Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Leben und Treiben in Alt-Buchara war die trübe Beleuchtung schuld, die von dem grauen, mit Regenwolken be- Wo und was man kaufte, besah, befühlte und zurückwies, immer blieben In einzelne Straßen haben sich russische Händler einzudrängen gewußt. Unsre Anstandsperson, der Dshigit des Residenten, heute in einem braunen In den winkligen engen, unebenen, ungepflasterten Basarstraßen herrscht Leben und Treiben in Alt-Buchara war die trübe Beleuchtung schuld, die von dem grauen, mit Regenwolken be- Wo und was man kaufte, besah, befühlte und zurückwies, immer blieben In einzelne Straßen haben sich russische Händler einzudrängen gewußt. Unsre Anstandsperson, der Dshigit des Residenten, heute in einem braunen In den winkligen engen, unebenen, ungepflasterten Basarstraßen herrscht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302192"/> <fw type="header" place="top"> Leben und Treiben in Alt-Buchara</fw><lb/> <p xml:id="ID_913" prev="#ID_912"> war die trübe Beleuchtung schuld, die von dem grauen, mit Regenwolken be-<lb/> hangnen Himmel herniederkam und den Mattenbelag der Basarstraßen nicht<lb/> recht zu durchdringen vermochte. Das Halbdunkel selbst hat seinen Nutzen,<lb/> wenn man nämlich so leichtsinnig sein will, etwas zu essen, was nach stunden¬<lb/> langen Umherstreifen in Anbetracht der Genüsse der Gostinniza Jewropa ja<lb/> niemand zu verdenken ist. Baedeker warnt: Man wandelt und ißt nicht unge¬<lb/> straft am Serafschan; so haben wir uns denn bezähmt und nichts von den<lb/> gleißenden, in allen Farben schillernden Konfituren, dem aus Weinsirup be¬<lb/> reiteten Kischmisch, verschiednen kandierten Früchten und den andern schönen<lb/> Sachen genossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_914"> Wo und was man kaufte, besah, befühlte und zurückwies, immer blieben<lb/> die handelnden Tadshiken, Afghanen, Perser und Hindus, auch die stolzem<lb/> Usbeken dieselben. Immer hatte das Geschüft das Aussehen eines freundschaft¬<lb/> lichen Austausches. „Salcuu aleikum", den Gruß gönnte uns kein Moslem,<lb/> aber ein höfliches „Chosch" verbunden mit Verbeugung und Handbewegung nach<lb/> der Stelle, wo der Laie das Herz vermutet, auch ein Händedruck war überall<lb/> die Begrüßung.</p><lb/> <p xml:id="ID_915"> In einzelne Straßen haben sich russische Händler einzudrängen gewußt.<lb/> Ein Magazin mit deu goldgestickten Frauenpantöffelchen und sonstigen Schuh¬<lb/> waren nahm einen Raum ein, auf dem früher wohl mehrere eingeborne Kauf¬<lb/> leute in behäbiger Ruhe der Käufer geharrt hatten. Die Unverschämtheit<lb/> europäisch-israelitischer Geschäftsgebarung fiel dort ganz besonders unangenehm<lb/> angesichts des feilgehaltnen Schunds auf. In der den Basar mit dem Bahn¬<lb/> hof verbindenden Hauptstraße sind die übrigen russischen und natürlich auch<lb/> armenischen Geschäfte vertreten. Hier hat die Russisch-chinesische Bank verstanden,<lb/> sich ein Heim zu schaffen. Ein ganz schmales Seitengäßchen führt zum Ein¬<lb/> gang des Gebäudes, das sich mit seinem weißleuchtenden Verputz und dem<lb/> grünen Dach ganz sonderbar in der einförmig gelbgrauen Tönung der Ein¬<lb/> geborn enhäuser ausnimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_916"> Unsre Anstandsperson, der Dshigit des Residenten, heute in einem braunen<lb/> Überschlafrock, aber frisch und freundlich, wie ans dem El gepellt, verhalf uns auf<lb/> unsern Wegen zu einigem Ansehen. Wir mochten wohl auffallen in unsrer<lb/> Schaulust, auch allmählich durch mehrfache Einkäufe den durch Basargeschwätz<lb/> verbreiteten Ruf der Zahlungsfähigkeit erworben haben. Denn mit einemmale<lb/> gesellte sich französisch sprechend ein freiwilliger, nunmehr dritter Dragoman zu<lb/> uns, auch ein hübsch gewachsuer blonder Tadshike mit einem Gesicht wie Milch<lb/> und Blut; anscheinend ein weitgereister Jüngling und jedenfalls ein ganz ge¬<lb/> witzter Schlingel, der manches wußte, manches zeigen und erklären konnte. So<lb/> durchzogen wir wohlberaten die Basarstadt in allen Richtungen und wurden<lb/> des Schaums nicht müde. Man muß selber sehen, was für ein reiches Leben<lb/> hier pulsiert; zu beschreiben ist es kaum.</p><lb/> <p xml:id="ID_917"> In den winkligen engen, unebenen, ungepflasterten Basarstraßen herrscht<lb/> meist ein leicht schummriges Zwielicht. Ihre Überdeckung mit Stangen und<lb/> Matten soll gegen die atmosphärische Feuchtigkeit schützen und die glühende<lb/> Sonne abhalten. Jetzt war sie zum Teil entfernt; an solchen Stellen ver¬<lb/> wandelte der dünn rieselnde Regen den Boden in eine zähfette Lehmmasse, die<lb/> jeden Schritt erschwerte. Aber da gewann man auch einen Ausblick auf die<lb/> Platten Dächer. Die Bauart der Häuser erlaubt unter besonders kundiger<lb/> Führung Spaziergänge dort oben. Ein paar russische Offiziere machten sich<lb/> dies Vergnügen, nicht ohne gelegentlich in kühnem Sprung einen Sturz zu<lb/> wagen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Leben und Treiben in Alt-Buchara
war die trübe Beleuchtung schuld, die von dem grauen, mit Regenwolken be-
hangnen Himmel herniederkam und den Mattenbelag der Basarstraßen nicht
recht zu durchdringen vermochte. Das Halbdunkel selbst hat seinen Nutzen,
wenn man nämlich so leichtsinnig sein will, etwas zu essen, was nach stunden¬
langen Umherstreifen in Anbetracht der Genüsse der Gostinniza Jewropa ja
niemand zu verdenken ist. Baedeker warnt: Man wandelt und ißt nicht unge¬
straft am Serafschan; so haben wir uns denn bezähmt und nichts von den
gleißenden, in allen Farben schillernden Konfituren, dem aus Weinsirup be¬
reiteten Kischmisch, verschiednen kandierten Früchten und den andern schönen
Sachen genossen.
Wo und was man kaufte, besah, befühlte und zurückwies, immer blieben
die handelnden Tadshiken, Afghanen, Perser und Hindus, auch die stolzem
Usbeken dieselben. Immer hatte das Geschüft das Aussehen eines freundschaft¬
lichen Austausches. „Salcuu aleikum", den Gruß gönnte uns kein Moslem,
aber ein höfliches „Chosch" verbunden mit Verbeugung und Handbewegung nach
der Stelle, wo der Laie das Herz vermutet, auch ein Händedruck war überall
die Begrüßung.
In einzelne Straßen haben sich russische Händler einzudrängen gewußt.
Ein Magazin mit deu goldgestickten Frauenpantöffelchen und sonstigen Schuh¬
waren nahm einen Raum ein, auf dem früher wohl mehrere eingeborne Kauf¬
leute in behäbiger Ruhe der Käufer geharrt hatten. Die Unverschämtheit
europäisch-israelitischer Geschäftsgebarung fiel dort ganz besonders unangenehm
angesichts des feilgehaltnen Schunds auf. In der den Basar mit dem Bahn¬
hof verbindenden Hauptstraße sind die übrigen russischen und natürlich auch
armenischen Geschäfte vertreten. Hier hat die Russisch-chinesische Bank verstanden,
sich ein Heim zu schaffen. Ein ganz schmales Seitengäßchen führt zum Ein¬
gang des Gebäudes, das sich mit seinem weißleuchtenden Verputz und dem
grünen Dach ganz sonderbar in der einförmig gelbgrauen Tönung der Ein¬
geborn enhäuser ausnimmt.
Unsre Anstandsperson, der Dshigit des Residenten, heute in einem braunen
Überschlafrock, aber frisch und freundlich, wie ans dem El gepellt, verhalf uns auf
unsern Wegen zu einigem Ansehen. Wir mochten wohl auffallen in unsrer
Schaulust, auch allmählich durch mehrfache Einkäufe den durch Basargeschwätz
verbreiteten Ruf der Zahlungsfähigkeit erworben haben. Denn mit einemmale
gesellte sich französisch sprechend ein freiwilliger, nunmehr dritter Dragoman zu
uns, auch ein hübsch gewachsuer blonder Tadshike mit einem Gesicht wie Milch
und Blut; anscheinend ein weitgereister Jüngling und jedenfalls ein ganz ge¬
witzter Schlingel, der manches wußte, manches zeigen und erklären konnte. So
durchzogen wir wohlberaten die Basarstadt in allen Richtungen und wurden
des Schaums nicht müde. Man muß selber sehen, was für ein reiches Leben
hier pulsiert; zu beschreiben ist es kaum.
In den winkligen engen, unebenen, ungepflasterten Basarstraßen herrscht
meist ein leicht schummriges Zwielicht. Ihre Überdeckung mit Stangen und
Matten soll gegen die atmosphärische Feuchtigkeit schützen und die glühende
Sonne abhalten. Jetzt war sie zum Teil entfernt; an solchen Stellen ver¬
wandelte der dünn rieselnde Regen den Boden in eine zähfette Lehmmasse, die
jeden Schritt erschwerte. Aber da gewann man auch einen Ausblick auf die
Platten Dächer. Die Bauart der Häuser erlaubt unter besonders kundiger
Führung Spaziergänge dort oben. Ein paar russische Offiziere machten sich
dies Vergnügen, nicht ohne gelegentlich in kühnem Sprung einen Sturz zu
wagen.
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