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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Hemmungen des Fortschritts in China

lehnung an ein starkes Heer durchführen. Der andauernde Lärm, den jetzt
einzelne "fremdenfreundliche" Mandarine um die Sache des Fortschritts machen,
ist nichts als Heuchelei. Das Mandarinentum wird sich hüten, selbst den Ast
abzusägen, auf dem es sitzt. Man gibt sich nur den Anschein der Reform¬
freundlichkeit, um den Fremden gegenüber das Gesicht zu wahren. Tschang
Tschi tung ist beispielsweise auf diese Art in den Ruf eines großen Fortschritts-
freundcs gekommen, und doch war er es, der als erster Protest dagegen erhob,
als die Regierung mit der so dringend notwendigen Währungsreform Ernst
machen wollte. Er hat im übrigen auch durch sein berühmtes Buch "Lernt!"
den Beweis geliefert, daß er von dem, was China wirklich not tut, wenig
weiß. Darin lobt er zum Beispiel die Form, in der sich die jetzige Dynastie
Geld beschafft: "Wer früher nicht Kriegsdienste tat, der mußte statt dessen hohe
Steuern zahlen. Heutzutage verkauft man, um der Negierung Geld zu ver¬
schaffen, die Ämter, und wünscht eine Provinz Graduierte zu haben, so kann
von der Höhe der eingezahlten Summe abhängig gemacht werden, wieviel
Graduierte es sein sollen." Weiter liest man da zum Lobe der Mandschus:
"Auswärtige Reiche haben wiederholt versucht, China zu bedrücken, aber wenn
sie für ihre Forderungen nur einen Schein des Rechts hatten, so beeilte sich
der Kaiser immer, Frieden zu schließen, weil die Negierung das Leben des
Volkes schonen wollte. Als im Kriege mit Frankreich dieses eine Schlacht
verloren hatte, schloß China doch Frieden, ohne daß Tonking zurückgefordert
wurde. Das ist doch eine Politik des Friedens." Und das schreibt Chinas
"fortschrittlichster" Mandarin. Die Stürmer und Drünger unter den "Jung-
chinescn" haben sich denn auch schon lange von ihm losgesagt. Sie richteten
vor einigen Jahren gegen ihn eine ungemein heftige Streitschrift, in der es an
einer Stelle hieß: "Die Wahrheit ist, daß Euer Exzellenz von der modernen
Zivilisation und ihren großen Grundsätzen keine Ahnung haben. Die Wurzel
aller Ihrer Fehler liegt darin, daß Sie sich nicht bewogen fühlen, den Versuch
zu machen, Ihren eignen Rat zu befolgen, nämlich zu "lernen", um sich das
anzueignen, was Ihnen an Ihrer Ausbildung fehlt. Daher mag es kommen,
daß Sie selbst nicht wissen, wie durchaus falsch und für alle Welt lächerlich
das ist, was Sie sagen und schreiben. In den letzten Jahren sind Ihre Fehler
unausrottbar fest eingewurzelt, weil Sie sich zu sehr von dem falschen Glänze
einnehmen ließen, der dem Mandarinentum anhaftet." Nach dieser Sprache
mag man ermessen, welche Kluft in China die alten und die jungen Reformer
voneinander trennt. Sie klingt nicht so, als ob im chinesischen Volke, wo es von
einer fortschrittlichen Bewegung ergriffen ist, das Heil von oben erwartet würde.

Juan Schikal allein ist unter den chinesischen Beamten als Reformator
ernst zu nehmen. Man darf in ihm aber auch keinen echten Mandarinen
sehen. Die Mandarinenwürde kleidet diesen Emporkömmling wie den Wolf
der Schafspelz. Er wäre noch heute ein unbedeutender Brigadegeneral, wenn
er nicht zur Zeit, als Kuangsü seine Muhme in Gefangenschaft setzen wollte,
die Lage klug ausgenutzt und durch einen Verrat am Kaiser der Kaisennwitwe


Hemmungen des Fortschritts in China

lehnung an ein starkes Heer durchführen. Der andauernde Lärm, den jetzt
einzelne „fremdenfreundliche" Mandarine um die Sache des Fortschritts machen,
ist nichts als Heuchelei. Das Mandarinentum wird sich hüten, selbst den Ast
abzusägen, auf dem es sitzt. Man gibt sich nur den Anschein der Reform¬
freundlichkeit, um den Fremden gegenüber das Gesicht zu wahren. Tschang
Tschi tung ist beispielsweise auf diese Art in den Ruf eines großen Fortschritts-
freundcs gekommen, und doch war er es, der als erster Protest dagegen erhob,
als die Regierung mit der so dringend notwendigen Währungsreform Ernst
machen wollte. Er hat im übrigen auch durch sein berühmtes Buch „Lernt!"
den Beweis geliefert, daß er von dem, was China wirklich not tut, wenig
weiß. Darin lobt er zum Beispiel die Form, in der sich die jetzige Dynastie
Geld beschafft: „Wer früher nicht Kriegsdienste tat, der mußte statt dessen hohe
Steuern zahlen. Heutzutage verkauft man, um der Negierung Geld zu ver¬
schaffen, die Ämter, und wünscht eine Provinz Graduierte zu haben, so kann
von der Höhe der eingezahlten Summe abhängig gemacht werden, wieviel
Graduierte es sein sollen." Weiter liest man da zum Lobe der Mandschus:
„Auswärtige Reiche haben wiederholt versucht, China zu bedrücken, aber wenn
sie für ihre Forderungen nur einen Schein des Rechts hatten, so beeilte sich
der Kaiser immer, Frieden zu schließen, weil die Negierung das Leben des
Volkes schonen wollte. Als im Kriege mit Frankreich dieses eine Schlacht
verloren hatte, schloß China doch Frieden, ohne daß Tonking zurückgefordert
wurde. Das ist doch eine Politik des Friedens." Und das schreibt Chinas
„fortschrittlichster" Mandarin. Die Stürmer und Drünger unter den „Jung-
chinescn" haben sich denn auch schon lange von ihm losgesagt. Sie richteten
vor einigen Jahren gegen ihn eine ungemein heftige Streitschrift, in der es an
einer Stelle hieß: „Die Wahrheit ist, daß Euer Exzellenz von der modernen
Zivilisation und ihren großen Grundsätzen keine Ahnung haben. Die Wurzel
aller Ihrer Fehler liegt darin, daß Sie sich nicht bewogen fühlen, den Versuch
zu machen, Ihren eignen Rat zu befolgen, nämlich zu »lernen«, um sich das
anzueignen, was Ihnen an Ihrer Ausbildung fehlt. Daher mag es kommen,
daß Sie selbst nicht wissen, wie durchaus falsch und für alle Welt lächerlich
das ist, was Sie sagen und schreiben. In den letzten Jahren sind Ihre Fehler
unausrottbar fest eingewurzelt, weil Sie sich zu sehr von dem falschen Glänze
einnehmen ließen, der dem Mandarinentum anhaftet." Nach dieser Sprache
mag man ermessen, welche Kluft in China die alten und die jungen Reformer
voneinander trennt. Sie klingt nicht so, als ob im chinesischen Volke, wo es von
einer fortschrittlichen Bewegung ergriffen ist, das Heil von oben erwartet würde.

Juan Schikal allein ist unter den chinesischen Beamten als Reformator
ernst zu nehmen. Man darf in ihm aber auch keinen echten Mandarinen
sehen. Die Mandarinenwürde kleidet diesen Emporkömmling wie den Wolf
der Schafspelz. Er wäre noch heute ein unbedeutender Brigadegeneral, wenn
er nicht zur Zeit, als Kuangsü seine Muhme in Gefangenschaft setzen wollte,
die Lage klug ausgenutzt und durch einen Verrat am Kaiser der Kaisennwitwe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/18>, abgerufen am 06.02.2025.