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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Alte und neue Pagen

Ohren, und wenn man sich den eignen hop darauf ansieht, ob er etwa einer
der Schuldigen sein könne, sieht er so windig und leichtfertig ans, daß man ihm
den Hund zum Spazierenfahren nicht ohne Bedenken anvertraut. Und andrerseits
die jungen Leute: wer sorgte für einen? Vielleicht war der Junge, der einen
bedienen sollte, beim Einschmelzen unbeteiligt gewesen, und man mußte jeden
Augenblick gewärtig sein, statt des einzigen Zinngeschirrs, das man hatte, im
Augenblick des Bedürfnisses nichts oder einen zusammengeschmolzen, unbrauch¬
baren Zinnklumpen vorzufinden. Zu den "Mcntres", wie sie auf gut deutsch
genannt wurden, die, wie eine Verordnung vom 29. Januar 1724 zugibt, in
den abgelegensten Gassen wohnten, mußte man bei Wind und Wetter in Schuh
und Strümpfen rasen, und wenn man sein Möglichstes getan hatte und direkt
aus dem Unterricht wieder ins Schloß gelaufen kam, durch ein Wunder von
Behendigkeit ohne allen und jeden Spritzer, mußte man es schweigend mit
anhören, daß einem der Hofmarschall mit dem Stäbe Vorwürfe darüber machte,
daß man nicht schon vor einer halben Stunde dagewesen sei. Kurfürstliche
Durchlaucht hätten nach einem gefragt.

Da war es nun ein wahrer Segen für das Institut, daß der Pagenhof¬
meister Gerber auf Veranlassung des Ministers von Löwendahl in der Töpfer¬
gasse ein neugebautes Haus gefunden und gemietet hatte, wo er zur Auf¬
nahme und "Edukation der sämtlichen Pagen" sowie zu deren "Traktierung"
Anstalt machen konnte. Erst von diesem Augenblick an kam die Sache wirklich
ins Geschick, und der gute Ruf, den seitdem das Pagenhaus in jeder Beziehung
genoß, beweist von neuem, wie mächtig äußere Verhältnisse, bequem gelegne
Wohnung, regelmüßige Essensstunden, geregelter Studienplan den Einzelnen
und mit ihm eine ganze Gemeinschaft beeinflussen.

Als das Institut nach der Schlacht bei Leipzig von dem russischen General¬
gouvemeur Fürsten Repnin aufgelöst und unter dein Namen einer Ritter-
nkademie mit dein Kadettenkorps vereinigt wurde, hatte sich in dem Wesen der
Sache seit 1724 wenig verändert. Die Zahl der Pagen hatte je nach den
maßgebenden Verhältnissen geschwankt, und der Unterricht hatte, was Umfang
und Gründlichkeit anlangte, einen stetigen, rühmlichen Fortschritt gezeigt. Der
Hofdienst aber und der ganze Zuschnitt waren so ziemlich dieselben geblieben.

Ich habe oft Gelegenheit gehabt, aus dem Munde eines vormaligen
Pagen, der das Haus kurz vor der Schlacht bei Bautzen verlassen hatte und
zum Souslieutuant in der damaligen Leibkürassiergarde ernannt worden
war, gelegentliche Schilderungen seiner Erlebnisse während der Pagenzeit zu
hören und habe dabei immer den Eindruck gehabt, daß die Sache sehr be¬
scheiden, umsichtig und zweckmüßig eingerichtet war, und daß man es verstanden
hatte, durch geschickte Zeiteinteilung die beiden einander scheinbar entgegen¬
stehenden Erfordernisse der Aufwartung bei Hof und des wissenschaftlichen
Studiums wie der sorgfältigsten körperlichen Ausbildung miteinander in Ein¬
klang zu bringen. Die von den Silberpagen getragne Galalivree, wie sie aus


Alte und neue Pagen

Ohren, und wenn man sich den eignen hop darauf ansieht, ob er etwa einer
der Schuldigen sein könne, sieht er so windig und leichtfertig ans, daß man ihm
den Hund zum Spazierenfahren nicht ohne Bedenken anvertraut. Und andrerseits
die jungen Leute: wer sorgte für einen? Vielleicht war der Junge, der einen
bedienen sollte, beim Einschmelzen unbeteiligt gewesen, und man mußte jeden
Augenblick gewärtig sein, statt des einzigen Zinngeschirrs, das man hatte, im
Augenblick des Bedürfnisses nichts oder einen zusammengeschmolzen, unbrauch¬
baren Zinnklumpen vorzufinden. Zu den „Mcntres", wie sie auf gut deutsch
genannt wurden, die, wie eine Verordnung vom 29. Januar 1724 zugibt, in
den abgelegensten Gassen wohnten, mußte man bei Wind und Wetter in Schuh
und Strümpfen rasen, und wenn man sein Möglichstes getan hatte und direkt
aus dem Unterricht wieder ins Schloß gelaufen kam, durch ein Wunder von
Behendigkeit ohne allen und jeden Spritzer, mußte man es schweigend mit
anhören, daß einem der Hofmarschall mit dem Stäbe Vorwürfe darüber machte,
daß man nicht schon vor einer halben Stunde dagewesen sei. Kurfürstliche
Durchlaucht hätten nach einem gefragt.

Da war es nun ein wahrer Segen für das Institut, daß der Pagenhof¬
meister Gerber auf Veranlassung des Ministers von Löwendahl in der Töpfer¬
gasse ein neugebautes Haus gefunden und gemietet hatte, wo er zur Auf¬
nahme und „Edukation der sämtlichen Pagen" sowie zu deren „Traktierung"
Anstalt machen konnte. Erst von diesem Augenblick an kam die Sache wirklich
ins Geschick, und der gute Ruf, den seitdem das Pagenhaus in jeder Beziehung
genoß, beweist von neuem, wie mächtig äußere Verhältnisse, bequem gelegne
Wohnung, regelmüßige Essensstunden, geregelter Studienplan den Einzelnen
und mit ihm eine ganze Gemeinschaft beeinflussen.

Als das Institut nach der Schlacht bei Leipzig von dem russischen General¬
gouvemeur Fürsten Repnin aufgelöst und unter dein Namen einer Ritter-
nkademie mit dein Kadettenkorps vereinigt wurde, hatte sich in dem Wesen der
Sache seit 1724 wenig verändert. Die Zahl der Pagen hatte je nach den
maßgebenden Verhältnissen geschwankt, und der Unterricht hatte, was Umfang
und Gründlichkeit anlangte, einen stetigen, rühmlichen Fortschritt gezeigt. Der
Hofdienst aber und der ganze Zuschnitt waren so ziemlich dieselben geblieben.

Ich habe oft Gelegenheit gehabt, aus dem Munde eines vormaligen
Pagen, der das Haus kurz vor der Schlacht bei Bautzen verlassen hatte und
zum Souslieutuant in der damaligen Leibkürassiergarde ernannt worden
war, gelegentliche Schilderungen seiner Erlebnisse während der Pagenzeit zu
hören und habe dabei immer den Eindruck gehabt, daß die Sache sehr be¬
scheiden, umsichtig und zweckmüßig eingerichtet war, und daß man es verstanden
hatte, durch geschickte Zeiteinteilung die beiden einander scheinbar entgegen¬
stehenden Erfordernisse der Aufwartung bei Hof und des wissenschaftlichen
Studiums wie der sorgfältigsten körperlichen Ausbildung miteinander in Ein¬
klang zu bringen. Die von den Silberpagen getragne Galalivree, wie sie aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/199>, abgerufen am 06.02.2025.