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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Fritz Staveuh.igeu

Begabung für die Bühne in der großen Schar ihm bekannter junger Dramatiker
nicht begegnet sei. So waren also auch für diesen Teil unsers Kulturlebens
Staveuhagens Werke ein Gewinn und seine Persönlichkeit eine starke Hoffnung.

Und dazu kam noch eins, was zumal ans seinen frischen Erzählungen und
Skizzen*) spricht: ein Humor, den alles schwere Ringen und Kämpfen ent-
behrungsvollcr Jugendjahre nicht unterkriegen konnte. Es war der echte Humor
der Wasserkante, treffend, nicht immer frei von einem gewissen großstädtischen
Einschlag, im Innersten aber doch verwandt der schweren, nicht mit dem Leben
spielenden niederdeutschen Eigenart, Und alle diese Gaben standen bereit, sich
zum großen Meisterwerk, das uns in der Kette dieser Gaben noch fehlte, zu
vereinen, als ein jähes Geschick uns diesen Feuergeist entriß, der in einem ge¬
schwächten Körper wohnte.

Stavenhagen hat niederdeutsch geschrieben, trotzdem muß ich ihn ausdrücklich
eine Hoffnung unsrer großen Literatur nennen. Ich brauche uicht an Gerhart
Hauptmann zu erinnern, der vieles von seinem Besten und Reifsten auch nicht
in hochdeutscher Sprache, sondern in den Lauten seiner engern Heimat nieder¬
geschrieben hat. Es war wohl diese niederdeutsche Sprache, die unsern großen
Bühnen außerhalb Hamburgs die Annahme von Stavenhagens Stücken bei
seinen Lebzeiten unmöglich machte. Hatten die Schauspieler und die Regisseure
Gerhart Hauptmann zuliebe Schlesisch gelernt und das Publikum an diesen
Dialekt gewöhnt, so wollte man wohl ein zweites Experiment nicht machen.
Daß man es hätte machen können, zeigen die geglückten Versuche, eiuzelue
Dramen und insbesondre die in plattem Milieu spielende "Mutter Mews"
fernab von ihrem eigentlichen Schauplatz aufzuführen. Nein, ein reiner Dialekt¬
dichter im engen Sinne war Stavenhagen nicht. Er gehört in die große Literatur
hinein, wie Klaus Grvth, wie Fritz Reuter, deuen er nach dem Maß der Be¬
gabung zur Seite gehört, und denen nach dem Maße der Leistungen an die
Seite zu treten ein bitteres Schicksal ihn gehindert hat. Stavenhagen ist einer
der ganz wenigen Dichter der Gegenwart, die uns im Drama eine neue Ent¬
wicklung angebahnt haben, und wenn sich seine Sehnsucht und seine Hoffnungen
immer wieder auf die Belebung seiner geliebten niederdeutschen Sprache richteten,
so darf darüber nicht vergessen werden, daß seine Werke allgemeine deutsche
Geltung beanspruche" dürfen. Ich vermesse mich nicht, ihn mit Friedrich Hebbel
zu vergleichen, soviel Ähnlichkeit ihre dürftige Jugend darböte, aber ich zögere
uicht auszusprechen, daß er das stärkste dramatische Talent war, das Nieder¬
sachsen, diese jetzt so fruchtbare Provinz deutscher Kultur, seit Friedrich Hebbel
geboren hat. War ihm nicht beschieden, sich und sein Werk zu vollenden, so
bleibt er eine von den deutschen Persönlichkeiten, die siegreich noch nach ihrem
Tode mit den Werken früher Kraft die Volksgenossen bezwangen. Noch ist seine
Wirkung nicht zu Eude, er lebt und wird leben. Wir aber, uuter denen sein



Gesammelt unter dem Titel "Gwu und Golden".
Fritz Staveuh.igeu

Begabung für die Bühne in der großen Schar ihm bekannter junger Dramatiker
nicht begegnet sei. So waren also auch für diesen Teil unsers Kulturlebens
Staveuhagens Werke ein Gewinn und seine Persönlichkeit eine starke Hoffnung.

Und dazu kam noch eins, was zumal ans seinen frischen Erzählungen und
Skizzen*) spricht: ein Humor, den alles schwere Ringen und Kämpfen ent-
behrungsvollcr Jugendjahre nicht unterkriegen konnte. Es war der echte Humor
der Wasserkante, treffend, nicht immer frei von einem gewissen großstädtischen
Einschlag, im Innersten aber doch verwandt der schweren, nicht mit dem Leben
spielenden niederdeutschen Eigenart, Und alle diese Gaben standen bereit, sich
zum großen Meisterwerk, das uns in der Kette dieser Gaben noch fehlte, zu
vereinen, als ein jähes Geschick uns diesen Feuergeist entriß, der in einem ge¬
schwächten Körper wohnte.

Stavenhagen hat niederdeutsch geschrieben, trotzdem muß ich ihn ausdrücklich
eine Hoffnung unsrer großen Literatur nennen. Ich brauche uicht an Gerhart
Hauptmann zu erinnern, der vieles von seinem Besten und Reifsten auch nicht
in hochdeutscher Sprache, sondern in den Lauten seiner engern Heimat nieder¬
geschrieben hat. Es war wohl diese niederdeutsche Sprache, die unsern großen
Bühnen außerhalb Hamburgs die Annahme von Stavenhagens Stücken bei
seinen Lebzeiten unmöglich machte. Hatten die Schauspieler und die Regisseure
Gerhart Hauptmann zuliebe Schlesisch gelernt und das Publikum an diesen
Dialekt gewöhnt, so wollte man wohl ein zweites Experiment nicht machen.
Daß man es hätte machen können, zeigen die geglückten Versuche, eiuzelue
Dramen und insbesondre die in plattem Milieu spielende „Mutter Mews"
fernab von ihrem eigentlichen Schauplatz aufzuführen. Nein, ein reiner Dialekt¬
dichter im engen Sinne war Stavenhagen nicht. Er gehört in die große Literatur
hinein, wie Klaus Grvth, wie Fritz Reuter, deuen er nach dem Maß der Be¬
gabung zur Seite gehört, und denen nach dem Maße der Leistungen an die
Seite zu treten ein bitteres Schicksal ihn gehindert hat. Stavenhagen ist einer
der ganz wenigen Dichter der Gegenwart, die uns im Drama eine neue Ent¬
wicklung angebahnt haben, und wenn sich seine Sehnsucht und seine Hoffnungen
immer wieder auf die Belebung seiner geliebten niederdeutschen Sprache richteten,
so darf darüber nicht vergessen werden, daß seine Werke allgemeine deutsche
Geltung beanspruche» dürfen. Ich vermesse mich nicht, ihn mit Friedrich Hebbel
zu vergleichen, soviel Ähnlichkeit ihre dürftige Jugend darböte, aber ich zögere
uicht auszusprechen, daß er das stärkste dramatische Talent war, das Nieder¬
sachsen, diese jetzt so fruchtbare Provinz deutscher Kultur, seit Friedrich Hebbel
geboren hat. War ihm nicht beschieden, sich und sein Werk zu vollenden, so
bleibt er eine von den deutschen Persönlichkeiten, die siegreich noch nach ihrem
Tode mit den Werken früher Kraft die Volksgenossen bezwangen. Noch ist seine
Wirkung nicht zu Eude, er lebt und wird leben. Wir aber, uuter denen sein



Gesammelt unter dem Titel „Gwu und Golden".
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[0252] Fritz Staveuh.igeu Begabung für die Bühne in der großen Schar ihm bekannter junger Dramatiker nicht begegnet sei. So waren also auch für diesen Teil unsers Kulturlebens Staveuhagens Werke ein Gewinn und seine Persönlichkeit eine starke Hoffnung. Und dazu kam noch eins, was zumal ans seinen frischen Erzählungen und Skizzen*) spricht: ein Humor, den alles schwere Ringen und Kämpfen ent- behrungsvollcr Jugendjahre nicht unterkriegen konnte. Es war der echte Humor der Wasserkante, treffend, nicht immer frei von einem gewissen großstädtischen Einschlag, im Innersten aber doch verwandt der schweren, nicht mit dem Leben spielenden niederdeutschen Eigenart, Und alle diese Gaben standen bereit, sich zum großen Meisterwerk, das uns in der Kette dieser Gaben noch fehlte, zu vereinen, als ein jähes Geschick uns diesen Feuergeist entriß, der in einem ge¬ schwächten Körper wohnte. Stavenhagen hat niederdeutsch geschrieben, trotzdem muß ich ihn ausdrücklich eine Hoffnung unsrer großen Literatur nennen. Ich brauche uicht an Gerhart Hauptmann zu erinnern, der vieles von seinem Besten und Reifsten auch nicht in hochdeutscher Sprache, sondern in den Lauten seiner engern Heimat nieder¬ geschrieben hat. Es war wohl diese niederdeutsche Sprache, die unsern großen Bühnen außerhalb Hamburgs die Annahme von Stavenhagens Stücken bei seinen Lebzeiten unmöglich machte. Hatten die Schauspieler und die Regisseure Gerhart Hauptmann zuliebe Schlesisch gelernt und das Publikum an diesen Dialekt gewöhnt, so wollte man wohl ein zweites Experiment nicht machen. Daß man es hätte machen können, zeigen die geglückten Versuche, eiuzelue Dramen und insbesondre die in plattem Milieu spielende „Mutter Mews" fernab von ihrem eigentlichen Schauplatz aufzuführen. Nein, ein reiner Dialekt¬ dichter im engen Sinne war Stavenhagen nicht. Er gehört in die große Literatur hinein, wie Klaus Grvth, wie Fritz Reuter, deuen er nach dem Maß der Be¬ gabung zur Seite gehört, und denen nach dem Maße der Leistungen an die Seite zu treten ein bitteres Schicksal ihn gehindert hat. Stavenhagen ist einer der ganz wenigen Dichter der Gegenwart, die uns im Drama eine neue Ent¬ wicklung angebahnt haben, und wenn sich seine Sehnsucht und seine Hoffnungen immer wieder auf die Belebung seiner geliebten niederdeutschen Sprache richteten, so darf darüber nicht vergessen werden, daß seine Werke allgemeine deutsche Geltung beanspruche» dürfen. Ich vermesse mich nicht, ihn mit Friedrich Hebbel zu vergleichen, soviel Ähnlichkeit ihre dürftige Jugend darböte, aber ich zögere uicht auszusprechen, daß er das stärkste dramatische Talent war, das Nieder¬ sachsen, diese jetzt so fruchtbare Provinz deutscher Kultur, seit Friedrich Hebbel geboren hat. War ihm nicht beschieden, sich und sein Werk zu vollenden, so bleibt er eine von den deutschen Persönlichkeiten, die siegreich noch nach ihrem Tode mit den Werken früher Kraft die Volksgenossen bezwangen. Noch ist seine Wirkung nicht zu Eude, er lebt und wird leben. Wir aber, uuter denen sein Gesammelt unter dem Titel „Gwu und Golden".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/252>, abgerufen am 06.02.2025.