Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Zur Reichssteuerreform sinkt der darauf verwandte Prozentsatz, und unter den Nahrungsmitteln sind Selbstverständlich bin ich mit dem Grundsätze des Verfassers vollkommen Grenzboten II 1907 24
Zur Reichssteuerreform sinkt der darauf verwandte Prozentsatz, und unter den Nahrungsmitteln sind Selbstverständlich bin ich mit dem Grundsätze des Verfassers vollkommen Grenzboten II 1907 24
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302173"/> <fw type="header" place="top"> Zur Reichssteuerreform</fw><lb/> <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> sinkt der darauf verwandte Prozentsatz, und unter den Nahrungsmitteln sind<lb/> es wieder Brot und Kartoffeln, die am wenigsten kosten. Ein reicher Mann<lb/> mag, ohne Verschwender und ohne in unanständiger Weise der Gaumenlust<lb/> ergeben zu sein, für Wein (den er übrigens nicht allein trinkt) und für Zigarren<lb/> leicht hundertmal so viel ausgeben wie für Brot und Kartoffeln. Und wie<lb/> mit den Individuen, so verhält es sich mit den Völkern; ein Naturvolk der<lb/> untersten Stufe hat kein andres Einkommen und keine andre Ausgabe (beides<lb/> füllt in eins zusammen) als die notwendigsten Nahrungsmittel. Je höher es<lb/> in der Kultur steigt, desto höher wird der Prozentsatz seiner Ausgaben auf<lb/> materielle und geistige Genüsse, auf private und öffentliche Kulturzwecke.<lb/> „Dieses Volk gibt auf Überflüssiges mehr aus als auf das Notwendige", ist<lb/> darum an sich kein Vorwurf, sondern begründet nur die Vermutung, daß es<lb/> ein hochkultiviertes und wohlhabendes Volk sein müsse.</p><lb/> <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Selbstverständlich bin ich mit dem Grundsätze des Verfassers vollkommen<lb/> einverstanden, wünsche, daß die Steuersätze auf die verschiednen Gebrauchs¬<lb/> und Genußgüter mit deren Überflüssigkeit und Schädlichkeit steigen und die<lb/> drei: Branntwein, Bier und Tabak am stärksten belastet werden möchten. Aber<lb/> eben deswegen bedaure ich Begründungen, die man auf den ersten Blick als<lb/> Übertreibung erkennt, und die stellenweise den Spott herausfordern. Der<lb/> Auslanddeutsche liefert jedoch nicht bloß zwei gute Ideen, sondern auch zu<lb/> ihrer Empfehlung und als Hilfe zu ihrer Verwirklichung außer einigem an¬<lb/> fechtbaren viel brauchbares Material, von dem ein paar Proben mitgeteilt<lb/> werden mögen. Die Schweiz hat zunächst Bismarcks Gedanken verwirklicht,<lb/> daß der Bundesstaat nicht Kostgänger der Einzelstaaten sein dürfe, sondern<lb/> daß es umgekehrt sein müsse. Die Schweizer Kantone geben sehr viel für<lb/> Kulturzwecke aus und sind dadurch in eine, vom Verfasser statistisch illustrierte,<lb/> Defizitwirtschaft geraten, sodaß sie nur der Bund durch die Zuschüsse, die<lb/> er ihnen gewährt, vor dem Zusammenbruch zu bewahren vermag. Wie die<lb/> Kantone, so treiben es die Gemeinden; die schweizer Bürger sind deswegen<lb/> mit direkten Steuern viel höher belastet als zum Beispiel die der benachbarten<lb/> badischen Gemeinden. Am ärgsten treibt es Zürich. Es nimmt dem ver¬<lb/> mögenden Bürger ein Viertel bis ein Drittel seines Renteneinkommens weg,<lb/> mindestens aber ein Fünftel seines Gesamteinkommens. „Ein Kapitalist mit<lb/> 200000 Franken Vermögen und 20000 Franken Einkommen zahlt in Düssel¬<lb/> dorf 1540, in Zürich 4000 Franken. . . - Diese Steuersätze verursachen eine<lb/> immer weiter um sich greifende Kapitalflucht und schrecken von der Nieder¬<lb/> lassung in Zürich ab. Die Alteingesessenen, die dableiben müssen, führen zu<lb/> ihrer Selbsterhaltung im stillen einen zähen und schlauen Krieg gegen den<lb/> Fiskus." Und nicht allein den Reichen preßt die Steuerschraube der Kantönli<lb/> den Atem aus, wie folgender Fall von „Steuerbarbarei" in Schaffhausen be¬<lb/> weist. Zwei blutarme Eheleute, die sich ihr Brot mit Holzhacken verdienen,<lb/> haben 2000 Franken mühsam zusammengespart, vertrauen ihr Kapitälchen einem</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907 24</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0185]
Zur Reichssteuerreform
sinkt der darauf verwandte Prozentsatz, und unter den Nahrungsmitteln sind
es wieder Brot und Kartoffeln, die am wenigsten kosten. Ein reicher Mann
mag, ohne Verschwender und ohne in unanständiger Weise der Gaumenlust
ergeben zu sein, für Wein (den er übrigens nicht allein trinkt) und für Zigarren
leicht hundertmal so viel ausgeben wie für Brot und Kartoffeln. Und wie
mit den Individuen, so verhält es sich mit den Völkern; ein Naturvolk der
untersten Stufe hat kein andres Einkommen und keine andre Ausgabe (beides
füllt in eins zusammen) als die notwendigsten Nahrungsmittel. Je höher es
in der Kultur steigt, desto höher wird der Prozentsatz seiner Ausgaben auf
materielle und geistige Genüsse, auf private und öffentliche Kulturzwecke.
„Dieses Volk gibt auf Überflüssiges mehr aus als auf das Notwendige", ist
darum an sich kein Vorwurf, sondern begründet nur die Vermutung, daß es
ein hochkultiviertes und wohlhabendes Volk sein müsse.
Selbstverständlich bin ich mit dem Grundsätze des Verfassers vollkommen
einverstanden, wünsche, daß die Steuersätze auf die verschiednen Gebrauchs¬
und Genußgüter mit deren Überflüssigkeit und Schädlichkeit steigen und die
drei: Branntwein, Bier und Tabak am stärksten belastet werden möchten. Aber
eben deswegen bedaure ich Begründungen, die man auf den ersten Blick als
Übertreibung erkennt, und die stellenweise den Spott herausfordern. Der
Auslanddeutsche liefert jedoch nicht bloß zwei gute Ideen, sondern auch zu
ihrer Empfehlung und als Hilfe zu ihrer Verwirklichung außer einigem an¬
fechtbaren viel brauchbares Material, von dem ein paar Proben mitgeteilt
werden mögen. Die Schweiz hat zunächst Bismarcks Gedanken verwirklicht,
daß der Bundesstaat nicht Kostgänger der Einzelstaaten sein dürfe, sondern
daß es umgekehrt sein müsse. Die Schweizer Kantone geben sehr viel für
Kulturzwecke aus und sind dadurch in eine, vom Verfasser statistisch illustrierte,
Defizitwirtschaft geraten, sodaß sie nur der Bund durch die Zuschüsse, die
er ihnen gewährt, vor dem Zusammenbruch zu bewahren vermag. Wie die
Kantone, so treiben es die Gemeinden; die schweizer Bürger sind deswegen
mit direkten Steuern viel höher belastet als zum Beispiel die der benachbarten
badischen Gemeinden. Am ärgsten treibt es Zürich. Es nimmt dem ver¬
mögenden Bürger ein Viertel bis ein Drittel seines Renteneinkommens weg,
mindestens aber ein Fünftel seines Gesamteinkommens. „Ein Kapitalist mit
200000 Franken Vermögen und 20000 Franken Einkommen zahlt in Düssel¬
dorf 1540, in Zürich 4000 Franken. . . - Diese Steuersätze verursachen eine
immer weiter um sich greifende Kapitalflucht und schrecken von der Nieder¬
lassung in Zürich ab. Die Alteingesessenen, die dableiben müssen, führen zu
ihrer Selbsterhaltung im stillen einen zähen und schlauen Krieg gegen den
Fiskus." Und nicht allein den Reichen preßt die Steuerschraube der Kantönli
den Atem aus, wie folgender Fall von „Steuerbarbarei" in Schaffhausen be¬
weist. Zwei blutarme Eheleute, die sich ihr Brot mit Holzhacken verdienen,
haben 2000 Franken mühsam zusammengespart, vertrauen ihr Kapitälchen einem
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