bürg, der sich beide Augen aus dem Kopfe gebrannt, dein Fechtmeister aus
Straßburg, dem ein Auge ausgestoßen, und dein Brauer ans Brandenburg, „so in
die brawpfanne gefallen und sich gard, verbrannt, nackt und bloß gegangen".

Neben dem Handwerk lieferte der Krieg einen bedeutenden Teil der großen
bettelnden Armee. Wie der verunglückte oder erkrankte Handwerksmann, so war
der verwundete Soldat rechtlos — bis auf das Recht, den Schnappsack um¬
zuhängen. Mau gab auch ihnen, oft mehr als andern, um sie los zu werden,
am meisten, wenn sie in Rudeln kamen und fest auftreten konnten, am
kärglichsten, wenn sie, heruntergekommen, sich als Krüppel mit Weib lind Kind
durchs Land bettelten und zwar kläglich, aber nicht mehr drohend ausschauten.
Den Pfennig, den man 1680 dem lahmen Soldaten „mit bei sich habenden
Weib und Kindern" anbot, hätte» die Landsknechte aus Ungarn, die zu zweien
und dreien recht häufig dem Stadtschreiber ihre Reverenz machten, ihm ver¬
mutlich mit einem Kapitalfluch vor die Füße geworfen. Man gab ihnen in
der Regel zwei bis drei Groschen, oftmals mehr „5 Groschen 9 Pfennig den
Reisigen Knechten und Fußgängern die in Ungarn gezogen", verzeichnet die
Rechnung von 1595, die von 1597 sogar „12 Groschen denen Landsknechten,
welche sich vor der kirchen gelagert und dem Ambte, Kirchen und Rath und
eine Ritter zehrnng gebethen". Da sah man sie wohl lieber vereinzelt kommen,
weniger ansehnlich, aber bescheidner, wie die „zween Reuters, so voller Un-
geziffers gewesen". Wenn man das besonders hervorhob, muß es allerdings
sehr schlimm gewesen sein. Förmlich dahergefahren kamen die verwundeten und
abgedankter Marssöhne in und nach den Jahren blutiger Schlachten, wie 1678.
Neben zwei Churfürstlich Brandenburgischen Soldaten, „so für Anklam und
Stettin um ihre Glieder gekommen", melden sich ebenso vertrauensvoll Kaiser¬
liche, dänische und andre Nationen, und man gab einem wie dem andern,
auch dem „Fürstlich Sächsischen Soldaten, welcher dem Bischof von .Halle ge¬
dient und bei Dammgarten um seine gesundheit gekommen". Er kam in guter
Gesellschaft: ein schwedischer Feldscherer, der aus Schonen stammte, einer von
Adel, der „Wachtmeister-Leutnant unter dem König in Pohlen" gewesen war,
zwei Tambours, „so vou Lübeck nach Dresden gereiset, laut vorgezeigtem Paß",
tauchen neben ihm aus den vergilbten Registern auf.

Unter dem fremden Kriegsvolk waren Schwedische immer vertreten, besonders
nach der barbarischen Verwüstung Pommerns im schwedisch-brandenburgischen
Kriege (1680) treten sie in Mengen ans. So erscheint einmal an der Seite eines
armen pommerschen Schuldieners ein abgedankter lahmer schwedischer Leutnant.
Dann begegnen uns Offiziere, die dem „Könige von Dennemarck", Kapitains,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/256>, abgerufen am 06.02.2025.