Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches König Eduard, der überall um Freundschaft wirbt, nur um Deutschland "einzu¬ Darum mag auf folgendes hingewiesen werden. Viele unter uns haben sich Ist es nämlich wirklich so einfach, alle europäischen Mächte in einen großen Grenzboten II 1907 21
Maßgebliches und Unmaßgebliches König Eduard, der überall um Freundschaft wirbt, nur um Deutschland „einzu¬ Darum mag auf folgendes hingewiesen werden. Viele unter uns haben sich Ist es nämlich wirklich so einfach, alle europäischen Mächte in einen großen Grenzboten II 1907 21
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302153"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_791" prev="#ID_790"> König Eduard, der überall um Freundschaft wirbt, nur um Deutschland „einzu¬<lb/> kreisen" und zu isolieren! Diese Meinung befestigt sich immer mehr, sodciß es auch<lb/> dem. der sie für falsch hält, kaum möglich sein würde, dagegen anzukämpfen. Es<lb/> würde das auch nicht einmal zweckmäßig, geschweige denn notwendig sein, da es<lb/> augenscheinlich besser ist, wenn wir dem Ausland gegenüber zu argwöhnisch als zu<lb/> vertrauensselig sind. Mögen wir also durch den Hinweis auf auswärtige Machen¬<lb/> schaften immerhin unsre nationale Wachsamkeit schärfen. Nur da wird das Urteil<lb/> einer Korrektur bedürfen, wo es geeignet ist, durch eine unzutreffende Beurteilung<lb/> der Tatsachen unser berechtigtes Selbstbewußtsein unnötig herabzudrücken, und wo<lb/> falsche Behauptungen zur Unterlage einer Beurteilung unsrer eignen Staatsleiter<lb/> gemacht werden, die diese in den Augen des eignen Volks und fremder Völker ohne<lb/> Not und ohne rechte Begründung herabsetzen und in ihrer Tätigkeit hindern.</p><lb/> <p xml:id="ID_792"> Darum mag auf folgendes hingewiesen werden. Viele unter uns haben sich<lb/> daran gewöhnt, den König Eduard als den rastlosen Feind Deutschlands zu be¬<lb/> trachten, dem alles glückt, und dem alleandern fremden Mächte willig folgen, sofern<lb/> er ihnen nur in Aussicht stellt, daß Deutschland das Ziel des gemeinsamen Hasses<lb/> ist. Und während so König Eduard immer neue Fäden in die Schlinge windet,<lb/> die er uns um den Hals gelegt haben soll, steht nach der populären Vorstellung<lb/> die deutsche Regierung einzig nud allein als das hilf- und ahnungslose Opfer da,<lb/> leichtfertig die Stimme der nationalen Warner überhörend, alles in rosenroter<lb/> Färbung sehend und ganz und gar in eine festfreudige Hallelujastimmung getaucht!<lb/> Entspricht es unsrer nationalen Würde, dem Auslande beständig ein solches Bild<lb/> zu zeichnen? Gewiß nicht, zumal wenn eine gewissenhafte Nachprüfung ergibt,<lb/> daß wir zwar — wie andre Leute auch — nicht frei von Fehlern und Schwächen<lb/> sind, daß aber doch wesentliche Züge jenes Bildes falsch sind. Allerdings würden<lb/> wir uns, auch wenn es keinen König Eduard gäbe und Bismarck wieder aus dem<lb/> Grabe auferstünde, darauf einrichten müssen, unsre Machtstellung zur Not ohne<lb/> Bundesgenossen zu stützen. Auch die Bundestreue Österreich-Ungarns könnte uns<lb/> diese Sorge nicht abnehmen. Die Verhinderung von Bündnissen frenider Mächte<lb/> ist heute bei dem stärkern Ineinandergreifen aller wirtschaftlichen Interessen der<lb/> verschiednen Länder und bei der allgemeinen Scheu vor der Entfesselung eines<lb/> europäischen Krieges eine sehr viel schwerere Aufgabe als noch vor zwanzig Jahren,<lb/> und schon Bismarck litt nach seinem eignen Geständnis unter dem vimoluzmar üsL<lb/> ooalitionL, dem Alpdruck, den ihm der Gedanke an die Möglichkeit von Bündnissen<lb/> fremder Mächte untereinander verursachte. Der Nachweis, welche Mittel auch heute<lb/> «och der Diplomatie zur Verfügung stehn, um feindliche Bündnisse gegen uns zu<lb/> verhindern, und die Frage, ob diese Mittel angewandt worden sind oder nicht,<lb/> gehören nicht vor die Öffentlichkeit. Einen Nachweis für ihre Behauptung, daß<lb/> nichts dieser Art geschehen sei, wären höchstens die Leute zu erbringen verpflichtet,<lb/> die ohne genügendes Tatsachenmaterial unsre politische Leitung beständig beschuldigen,<lb/> » ^ ^gäbe nicht gewachsen zu sein. Aber eine Erwägung, die jedermann an-<lb/> Nellen kann, braucht bei dieser Gelegenheit nicht verschwiegen zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Ist es nämlich wirklich so einfach, alle europäischen Mächte in einen großen<lb/> ^und gegen Deutschland zu vereinigen, wie man es König Eduard zuzuschreiben<lb/> pflegt-> Wenn man gewisse politische Betrachtungen hört, sollte man glauben, alle<lb/> europäischen Mächte hätten an weiter nichts zu denken als an ihr Verhältnis zu<lb/> Deutschland. Sobald ihnen ein eifriger und geschickter Mann auf Grund von<lb/> dynastischen Beziehungen und Versprechungen das große Stück Kuchen in Gestalt<lb/> eines Bündnisses gegen Deutschland hinhält, so beißen sie herzhaft hinein, und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907 21</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0165]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
König Eduard, der überall um Freundschaft wirbt, nur um Deutschland „einzu¬
kreisen" und zu isolieren! Diese Meinung befestigt sich immer mehr, sodciß es auch
dem. der sie für falsch hält, kaum möglich sein würde, dagegen anzukämpfen. Es
würde das auch nicht einmal zweckmäßig, geschweige denn notwendig sein, da es
augenscheinlich besser ist, wenn wir dem Ausland gegenüber zu argwöhnisch als zu
vertrauensselig sind. Mögen wir also durch den Hinweis auf auswärtige Machen¬
schaften immerhin unsre nationale Wachsamkeit schärfen. Nur da wird das Urteil
einer Korrektur bedürfen, wo es geeignet ist, durch eine unzutreffende Beurteilung
der Tatsachen unser berechtigtes Selbstbewußtsein unnötig herabzudrücken, und wo
falsche Behauptungen zur Unterlage einer Beurteilung unsrer eignen Staatsleiter
gemacht werden, die diese in den Augen des eignen Volks und fremder Völker ohne
Not und ohne rechte Begründung herabsetzen und in ihrer Tätigkeit hindern.
Darum mag auf folgendes hingewiesen werden. Viele unter uns haben sich
daran gewöhnt, den König Eduard als den rastlosen Feind Deutschlands zu be¬
trachten, dem alles glückt, und dem alleandern fremden Mächte willig folgen, sofern
er ihnen nur in Aussicht stellt, daß Deutschland das Ziel des gemeinsamen Hasses
ist. Und während so König Eduard immer neue Fäden in die Schlinge windet,
die er uns um den Hals gelegt haben soll, steht nach der populären Vorstellung
die deutsche Regierung einzig nud allein als das hilf- und ahnungslose Opfer da,
leichtfertig die Stimme der nationalen Warner überhörend, alles in rosenroter
Färbung sehend und ganz und gar in eine festfreudige Hallelujastimmung getaucht!
Entspricht es unsrer nationalen Würde, dem Auslande beständig ein solches Bild
zu zeichnen? Gewiß nicht, zumal wenn eine gewissenhafte Nachprüfung ergibt,
daß wir zwar — wie andre Leute auch — nicht frei von Fehlern und Schwächen
sind, daß aber doch wesentliche Züge jenes Bildes falsch sind. Allerdings würden
wir uns, auch wenn es keinen König Eduard gäbe und Bismarck wieder aus dem
Grabe auferstünde, darauf einrichten müssen, unsre Machtstellung zur Not ohne
Bundesgenossen zu stützen. Auch die Bundestreue Österreich-Ungarns könnte uns
diese Sorge nicht abnehmen. Die Verhinderung von Bündnissen frenider Mächte
ist heute bei dem stärkern Ineinandergreifen aller wirtschaftlichen Interessen der
verschiednen Länder und bei der allgemeinen Scheu vor der Entfesselung eines
europäischen Krieges eine sehr viel schwerere Aufgabe als noch vor zwanzig Jahren,
und schon Bismarck litt nach seinem eignen Geständnis unter dem vimoluzmar üsL
ooalitionL, dem Alpdruck, den ihm der Gedanke an die Möglichkeit von Bündnissen
fremder Mächte untereinander verursachte. Der Nachweis, welche Mittel auch heute
«och der Diplomatie zur Verfügung stehn, um feindliche Bündnisse gegen uns zu
verhindern, und die Frage, ob diese Mittel angewandt worden sind oder nicht,
gehören nicht vor die Öffentlichkeit. Einen Nachweis für ihre Behauptung, daß
nichts dieser Art geschehen sei, wären höchstens die Leute zu erbringen verpflichtet,
die ohne genügendes Tatsachenmaterial unsre politische Leitung beständig beschuldigen,
» ^ ^gäbe nicht gewachsen zu sein. Aber eine Erwägung, die jedermann an-
Nellen kann, braucht bei dieser Gelegenheit nicht verschwiegen zu werden.
Ist es nämlich wirklich so einfach, alle europäischen Mächte in einen großen
^und gegen Deutschland zu vereinigen, wie man es König Eduard zuzuschreiben
pflegt-> Wenn man gewisse politische Betrachtungen hört, sollte man glauben, alle
europäischen Mächte hätten an weiter nichts zu denken als an ihr Verhältnis zu
Deutschland. Sobald ihnen ein eifriger und geschickter Mann auf Grund von
dynastischen Beziehungen und Versprechungen das große Stück Kuchen in Gestalt
eines Bündnisses gegen Deutschland hinhält, so beißen sie herzhaft hinein, und
Grenzboten II 1907 21
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