Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß hinunter eilte, sagte Immanuel zu seiner Frau: Du, Auguste, ein General war der Sie setzten sich verstimmt zu ihrem kärglichen Frühstück und machten sich gegen¬ Jetzt wurde noch stärker gepocht, und zugleichMrten sie, wie draußen jemand Ist Er der Barbier Gerlach? Zu dienen, lieber Herre, der bin ich. Er soll ja der einzige von der ganzen Leipziger Bartputzerzuuft sein, der sein Zu viel Ehre, mein lieber Herre, zu viel Ehre! erwiderte Immanuel, dem es Gut. Neben Er mir den Bart ab. Ohne viele Umstände schob der alte Soldat einen Stuhl an das Fenster, setzte Das hat Er brav gemacht. Er ist wenigstens kein Schwätzer wie die andern Nein, lieber Herre, antwortete Immanuel, wiessoll ich Sie kennen? Ich bin Um so besser! knurrte der Graukopf. Er zog eine seidne Börse aus der Tasche, warf einen blanken Taler auf den Gerlach sah bald den Taler, bald seine Frau an. Du, Alte, sagte er endlich, das war ein ganz feiner Herr, obwohl er aussah Der Preuße konnte kaum das Haus verlassen haben, da erschien auch schon El el, Herr Gerlach, Er hat ja jetzt recht vornehme Kunden! Da muß man Ein preußischer Feldmarschall? fragte der Alte. Er hat den Herrn nicht einmal gekannt? Er weiß wohl gar nicht, wen Er Grenzboten II 1907 27
Die Haselnuß hinunter eilte, sagte Immanuel zu seiner Frau: Du, Auguste, ein General war der Sie setzten sich verstimmt zu ihrem kärglichen Frühstück und machten sich gegen¬ Jetzt wurde noch stärker gepocht, und zugleichMrten sie, wie draußen jemand Ist Er der Barbier Gerlach? Zu dienen, lieber Herre, der bin ich. Er soll ja der einzige von der ganzen Leipziger Bartputzerzuuft sein, der sein Zu viel Ehre, mein lieber Herre, zu viel Ehre! erwiderte Immanuel, dem es Gut. Neben Er mir den Bart ab. Ohne viele Umstände schob der alte Soldat einen Stuhl an das Fenster, setzte Das hat Er brav gemacht. Er ist wenigstens kein Schwätzer wie die andern Nein, lieber Herre, antwortete Immanuel, wiessoll ich Sie kennen? Ich bin Um so besser! knurrte der Graukopf. Er zog eine seidne Börse aus der Tasche, warf einen blanken Taler auf den Gerlach sah bald den Taler, bald seine Frau an. Du, Alte, sagte er endlich, das war ein ganz feiner Herr, obwohl er aussah Der Preuße konnte kaum das Haus verlassen haben, da erschien auch schon El el, Herr Gerlach, Er hat ja jetzt recht vornehme Kunden! Da muß man Ein preußischer Feldmarschall? fragte der Alte. Er hat den Herrn nicht einmal gekannt? Er weiß wohl gar nicht, wen Er Grenzboten II 1907 27
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Die Haselnuß
hinunter eilte, sagte Immanuel zu seiner Frau: Du, Auguste, ein General war der
Kerl doch nicht! Der wäre nobler gewesen.
Sie setzten sich verstimmt zu ihrem kärglichen Frühstück und machten sich gegen¬
seitig Vorwürfe, daß sie den Mann, der sie so schlecht belohnt und ihnen zum Dank
für ihre Hilfsbereitschaft das alberne Märchen von der Nuß aufgebunden hätte, so
zuvorkommend und respektvoll behandelt hatten. Da wurde derb an die Tür gepocht.
Die beiden fuhren empor und sahen einander erstaunt an. Wer konnte sie zu so
früher Stunde besuchen wollen? Ob der Stadtkommandant etwa schon von ihrem
Gaste Wind bekommen hatte und nun, kaum zehn Minuten, nachdem der Vogel
entflogen war, nach ihm schickte?
Jetzt wurde noch stärker gepocht, und zugleichMrten sie, wie draußen jemand
heftig mit einem schweren Säbel gegen die Dielen stieß. Auf Jmmanuels zaghaftes
Herein! trat ein breitschultriger Mann mit kurzem grauem Schnurrbart, Schirmmütze
und preußischem Soldatenmantel in die Stube und fragte in barschem Tone:
Ist Er der Barbier Gerlach?
Zu dienen, lieber Herre, der bin ich.
Er soll ja der einzige von der ganzen Leipziger Bartputzerzuuft sein, der sein
Handwerk gründlich versteht.
Zu viel Ehre, mein lieber Herre, zu viel Ehre! erwiderte Immanuel, dem es
wie Zentnerlast vom Herzen fiel, mit einigen Verbeugungen. Man tut eben, was
man kann.
Gut. Neben Er mir den Bart ab.
Ohne viele Umstände schob der alte Soldat einen Stuhl an das Fenster, setzte
sich darauf und faltete die Hände über dem Korbe seines wuchtigen Reitersäbels.
Gerlach schlug Schaum, seiste den nicht gerade freundlich dreinschauenden Graukopf
ein und rasierte ihn so sorgfältig, wie es das schwache Licht des trüben Herbst¬
morgens erlaubte. Als er mit seiner Arbeit fertig war, sprang der greise Soldat
auf, strich mit der Hand über das glatte Kinn und sagte:
Das hat Er brav gemacht. Er ist wenigstens kein Schwätzer wie die andern
von Seiner Zunft. Kennt Er mich?
Nein, lieber Herre, antwortete Immanuel, wiessoll ich Sie kennen? Ich bin
nicht allwissend, wie der Hcchnsche Schulmeister, der gestern schon nicht mehr wußte,
Was er heute gegessen hatte.
Um so besser! knurrte der Graukopf.
Er zog eine seidne Börse aus der Tasche, warf einen blanken Taler auf den
Tisch und polterte mit kurzem Gruß aus der Stube und die Treppe hinunter.
Gerlach sah bald den Taler, bald seine Frau an.
Du, Alte, sagte er endlich, das war ein ganz feiner Herr, obwohl er aussah
wie ein alter Sergeant. So einen hab ich noch nicht unter dem Messer gehabt.
Der Preuße konnte kaum das Haus verlassen haben, da erschien auch schon
der Schneider aus dem dritten Stock, der seinen Hausgenossen sonst kaum zu
grüßen pflegte.
El el, Herr Gerlach, Er hat ja jetzt recht vornehme Kunden! Da muß man
Ihm wirklich gratulieren. Das hätte Er sich wohl auch nicht träumen lassen, daß
Ihn ein preußischer Feldmarschall mit seinem Besuche beehren würde! Aber ich Habs
schon immer gesagt: so sauber wie bei unserm Meister Gerlach wird man in der
ganzen Stadt nicht barbiert.
Ein preußischer Feldmarschall? fragte der Alte.
Er hat den Herrn nicht einmal gekannt? Er weiß wohl gar nicht, wen Er
barbiert hat?
Grenzboten II 1907 27
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