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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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der vor Seite 171 des Meschwitzschen Buches angebrachten Figurine ersichtlich
ist, war allerdings durch den Wegfall einiger Tressen etwas einfacher ge¬
worden, aber in allen wesentlichen Zügen, dem zitronengelben Schößenrock
mit blauen Aufschlägen, den blau und silbernen Tressen, den weißseidnen
Strümpfen, den Schnallenschuhen, dem gepuderten Haar mit dem schwarzseidnen
Haarbeutel war sie dieselbe geblieben. Nur glaube ich, daß die blaue Knie¬
hose im Laufe der Zeit für gewisse festliche Gelegenheiten durch eine engan¬
liegende weiße ersetzt worden war, denn mein Gewährsmann hat mir, als ich
noch in einem Alter war, wo ich den Duft und den Wohlgeschmack einer guten
Tasse Schokolade gebührend zu schätzen wußte, oft erzählt, sie Hütten diese
weißen Hosen, auf daß sie besser anlagen, feucht angezogen, und damit die
durch den Trockenprozeß verursachte Wärmeentzichung ihnen nichts schade, habe
man ihnen jedesmal heiße Schokolade zu trinken gegeben. Zu seinen inter¬
essantesten Erinnerungen gehörten die Tage, an denen er bei Napoleon dem
Ersten während dessen Aufenthalt im Dresdner Schloß die Aufwartung gehabt
hatte. Eine ihm bei der Abreise durch den Marschall Duroc überreichte goldne
Repetiernhr hatte dem Kaiser das Herz des sechzehnjähriger Jünglings offenbar
weniger gewonnen als die graziöse Lebhaftigkeit, mit der der damals im Zenit
seiner Macht stehende Herrscher Tag für Tag seine Umgebung behandelt hatte.

Unter den vielen Opfern, die König Friedrich August der Erste seinem
Lande in jener für seine Gefühle so schweren Zeit gebracht hatte, war auch
das, daß er es nach seiner Rückkehr nach Dresden aus Sparsamkeitsrücksichten
bei der vom Fürsten Repnin verfügten Abschaffung des Pagenkorps beließ
und nur zur Aufwartung bei Jagden zwei Jagdpagen beibehielt. In den
achtundfunfzig Jahren (1814 bis 1872), während deren es, abgesehen von
diesen zwei Jagdpagen, keine eigentlichen Pagen gab, wurde der Hofdienst,
der sich auf besonders feierliche Gelegenheiten beschränkte, von Zöglingen des
Kadettenkorps in Uniform verrichtet.

Als man 1872 zu empfinden begann, daß sich das Schleppetragen und
das Aufwarten bei Zeremonientafeln nicht recht für junge Leute in militärischer
Uniform schicken wollte -- man hatte dabei den gleichen Eindruck, den man
haben würde, wenn der zum großen Dienst gehörende Kommandeur des Garde¬
reiterregiments bei einer Zeremonientafel den Braten zu transchieren hätte --,
gab es drei Wege, die man einschlagen konnte, um eine sachgemäße Änderung
in diesem Punkte herbeizuführen. Man konnte das Aufwarten von Kadetten
ganz abschaffen -- man konnte in die Vergangenheit zurückgreifen und die
überaus kleidsame und geschmackvolle, gelb und blaue Hauslivree wieder vor¬
suchen -- oder man konnte endlich den für den Pagendienst bestimmten Kadetten
für den Hofdienst ein sonstiges besondres Kostüm geben, das jedoch als Livree
zu bezeichnen, wie es geschieht, kaum ein glücklicher Gedanke sein dürste.

Gegen die völlige Abschaffung des Pagendienstes sprach, daß man am
Berliner Hofe Pagen hat, lind daß man das Palladium der allerhöchsten und


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der vor Seite 171 des Meschwitzschen Buches angebrachten Figurine ersichtlich
ist, war allerdings durch den Wegfall einiger Tressen etwas einfacher ge¬
worden, aber in allen wesentlichen Zügen, dem zitronengelben Schößenrock
mit blauen Aufschlägen, den blau und silbernen Tressen, den weißseidnen
Strümpfen, den Schnallenschuhen, dem gepuderten Haar mit dem schwarzseidnen
Haarbeutel war sie dieselbe geblieben. Nur glaube ich, daß die blaue Knie¬
hose im Laufe der Zeit für gewisse festliche Gelegenheiten durch eine engan¬
liegende weiße ersetzt worden war, denn mein Gewährsmann hat mir, als ich
noch in einem Alter war, wo ich den Duft und den Wohlgeschmack einer guten
Tasse Schokolade gebührend zu schätzen wußte, oft erzählt, sie Hütten diese
weißen Hosen, auf daß sie besser anlagen, feucht angezogen, und damit die
durch den Trockenprozeß verursachte Wärmeentzichung ihnen nichts schade, habe
man ihnen jedesmal heiße Schokolade zu trinken gegeben. Zu seinen inter¬
essantesten Erinnerungen gehörten die Tage, an denen er bei Napoleon dem
Ersten während dessen Aufenthalt im Dresdner Schloß die Aufwartung gehabt
hatte. Eine ihm bei der Abreise durch den Marschall Duroc überreichte goldne
Repetiernhr hatte dem Kaiser das Herz des sechzehnjähriger Jünglings offenbar
weniger gewonnen als die graziöse Lebhaftigkeit, mit der der damals im Zenit
seiner Macht stehende Herrscher Tag für Tag seine Umgebung behandelt hatte.

Unter den vielen Opfern, die König Friedrich August der Erste seinem
Lande in jener für seine Gefühle so schweren Zeit gebracht hatte, war auch
das, daß er es nach seiner Rückkehr nach Dresden aus Sparsamkeitsrücksichten
bei der vom Fürsten Repnin verfügten Abschaffung des Pagenkorps beließ
und nur zur Aufwartung bei Jagden zwei Jagdpagen beibehielt. In den
achtundfunfzig Jahren (1814 bis 1872), während deren es, abgesehen von
diesen zwei Jagdpagen, keine eigentlichen Pagen gab, wurde der Hofdienst,
der sich auf besonders feierliche Gelegenheiten beschränkte, von Zöglingen des
Kadettenkorps in Uniform verrichtet.

Als man 1872 zu empfinden begann, daß sich das Schleppetragen und
das Aufwarten bei Zeremonientafeln nicht recht für junge Leute in militärischer
Uniform schicken wollte — man hatte dabei den gleichen Eindruck, den man
haben würde, wenn der zum großen Dienst gehörende Kommandeur des Garde¬
reiterregiments bei einer Zeremonientafel den Braten zu transchieren hätte —,
gab es drei Wege, die man einschlagen konnte, um eine sachgemäße Änderung
in diesem Punkte herbeizuführen. Man konnte das Aufwarten von Kadetten
ganz abschaffen — man konnte in die Vergangenheit zurückgreifen und die
überaus kleidsame und geschmackvolle, gelb und blaue Hauslivree wieder vor¬
suchen — oder man konnte endlich den für den Pagendienst bestimmten Kadetten
für den Hofdienst ein sonstiges besondres Kostüm geben, das jedoch als Livree
zu bezeichnen, wie es geschieht, kaum ein glücklicher Gedanke sein dürste.

Gegen die völlige Abschaffung des Pagendienstes sprach, daß man am
Berliner Hofe Pagen hat, lind daß man das Palladium der allerhöchsten und


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[0200] Alte und neue pageit der vor Seite 171 des Meschwitzschen Buches angebrachten Figurine ersichtlich ist, war allerdings durch den Wegfall einiger Tressen etwas einfacher ge¬ worden, aber in allen wesentlichen Zügen, dem zitronengelben Schößenrock mit blauen Aufschlägen, den blau und silbernen Tressen, den weißseidnen Strümpfen, den Schnallenschuhen, dem gepuderten Haar mit dem schwarzseidnen Haarbeutel war sie dieselbe geblieben. Nur glaube ich, daß die blaue Knie¬ hose im Laufe der Zeit für gewisse festliche Gelegenheiten durch eine engan¬ liegende weiße ersetzt worden war, denn mein Gewährsmann hat mir, als ich noch in einem Alter war, wo ich den Duft und den Wohlgeschmack einer guten Tasse Schokolade gebührend zu schätzen wußte, oft erzählt, sie Hütten diese weißen Hosen, auf daß sie besser anlagen, feucht angezogen, und damit die durch den Trockenprozeß verursachte Wärmeentzichung ihnen nichts schade, habe man ihnen jedesmal heiße Schokolade zu trinken gegeben. Zu seinen inter¬ essantesten Erinnerungen gehörten die Tage, an denen er bei Napoleon dem Ersten während dessen Aufenthalt im Dresdner Schloß die Aufwartung gehabt hatte. Eine ihm bei der Abreise durch den Marschall Duroc überreichte goldne Repetiernhr hatte dem Kaiser das Herz des sechzehnjähriger Jünglings offenbar weniger gewonnen als die graziöse Lebhaftigkeit, mit der der damals im Zenit seiner Macht stehende Herrscher Tag für Tag seine Umgebung behandelt hatte. Unter den vielen Opfern, die König Friedrich August der Erste seinem Lande in jener für seine Gefühle so schweren Zeit gebracht hatte, war auch das, daß er es nach seiner Rückkehr nach Dresden aus Sparsamkeitsrücksichten bei der vom Fürsten Repnin verfügten Abschaffung des Pagenkorps beließ und nur zur Aufwartung bei Jagden zwei Jagdpagen beibehielt. In den achtundfunfzig Jahren (1814 bis 1872), während deren es, abgesehen von diesen zwei Jagdpagen, keine eigentlichen Pagen gab, wurde der Hofdienst, der sich auf besonders feierliche Gelegenheiten beschränkte, von Zöglingen des Kadettenkorps in Uniform verrichtet. Als man 1872 zu empfinden begann, daß sich das Schleppetragen und das Aufwarten bei Zeremonientafeln nicht recht für junge Leute in militärischer Uniform schicken wollte — man hatte dabei den gleichen Eindruck, den man haben würde, wenn der zum großen Dienst gehörende Kommandeur des Garde¬ reiterregiments bei einer Zeremonientafel den Braten zu transchieren hätte —, gab es drei Wege, die man einschlagen konnte, um eine sachgemäße Änderung in diesem Punkte herbeizuführen. Man konnte das Aufwarten von Kadetten ganz abschaffen — man konnte in die Vergangenheit zurückgreifen und die überaus kleidsame und geschmackvolle, gelb und blaue Hauslivree wieder vor¬ suchen — oder man konnte endlich den für den Pagendienst bestimmten Kadetten für den Hofdienst ein sonstiges besondres Kostüm geben, das jedoch als Livree zu bezeichnen, wie es geschieht, kaum ein glücklicher Gedanke sein dürste. Gegen die völlige Abschaffung des Pagendienstes sprach, daß man am Berliner Hofe Pagen hat, lind daß man das Palladium der allerhöchsten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/200>, abgerufen am 06.02.2025.