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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Ein Frauenberuf

Kaustische Mittel sind hier schädlich. Eine kaustische Polemik wird die Einigung
der Geschlechter zum Kampfe gegen das furchtbare Übel verzögern.

Männer schöpfen ihre Kraft zum Kampfe gegen Sittenschüden aus dem
Gedanken an Mütter, Schwestern, Frauen, Töchter. Die diesem unerschöpflichen
Born entsprechende Quelle der Begeisterung kann den Frauen nicht ganz ver¬
siegt sein.

Dichterstimmen fallen bei der Beurteilung einer solchen Frage nicht ent¬
scheidend ins Gewicht, aber wenn ein Dichter ein realistisches Porträt eines warm¬
herzigen Polizeibeamten gibt, darf man sich darüber freuen und hier daran erinnern.
Daß es unter den Polizeibeamten aller Rangstufen Leute gibt wie der Kriminal¬
schutzmann Schmölle, der in Fontanes Roman "Fran Jenny Treibel" von
seinen "auf Sitte,, gemachten Erfahrungen mit Worten spricht, wie sie Würmer
kein hochgebildeter Abolitionist finden könnte, habe ich selbst erfahren, als ich
mich auf der Münchner Polizeidirektion über die Masse und die Art der Er¬
zeugnisse der pornographischen Industrie unterrichtete. Diesen Schmolles unter
den Polizeibeamten, die ihre Erinnyenpflicht oft genug bedrückt, wird eine Helferin,
die den Unglücklichen von Amts wegen und aus eignem Herzensdrang die Liebe
erzeigt, wozu den übrigen Polizeibeamten ihr Amt keine Zeit läßt, einen Stein
vom Herzen nehmen. Ihnen wird es willkommen sein, wenn sich Eleemosyne
zu den Erinnyen gesellt.

Ich danke es meiner Frau, daß mir in der jahrelangen, in alle Tiefen
dringenden Beschäftigung mit der Prostitution und ihrem Spiegelbild, der Porno¬
graphie, nicht der Glaube an die Frauen und an die Menschheit verloren ge¬
gangen ist. Vor sieben Wochen habe ich sie begraben. Nun entzündet ihr An¬
denken in mir an dem schwersten Leid, das mich in meinem Leben getroffen hat,
wieder das Mitleid und facht es an, als Leuchte auf meinem Lebenswege, der
dunkel und einsam geworden ist.

Unter denen, die diese Zeilen lesen, sind sicher viele, die wie ich durch ihre
Frauen im Glauben an die hohe Würde der Menschenseele und an den hohen
Wert eines ungebrochnen Menschenlebens erhalten oder dazu bekehrt worden sind.
Sie werden, wenn sie bisher gleichgiltig an der Not unsrer ärmsten Schwestern
vorübergegangen sind, nun, da sie mich angehört haben, um eine Sorge schwerer
belastet, aber auch um ein aufwärts führendes Ziel reicher geworden sein.


Ludwig Rein in er


Ein Frauenberuf

Kaustische Mittel sind hier schädlich. Eine kaustische Polemik wird die Einigung
der Geschlechter zum Kampfe gegen das furchtbare Übel verzögern.

Männer schöpfen ihre Kraft zum Kampfe gegen Sittenschüden aus dem
Gedanken an Mütter, Schwestern, Frauen, Töchter. Die diesem unerschöpflichen
Born entsprechende Quelle der Begeisterung kann den Frauen nicht ganz ver¬
siegt sein.

Dichterstimmen fallen bei der Beurteilung einer solchen Frage nicht ent¬
scheidend ins Gewicht, aber wenn ein Dichter ein realistisches Porträt eines warm¬
herzigen Polizeibeamten gibt, darf man sich darüber freuen und hier daran erinnern.
Daß es unter den Polizeibeamten aller Rangstufen Leute gibt wie der Kriminal¬
schutzmann Schmölle, der in Fontanes Roman „Fran Jenny Treibel" von
seinen „auf Sitte,, gemachten Erfahrungen mit Worten spricht, wie sie Würmer
kein hochgebildeter Abolitionist finden könnte, habe ich selbst erfahren, als ich
mich auf der Münchner Polizeidirektion über die Masse und die Art der Er¬
zeugnisse der pornographischen Industrie unterrichtete. Diesen Schmolles unter
den Polizeibeamten, die ihre Erinnyenpflicht oft genug bedrückt, wird eine Helferin,
die den Unglücklichen von Amts wegen und aus eignem Herzensdrang die Liebe
erzeigt, wozu den übrigen Polizeibeamten ihr Amt keine Zeit läßt, einen Stein
vom Herzen nehmen. Ihnen wird es willkommen sein, wenn sich Eleemosyne
zu den Erinnyen gesellt.

Ich danke es meiner Frau, daß mir in der jahrelangen, in alle Tiefen
dringenden Beschäftigung mit der Prostitution und ihrem Spiegelbild, der Porno¬
graphie, nicht der Glaube an die Frauen und an die Menschheit verloren ge¬
gangen ist. Vor sieben Wochen habe ich sie begraben. Nun entzündet ihr An¬
denken in mir an dem schwersten Leid, das mich in meinem Leben getroffen hat,
wieder das Mitleid und facht es an, als Leuchte auf meinem Lebenswege, der
dunkel und einsam geworden ist.

Unter denen, die diese Zeilen lesen, sind sicher viele, die wie ich durch ihre
Frauen im Glauben an die hohe Würde der Menschenseele und an den hohen
Wert eines ungebrochnen Menschenlebens erhalten oder dazu bekehrt worden sind.
Sie werden, wenn sie bisher gleichgiltig an der Not unsrer ärmsten Schwestern
vorübergegangen sind, nun, da sie mich angehört haben, um eine Sorge schwerer
belastet, aber auch um ein aufwärts führendes Ziel reicher geworden sein.


Ludwig Rein in er


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[0248] Ein Frauenberuf Kaustische Mittel sind hier schädlich. Eine kaustische Polemik wird die Einigung der Geschlechter zum Kampfe gegen das furchtbare Übel verzögern. Männer schöpfen ihre Kraft zum Kampfe gegen Sittenschüden aus dem Gedanken an Mütter, Schwestern, Frauen, Töchter. Die diesem unerschöpflichen Born entsprechende Quelle der Begeisterung kann den Frauen nicht ganz ver¬ siegt sein. Dichterstimmen fallen bei der Beurteilung einer solchen Frage nicht ent¬ scheidend ins Gewicht, aber wenn ein Dichter ein realistisches Porträt eines warm¬ herzigen Polizeibeamten gibt, darf man sich darüber freuen und hier daran erinnern. Daß es unter den Polizeibeamten aller Rangstufen Leute gibt wie der Kriminal¬ schutzmann Schmölle, der in Fontanes Roman „Fran Jenny Treibel" von seinen „auf Sitte,, gemachten Erfahrungen mit Worten spricht, wie sie Würmer kein hochgebildeter Abolitionist finden könnte, habe ich selbst erfahren, als ich mich auf der Münchner Polizeidirektion über die Masse und die Art der Er¬ zeugnisse der pornographischen Industrie unterrichtete. Diesen Schmolles unter den Polizeibeamten, die ihre Erinnyenpflicht oft genug bedrückt, wird eine Helferin, die den Unglücklichen von Amts wegen und aus eignem Herzensdrang die Liebe erzeigt, wozu den übrigen Polizeibeamten ihr Amt keine Zeit läßt, einen Stein vom Herzen nehmen. Ihnen wird es willkommen sein, wenn sich Eleemosyne zu den Erinnyen gesellt. Ich danke es meiner Frau, daß mir in der jahrelangen, in alle Tiefen dringenden Beschäftigung mit der Prostitution und ihrem Spiegelbild, der Porno¬ graphie, nicht der Glaube an die Frauen und an die Menschheit verloren ge¬ gangen ist. Vor sieben Wochen habe ich sie begraben. Nun entzündet ihr An¬ denken in mir an dem schwersten Leid, das mich in meinem Leben getroffen hat, wieder das Mitleid und facht es an, als Leuchte auf meinem Lebenswege, der dunkel und einsam geworden ist. Unter denen, die diese Zeilen lesen, sind sicher viele, die wie ich durch ihre Frauen im Glauben an die hohe Würde der Menschenseele und an den hohen Wert eines ungebrochnen Menschenlebens erhalten oder dazu bekehrt worden sind. Sie werden, wenn sie bisher gleichgiltig an der Not unsrer ärmsten Schwestern vorübergegangen sind, nun, da sie mich angehört haben, um eine Sorge schwerer belastet, aber auch um ein aufwärts führendes Ziel reicher geworden sein. Ludwig Rein in er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/248>, abgerufen am 06.02.2025.