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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Alte und nouo Pagen

Kadettenentwicklung zeigen, ist der von 1697, nach dem Original in den Re-
skripten des Jahres gezeichnete Kadett ein älterer "strammer feister Bengel",
wie dies seinerzeit in einer offiziellen Kundgebung als erstes physisches Er¬
fordernis eines brauchbaren Fähnrichs bezeichnet worden ist, und in seiner
breitbeinigen Stellung und selbstbewußten Haltung gibt er uns einen Begriff,
wie ein gewaschner und frisierter, gebesserter und mit der Zivilisation völlig
versöhnter Struwelpeter in seinem zwanzigsten Jahre etwa aussehen könnte.
Seine Waden haben mit denen des grünen Obers eine unverkennbare Familien¬
ähnlichkeit, und bei einem fideler Schwarzen Peter scheint ihn das Glück im
Stich gelassen zu haben, denn über den Lippen trägt er zwei kurze horizontale
Kommas, wie sie wahrscheinlich mancher von uns mit besonderm Behagen Cousinen
und Freundinnen beim Spiel mit einem angekohlten Kork angemalt hat.

Werke wie das Meschwitzsche gehören in dieselbe Kategorie wie die Regi¬
ments- und Bataillonsgeschichten. Wenn in ihnen anch die Uniform-,
Garnison-, Namen- und Personalveründerungen eine berechtigte große Rolle
spielen, so ist für den, der den Verhältnissen ferner steht, doch in erster Reihe
das Eingreifen der großen politischen Ereignisse und Wandlungen, der mili¬
tärischen und finanziellen Lage des Staats und der Eigenart des Regenten
in den Mikrokosmus des Korps das Jnteressanteste. Der Leser des Mesch-
witzschen Buches wird sich mit Vergnügen davon überzeuge", daß der Ver¬
fasser diesen kulturhistorischen Zusammenhang nie aus dem Auge verliert und
des größern Rahmens, in den er seine Monographie einfügt, immer einge¬
denk ist.

Der Natur der Sache nach muß die eingehende Besprechung des Werks
den militärischen Fachschriften vorbehalten bleiben: es soll hier nur von einem
Institut die Rede sein, das weit in die Vergangenheit aller europäischen
Staaten zurückreicht, und das Meschwitz mit Recht ausführlich bespricht, da
es, nachdem es im Königreich Sachsen in seiner frühern Form nahezu während
zwei Menschenaltern abgekommen war, vor nicht allzulanger Zeit, vor fünf¬
unddreißig Jahren gewissermaßen als frisches Pfropfreis dem Stamm des alten
bewährten rein militärischen Kadetteninstituts neu eingefügt worden ist. Ich
meine das Pagen-Korps und den Brauch, bei besonders feierlichen Gelegen¬
heiten zur "Aufwartung" bei den Königlichen und Priuzlichen Herrschaften
die als Leibpagen oder überhaupt als Pagen bezeichneten Kadetten nicht in
Uniform, sondern in einer Phantasiekleidung heranzuziehen.

Daß zu einer Zeit, wo die Söhne minder bemittelter Edelleute adliche
Sitte und Bildung, wie man es nannte, nicht auf der elterlichen Burg,
sondern nur an größern oder kleinern Höfen erwerben konnten, solche Knaben,
sobald sie irgend flügge wurden, dort Aufnahme suchten, um als eine be¬
sondre und besser gehaltene Klasse Dienender und Lernender die Fertigkeiten,
Kenntnisse und Manieren zu erwerben, die ihnen zu Hause der etwa vor-
handne Kaplan nicht beibringen konnte, erscheint durchaus begreiflich und


Alte und nouo Pagen

Kadettenentwicklung zeigen, ist der von 1697, nach dem Original in den Re-
skripten des Jahres gezeichnete Kadett ein älterer „strammer feister Bengel",
wie dies seinerzeit in einer offiziellen Kundgebung als erstes physisches Er¬
fordernis eines brauchbaren Fähnrichs bezeichnet worden ist, und in seiner
breitbeinigen Stellung und selbstbewußten Haltung gibt er uns einen Begriff,
wie ein gewaschner und frisierter, gebesserter und mit der Zivilisation völlig
versöhnter Struwelpeter in seinem zwanzigsten Jahre etwa aussehen könnte.
Seine Waden haben mit denen des grünen Obers eine unverkennbare Familien¬
ähnlichkeit, und bei einem fideler Schwarzen Peter scheint ihn das Glück im
Stich gelassen zu haben, denn über den Lippen trägt er zwei kurze horizontale
Kommas, wie sie wahrscheinlich mancher von uns mit besonderm Behagen Cousinen
und Freundinnen beim Spiel mit einem angekohlten Kork angemalt hat.

Werke wie das Meschwitzsche gehören in dieselbe Kategorie wie die Regi¬
ments- und Bataillonsgeschichten. Wenn in ihnen anch die Uniform-,
Garnison-, Namen- und Personalveründerungen eine berechtigte große Rolle
spielen, so ist für den, der den Verhältnissen ferner steht, doch in erster Reihe
das Eingreifen der großen politischen Ereignisse und Wandlungen, der mili¬
tärischen und finanziellen Lage des Staats und der Eigenart des Regenten
in den Mikrokosmus des Korps das Jnteressanteste. Der Leser des Mesch-
witzschen Buches wird sich mit Vergnügen davon überzeuge», daß der Ver¬
fasser diesen kulturhistorischen Zusammenhang nie aus dem Auge verliert und
des größern Rahmens, in den er seine Monographie einfügt, immer einge¬
denk ist.

Der Natur der Sache nach muß die eingehende Besprechung des Werks
den militärischen Fachschriften vorbehalten bleiben: es soll hier nur von einem
Institut die Rede sein, das weit in die Vergangenheit aller europäischen
Staaten zurückreicht, und das Meschwitz mit Recht ausführlich bespricht, da
es, nachdem es im Königreich Sachsen in seiner frühern Form nahezu während
zwei Menschenaltern abgekommen war, vor nicht allzulanger Zeit, vor fünf¬
unddreißig Jahren gewissermaßen als frisches Pfropfreis dem Stamm des alten
bewährten rein militärischen Kadetteninstituts neu eingefügt worden ist. Ich
meine das Pagen-Korps und den Brauch, bei besonders feierlichen Gelegen¬
heiten zur „Aufwartung" bei den Königlichen und Priuzlichen Herrschaften
die als Leibpagen oder überhaupt als Pagen bezeichneten Kadetten nicht in
Uniform, sondern in einer Phantasiekleidung heranzuziehen.

Daß zu einer Zeit, wo die Söhne minder bemittelter Edelleute adliche
Sitte und Bildung, wie man es nannte, nicht auf der elterlichen Burg,
sondern nur an größern oder kleinern Höfen erwerben konnten, solche Knaben,
sobald sie irgend flügge wurden, dort Aufnahme suchten, um als eine be¬
sondre und besser gehaltene Klasse Dienender und Lernender die Fertigkeiten,
Kenntnisse und Manieren zu erwerben, die ihnen zu Hause der etwa vor-
handne Kaplan nicht beibringen konnte, erscheint durchaus begreiflich und


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[0196] Alte und nouo Pagen Kadettenentwicklung zeigen, ist der von 1697, nach dem Original in den Re- skripten des Jahres gezeichnete Kadett ein älterer „strammer feister Bengel", wie dies seinerzeit in einer offiziellen Kundgebung als erstes physisches Er¬ fordernis eines brauchbaren Fähnrichs bezeichnet worden ist, und in seiner breitbeinigen Stellung und selbstbewußten Haltung gibt er uns einen Begriff, wie ein gewaschner und frisierter, gebesserter und mit der Zivilisation völlig versöhnter Struwelpeter in seinem zwanzigsten Jahre etwa aussehen könnte. Seine Waden haben mit denen des grünen Obers eine unverkennbare Familien¬ ähnlichkeit, und bei einem fideler Schwarzen Peter scheint ihn das Glück im Stich gelassen zu haben, denn über den Lippen trägt er zwei kurze horizontale Kommas, wie sie wahrscheinlich mancher von uns mit besonderm Behagen Cousinen und Freundinnen beim Spiel mit einem angekohlten Kork angemalt hat. Werke wie das Meschwitzsche gehören in dieselbe Kategorie wie die Regi¬ ments- und Bataillonsgeschichten. Wenn in ihnen anch die Uniform-, Garnison-, Namen- und Personalveründerungen eine berechtigte große Rolle spielen, so ist für den, der den Verhältnissen ferner steht, doch in erster Reihe das Eingreifen der großen politischen Ereignisse und Wandlungen, der mili¬ tärischen und finanziellen Lage des Staats und der Eigenart des Regenten in den Mikrokosmus des Korps das Jnteressanteste. Der Leser des Mesch- witzschen Buches wird sich mit Vergnügen davon überzeuge», daß der Ver¬ fasser diesen kulturhistorischen Zusammenhang nie aus dem Auge verliert und des größern Rahmens, in den er seine Monographie einfügt, immer einge¬ denk ist. Der Natur der Sache nach muß die eingehende Besprechung des Werks den militärischen Fachschriften vorbehalten bleiben: es soll hier nur von einem Institut die Rede sein, das weit in die Vergangenheit aller europäischen Staaten zurückreicht, und das Meschwitz mit Recht ausführlich bespricht, da es, nachdem es im Königreich Sachsen in seiner frühern Form nahezu während zwei Menschenaltern abgekommen war, vor nicht allzulanger Zeit, vor fünf¬ unddreißig Jahren gewissermaßen als frisches Pfropfreis dem Stamm des alten bewährten rein militärischen Kadetteninstituts neu eingefügt worden ist. Ich meine das Pagen-Korps und den Brauch, bei besonders feierlichen Gelegen¬ heiten zur „Aufwartung" bei den Königlichen und Priuzlichen Herrschaften die als Leibpagen oder überhaupt als Pagen bezeichneten Kadetten nicht in Uniform, sondern in einer Phantasiekleidung heranzuziehen. Daß zu einer Zeit, wo die Söhne minder bemittelter Edelleute adliche Sitte und Bildung, wie man es nannte, nicht auf der elterlichen Burg, sondern nur an größern oder kleinern Höfen erwerben konnten, solche Knaben, sobald sie irgend flügge wurden, dort Aufnahme suchten, um als eine be¬ sondre und besser gehaltene Klasse Dienender und Lernender die Fertigkeiten, Kenntnisse und Manieren zu erwerben, die ihnen zu Hause der etwa vor- handne Kaplan nicht beibringen konnte, erscheint durchaus begreiflich und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/196>, abgerufen am 06.02.2025.