Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Fenster hinaus geredet werden, obwohl die wenigen brauchbaren Gedanken darin Es wäre darum sehr zu wünschen, daß durch die Geschäftsordnung ein heilsamer Einigemale ist ja auch jetzt von Schlußanträgen Gebrauch gemacht worden. Maßgebliches und Unmaßgebliches Fenster hinaus geredet werden, obwohl die wenigen brauchbaren Gedanken darin Es wäre darum sehr zu wünschen, daß durch die Geschäftsordnung ein heilsamer Einigemale ist ja auch jetzt von Schlußanträgen Gebrauch gemacht worden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302206"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_999" prev="#ID_998"> Fenster hinaus geredet werden, obwohl die wenigen brauchbaren Gedanken darin<lb/> längst viel besser in Büchern zu finden und durch die Presse zum Gemeingut aller<lb/> Lesekundigen gemacht worden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1000"> Es wäre darum sehr zu wünschen, daß durch die Geschäftsordnung ein heilsamer<lb/> Zwang ausgeübt werden könnte, die uferlosen Debatten bei dem Gehalt der Minister<lb/> und Staatssekretäre einzuschränken. Sachlich würde dadurch nichts verloren werden,<lb/> wenn man nicht etwa der Meinung sein sollte, daß politische Gedanken einem<lb/> ähnlichen Prozeß des Wiederkäuens unterworfen werden müssen wie die Nahrung<lb/> in dem Magen gewisser Säugetiere, denen übrigens die Volksmeinung kein besondres<lb/> Maß von Intelligenz zuschreibt. Man wende nicht ein, daß dadurch eine Gelegen¬<lb/> heit verloren gehe, gesetzgeberische Wünsche in einem allgemeinen Zusammenhange<lb/> zu besprechen. Denn alles, was in jenen Debatten gesagt wird, kommt an andrer<lb/> Stelle mindestens noch einmal vor. An Resolutionen, Interpellationen und An¬<lb/> trägen auf bestimmte Gesetzentwürfe fehlt es ja trotzdem nicht. Auch darin geschieht<lb/> zu viel, weil die Bestimmungen der Geschäftsordnung über die Einbringung und<lb/> Behandlung der Anträge unzweckmäßig find. Die Anträge und Anfragen dienen<lb/> nur zum kleinen Teil der Förderung der Sache; in Wahrheit werden sie gestellt,<lb/> um den Eifer der Partei oder gar eines einzelnen Abgeordneten bei den Wählern<lb/> in ein besseres Licht zu rücken. Daher bilden sie ein chaotisches Durcheinander, und<lb/> das wird noch durch das allgemeine Wettlaufen erhöht, das die Parteieifersucht<lb/> verschuldet, indem sie die Reihenfolge der Behandlung der Anträge von dem<lb/> Zeitpunkt ihrer Einbringung abhängig macht. Unsre Parlamente haben jetzt nur<lb/> ein durch die Bedürfnisse der Praxis geschaffnes, nicht offizielles Organ für<lb/> gemeinsame Verabredungen der Parteien, den sogenannten „Seniorenkonvent".<lb/> Warum macht man daraus nicht eine offizielle Einrichtung und überträgt den<lb/> Vertrauensmännern der Fraktionen bestimmte Befugnisse und Funktionen?<lb/> Dann wäre es möglich, in die Beratung der Anträge mehr Ordnung und System<lb/> zu bringen, ohne die Furcht der Fraktionen, daß sie zurückgedrängt werden könnten,<lb/> zu erregen. Dann ließen sich auch festere Anordnungen über die für die einzelnen<lb/> Beratungen zur Verfügung stehende Zeit erreichen, und das hätte wiederum das<lb/> Gute, daß etwaige Schlußantrage ihren gehässigen Charakter verlören und andrer¬<lb/> seits auch manchem Obstruktionsversuch rechtzeitig vorgebeugt würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1001"> Einigemale ist ja auch jetzt von Schlußanträgen Gebrauch gemacht worden.<lb/> Auch die große sozialpolitische Debatte wurde auf diese Weise beendet. Nachdem sich<lb/> aber in einem Falle — bei der Besprechung einer ganz überflüssigen Jnterpellation —<lb/> die Freisinnigen zur Minderheit geschlagen und einen Schlußantrag der andern<lb/> Parteien des nationalen Blocks zu Falle gebracht haben, ist die Mehrheit scheu und<lb/> vorsichtig geworden. Die Vorliebe der Demokratie für uferloses und zweckloses Ge¬<lb/> schwätz hat hier dem wahren Interesse der parlamentarischen Geschäftsführung einen<lb/> Übeln Dienst erwiesen. Schon beginnen die Abgeordneten wieder während der<lb/> Debatten das Feld zu räumen, um sich der Qual zu entziehen, mit der das An¬<lb/> hören solcher Reden verbunden ist. Und so haben wir in dem neuen Reichstage<lb/> wieder die leeren Bänke, denselben Schaden, den das Diätengesetz schon im vorigen<lb/> Reichstage beseitigen sollte. Zentrum und Sozialdemokratie legen es jetzt darauf<lb/> an, durch ihre Rede» das Haus zu ermüden, und die nationalen Parteien wagen<lb/> nicht, sich zu widersetzen, weil sie die Unzuverlässigkeit der Freisinnigen bei einem<lb/> Schlußantrage fürchten. Da kann die Minderheit leicht zur Mehrheit werden, und<lb/> erst kürzlich wurde ein Handstreich der klerikal-sozialdemokratischen Opposition, wo¬<lb/> durch ein für die nationalen Parteien unannehmbarer Beschluß durchgedrückt werden<lb/> sollte, im letzten Augenblick nur dadurch vereitelt, daß durch Anzweiflung der Be¬<lb/> schlußfähigkeit des Hanfes die Sitzung gesprengt wurde.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0218]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Fenster hinaus geredet werden, obwohl die wenigen brauchbaren Gedanken darin
längst viel besser in Büchern zu finden und durch die Presse zum Gemeingut aller
Lesekundigen gemacht worden sind.
Es wäre darum sehr zu wünschen, daß durch die Geschäftsordnung ein heilsamer
Zwang ausgeübt werden könnte, die uferlosen Debatten bei dem Gehalt der Minister
und Staatssekretäre einzuschränken. Sachlich würde dadurch nichts verloren werden,
wenn man nicht etwa der Meinung sein sollte, daß politische Gedanken einem
ähnlichen Prozeß des Wiederkäuens unterworfen werden müssen wie die Nahrung
in dem Magen gewisser Säugetiere, denen übrigens die Volksmeinung kein besondres
Maß von Intelligenz zuschreibt. Man wende nicht ein, daß dadurch eine Gelegen¬
heit verloren gehe, gesetzgeberische Wünsche in einem allgemeinen Zusammenhange
zu besprechen. Denn alles, was in jenen Debatten gesagt wird, kommt an andrer
Stelle mindestens noch einmal vor. An Resolutionen, Interpellationen und An¬
trägen auf bestimmte Gesetzentwürfe fehlt es ja trotzdem nicht. Auch darin geschieht
zu viel, weil die Bestimmungen der Geschäftsordnung über die Einbringung und
Behandlung der Anträge unzweckmäßig find. Die Anträge und Anfragen dienen
nur zum kleinen Teil der Förderung der Sache; in Wahrheit werden sie gestellt,
um den Eifer der Partei oder gar eines einzelnen Abgeordneten bei den Wählern
in ein besseres Licht zu rücken. Daher bilden sie ein chaotisches Durcheinander, und
das wird noch durch das allgemeine Wettlaufen erhöht, das die Parteieifersucht
verschuldet, indem sie die Reihenfolge der Behandlung der Anträge von dem
Zeitpunkt ihrer Einbringung abhängig macht. Unsre Parlamente haben jetzt nur
ein durch die Bedürfnisse der Praxis geschaffnes, nicht offizielles Organ für
gemeinsame Verabredungen der Parteien, den sogenannten „Seniorenkonvent".
Warum macht man daraus nicht eine offizielle Einrichtung und überträgt den
Vertrauensmännern der Fraktionen bestimmte Befugnisse und Funktionen?
Dann wäre es möglich, in die Beratung der Anträge mehr Ordnung und System
zu bringen, ohne die Furcht der Fraktionen, daß sie zurückgedrängt werden könnten,
zu erregen. Dann ließen sich auch festere Anordnungen über die für die einzelnen
Beratungen zur Verfügung stehende Zeit erreichen, und das hätte wiederum das
Gute, daß etwaige Schlußantrage ihren gehässigen Charakter verlören und andrer¬
seits auch manchem Obstruktionsversuch rechtzeitig vorgebeugt würde.
Einigemale ist ja auch jetzt von Schlußanträgen Gebrauch gemacht worden.
Auch die große sozialpolitische Debatte wurde auf diese Weise beendet. Nachdem sich
aber in einem Falle — bei der Besprechung einer ganz überflüssigen Jnterpellation —
die Freisinnigen zur Minderheit geschlagen und einen Schlußantrag der andern
Parteien des nationalen Blocks zu Falle gebracht haben, ist die Mehrheit scheu und
vorsichtig geworden. Die Vorliebe der Demokratie für uferloses und zweckloses Ge¬
schwätz hat hier dem wahren Interesse der parlamentarischen Geschäftsführung einen
Übeln Dienst erwiesen. Schon beginnen die Abgeordneten wieder während der
Debatten das Feld zu räumen, um sich der Qual zu entziehen, mit der das An¬
hören solcher Reden verbunden ist. Und so haben wir in dem neuen Reichstage
wieder die leeren Bänke, denselben Schaden, den das Diätengesetz schon im vorigen
Reichstage beseitigen sollte. Zentrum und Sozialdemokratie legen es jetzt darauf
an, durch ihre Rede» das Haus zu ermüden, und die nationalen Parteien wagen
nicht, sich zu widersetzen, weil sie die Unzuverlässigkeit der Freisinnigen bei einem
Schlußantrage fürchten. Da kann die Minderheit leicht zur Mehrheit werden, und
erst kürzlich wurde ein Handstreich der klerikal-sozialdemokratischen Opposition, wo¬
durch ein für die nationalen Parteien unannehmbarer Beschluß durchgedrückt werden
sollte, im letzten Augenblick nur dadurch vereitelt, daß durch Anzweiflung der Be¬
schlußfähigkeit des Hanfes die Sitzung gesprengt wurde.
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