Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Zur Reichssteuerreform Zollgesetzgebung sollen in der Weise zusammenarbeiten, daß mit der Ver¬ Nach den physiologisch geradezu verderblichen Genußmitteln kommen die Zur Reichssteuerreform Zollgesetzgebung sollen in der Weise zusammenarbeiten, daß mit der Ver¬ Nach den physiologisch geradezu verderblichen Genußmitteln kommen die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302176"/> <fw type="header" place="top"> Zur Reichssteuerreform</fw><lb/> <p xml:id="ID_847" prev="#ID_846"> Zollgesetzgebung sollen in der Weise zusammenarbeiten, daß mit der Ver¬<lb/> minderung des Alkoholkonsums die Hebung sowohl der Volksernührung wie<lb/> der Landwirtschaft Hand in Hand gehen. Hohe Steuern sollen das Bereiten<lb/> von Branntwein aus Korn, aus Obst und aus Beeren unterdrücken; dadurch<lb/> werde die Nahrungsmittelmenge vermehrt und lasse sich der Schutz des heimischen<lb/> Getreidebaues durch hohe Einfuhrzölle rechtfertigen. Für den Kartoffelbau<lb/> der nordöstlichen Sandgegenden soll in doppelter Weise gesorgt werden: ein¬<lb/> mal durch einen hohen Schweinezoll, der die Verwandlung von Kartoffeln in<lb/> Schweinefleisch rentabel macht, dann durch Verwendung des Kartoffelspiritus<lb/> zur Beleuchtung, die durch ein Petroleummonopol gefördert werden soll. Das<lb/> Tabakmonopol wird unter andern mit der Aussicht auf einen politischen Vor¬<lb/> teil empfohlen. Deutschland habe im Jahre 1900, bei einem Gesamtimport<lb/> von 97^2 Millionen Mark, aus niederländisch-Jndien für 43 Millionen Noh-<lb/> tabak und außerdem aus den Niederlanden selbst für 17 Millionen bezogen.<lb/> Kaufe nun das Reich die Tabakblätter, so habe es das Schicksal Sumatras<lb/> in der Hemd und könne durch die Drohung, den dortigen Einkauf einzustellen,<lb/> Holland zum Eintritt in einen mitteleuropäischen Wirtschaftsbund zwingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_848" next="#ID_849"> Nach den physiologisch geradezu verderblichen Genußmitteln kommen die<lb/> weniger schädlichen dran, aus denen ohnehin wegen der kleinern Mengen, in<lb/> denen sie verbraucht werden, nicht so viel herauszuschlagen ist. Die durst¬<lb/> erregenden Gewürze, namentlich Pfeffer und auch das Salz, werden zu den<lb/> ziemlich schädlichen Genußmitteln gerechnet. Unser Verfasser ist zwar nicht<lb/> Vegetarianer, bekennt sich aber zu dem vegetarischen Glauben, daß die pflanz¬<lb/> lichen Nährsalze das Salzbedürfnis des menschlichen Organismus ausreichend<lb/> befriedigen, wenn sie nicht durch unzweckmäßige Zubereitung, zum Beispiel<lb/> durch das Abbrühen des Gemüses, vor dem Genuß entfernt werden. Dagegen<lb/> sei Zucker nicht allein ganz unschädlich, sondern auch kein bloßes Genuß-,<lb/> vielmehr ein höchst wichtiges Nahrungsmittel, und zwar jetzt, dank den staunens¬<lb/> werten Fortschritten unsrer Zuckerindnstrie, das allerwohlfeilste. Der Physiolog«<lb/> König berechne, daß man für eine Mark 1414 Nähreinheiten bekomme, wenn<lb/> man sie in Form von Zucker kaufe, in Form von Rindfleisch nur 660, von<lb/> Eiern 562. Dem Zucker kommt in der Billigkeit am nächsten der Speck<lb/> mit 1385, dann der Hering mit 1160 Nährcinheiten für eine Mark. Zudem<lb/> sei der Zuckerrübenbau die Grundlage unsrer landwirtschaftlichen Hochkultur,<lb/> darum müsse der Zuckerkonsum gehoben werden durch weitere Verbilligung;<lb/> demnach sei die Verbranchsabgabe herabzusetzen. Dann werden noch eine<lb/> Menge Luxussteuern empfohlen. Es sollen unter andern besteuert werden:<lb/> der Eß- und Trinkluxus, der Kleiderluxus, der Wohnungsluxus, der gesell¬<lb/> schaftliche Luxus, das Halten von Luxustieren; zur Hunde- und namentlich<lb/> Katzensteuer wird auch ans hygienischen Gründen dringend geraten. Was den<lb/> Reiseluxus betrifft, so werde der durch die hohen Preise der ersten und zweiten<lb/> Klasse der Eisenbahnen und durch den Zuschlag für Schnellzuge schon hin-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
Zur Reichssteuerreform
Zollgesetzgebung sollen in der Weise zusammenarbeiten, daß mit der Ver¬
minderung des Alkoholkonsums die Hebung sowohl der Volksernührung wie
der Landwirtschaft Hand in Hand gehen. Hohe Steuern sollen das Bereiten
von Branntwein aus Korn, aus Obst und aus Beeren unterdrücken; dadurch
werde die Nahrungsmittelmenge vermehrt und lasse sich der Schutz des heimischen
Getreidebaues durch hohe Einfuhrzölle rechtfertigen. Für den Kartoffelbau
der nordöstlichen Sandgegenden soll in doppelter Weise gesorgt werden: ein¬
mal durch einen hohen Schweinezoll, der die Verwandlung von Kartoffeln in
Schweinefleisch rentabel macht, dann durch Verwendung des Kartoffelspiritus
zur Beleuchtung, die durch ein Petroleummonopol gefördert werden soll. Das
Tabakmonopol wird unter andern mit der Aussicht auf einen politischen Vor¬
teil empfohlen. Deutschland habe im Jahre 1900, bei einem Gesamtimport
von 97^2 Millionen Mark, aus niederländisch-Jndien für 43 Millionen Noh-
tabak und außerdem aus den Niederlanden selbst für 17 Millionen bezogen.
Kaufe nun das Reich die Tabakblätter, so habe es das Schicksal Sumatras
in der Hemd und könne durch die Drohung, den dortigen Einkauf einzustellen,
Holland zum Eintritt in einen mitteleuropäischen Wirtschaftsbund zwingen.
Nach den physiologisch geradezu verderblichen Genußmitteln kommen die
weniger schädlichen dran, aus denen ohnehin wegen der kleinern Mengen, in
denen sie verbraucht werden, nicht so viel herauszuschlagen ist. Die durst¬
erregenden Gewürze, namentlich Pfeffer und auch das Salz, werden zu den
ziemlich schädlichen Genußmitteln gerechnet. Unser Verfasser ist zwar nicht
Vegetarianer, bekennt sich aber zu dem vegetarischen Glauben, daß die pflanz¬
lichen Nährsalze das Salzbedürfnis des menschlichen Organismus ausreichend
befriedigen, wenn sie nicht durch unzweckmäßige Zubereitung, zum Beispiel
durch das Abbrühen des Gemüses, vor dem Genuß entfernt werden. Dagegen
sei Zucker nicht allein ganz unschädlich, sondern auch kein bloßes Genuß-,
vielmehr ein höchst wichtiges Nahrungsmittel, und zwar jetzt, dank den staunens¬
werten Fortschritten unsrer Zuckerindnstrie, das allerwohlfeilste. Der Physiolog«
König berechne, daß man für eine Mark 1414 Nähreinheiten bekomme, wenn
man sie in Form von Zucker kaufe, in Form von Rindfleisch nur 660, von
Eiern 562. Dem Zucker kommt in der Billigkeit am nächsten der Speck
mit 1385, dann der Hering mit 1160 Nährcinheiten für eine Mark. Zudem
sei der Zuckerrübenbau die Grundlage unsrer landwirtschaftlichen Hochkultur,
darum müsse der Zuckerkonsum gehoben werden durch weitere Verbilligung;
demnach sei die Verbranchsabgabe herabzusetzen. Dann werden noch eine
Menge Luxussteuern empfohlen. Es sollen unter andern besteuert werden:
der Eß- und Trinkluxus, der Kleiderluxus, der Wohnungsluxus, der gesell¬
schaftliche Luxus, das Halten von Luxustieren; zur Hunde- und namentlich
Katzensteuer wird auch ans hygienischen Gründen dringend geraten. Was den
Reiseluxus betrifft, so werde der durch die hohen Preise der ersten und zweiten
Klasse der Eisenbahnen und durch den Zuschlag für Schnellzuge schon hin-
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