Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Luftreisen reden die oft ohne Unterbrechung aneinandergereihten Ortschaften, Dörfer, die Endlich kurz vor drei Uhr, etwas oberhalb der baumbestandnen Elbinsel Wieder sind wir tüchtig heruntergekommen, das Schlepptau berührt das Vorsichtiges Manövrieren mit dem Ventil bringt uns der Erde näher Luftreisen reden die oft ohne Unterbrechung aneinandergereihten Ortschaften, Dörfer, die Endlich kurz vor drei Uhr, etwas oberhalb der baumbestandnen Elbinsel Wieder sind wir tüchtig heruntergekommen, das Schlepptau berührt das Vorsichtiges Manövrieren mit dem Ventil bringt uns der Erde näher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302142"/> <fw type="header" place="top"> Luftreisen</fw><lb/> <p xml:id="ID_656" prev="#ID_655"> reden die oft ohne Unterbrechung aneinandergereihten Ortschaften, Dörfer, die<lb/> man für Städte halten könnte, von den günstigen Ansiedlungsbedingungen,<lb/> die sich hier geboten haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_657"> Endlich kurz vor drei Uhr, etwas oberhalb der baumbestandnen Elbinsel<lb/> von Kötitz, hinter der die freistehende neue Kirche von Coswig erscheint,<lb/> zwischen Constappel und Naundorf kommen wir über den Strom, vor uns<lb/> links Zitzschewig, rechts Kötzschenbroda, die Zielpunkte mancher frühern<lb/> Wanderung, und die reichbebaute Lößnitz mit ihrem am „Paradies" vorbei¬<lb/> führenden Grunde, die uns jetzt im Winterschmucke nicht weniger entzückt als<lb/> im oft geschauten Blütenschnee des Frühlings und der bunten Farbenpracht<lb/> des Herbstes. Landhäuser in den mannigfachsten Stilarten reihen sich eins<lb/> ans andre, von malerischen Gartenanlagen umgeben, deren wundervolle Linien<lb/> geschickte Landschaftsgärtner eigens für das Auge des Luftreisenden geschaffen<lb/> zu haben scheinen, kurz alles verrät hier ebensosehr den Geschmack wie die<lb/> Wohlhabenheit der Besitzer. Auch die Sektkellerei grüßt uns einladend. Oben<lb/> aber auf dem alten Steilufer des Lausitzer Elbplateaus erheben sich mitten in<lb/> Weinbergen moderne Schlösser und schloßartige Villen. Über die Friedens¬<lb/> burg führt unser Flug uns unmittelbar hinweg. Die großen Windungen der<lb/> Elbe erglänzen im goldigrötlichen Schimmer der tiefstehenden Sonne bis über<lb/> Dresden hinaus, während dieses selbst von Großstadtdunst verschleiert ist. Zu<lb/> unsrer Linken dehnt sich der Moritzburger Forst, zur Rechten die Dresdner<lb/> Heide und der Friedewald, die Lungenflügel der sächsischen Haupt- und<lb/> Residenzstadt.</p><lb/> <p xml:id="ID_658"> Wieder sind wir tüchtig heruntergekommen, das Schlepptau berührt das<lb/> höher gewordne Gelände. Dazu schiebt sich plötzlich eine Wolke zwischen uns<lb/> und die Erde. Das könnte dumm werden. Auch die Bewohner von Wahns¬<lb/> dorf, das eben unter uns liegt, würden sich gewiß nicht gern von uns aufs<lb/> Dach steigen lassen. Das Tau rasselt bedenklich über Gegenstände, die wir<lb/> wegen des dichten Nebels unter uns doch nicht sehen können. Also Ballast<lb/> geben! Rasch! Mehr, immer noch mehr! So, wir heben uns wieder, aber schneller<lb/> und höher, als uns lieb ist, schon zeigt der Apparat wieder 600 Meter an.<lb/> Wieviel Sand haben wir noch? Kein Körnchen mehr! Wir waren mit dem<lb/> letzten Sack etwas zu verschwenderisch umgegangen. Der Ballon strebt einem<lb/> neuen Höhenmaximum zu. Das darf der Führer jetzt nicht mehr dulden, wir<lb/> müssen schleunigst landen, und die waldfreie aufsteigende Höhe vor uns ist<lb/> günstig dazu. Für den Notfall haben wir als Ballast ja noch den Ver¬<lb/> packungsplan, unsre Mäntel, Reisetaschen, Lebensmittel und andres.</p><lb/> <p xml:id="ID_659" next="#ID_660"> Vorsichtiges Manövrieren mit dem Ventil bringt uns der Erde näher<lb/> anfangs langsam, dann in hastigem Fall. Das Tau schleift durch Boxdorf,<lb/> liebenswürdigerweise wie ein Schlitten immer aus der Straße hin. Nun ist<lb/> kein Halten mehr. Achtung, Klimmzug! Das letzte Haus- und Garten¬<lb/> grundstück von Boxdorf ist eben überflogen, plumps sinkt der Korb nahe der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0154]
Luftreisen
reden die oft ohne Unterbrechung aneinandergereihten Ortschaften, Dörfer, die
man für Städte halten könnte, von den günstigen Ansiedlungsbedingungen,
die sich hier geboten haben.
Endlich kurz vor drei Uhr, etwas oberhalb der baumbestandnen Elbinsel
von Kötitz, hinter der die freistehende neue Kirche von Coswig erscheint,
zwischen Constappel und Naundorf kommen wir über den Strom, vor uns
links Zitzschewig, rechts Kötzschenbroda, die Zielpunkte mancher frühern
Wanderung, und die reichbebaute Lößnitz mit ihrem am „Paradies" vorbei¬
führenden Grunde, die uns jetzt im Winterschmucke nicht weniger entzückt als
im oft geschauten Blütenschnee des Frühlings und der bunten Farbenpracht
des Herbstes. Landhäuser in den mannigfachsten Stilarten reihen sich eins
ans andre, von malerischen Gartenanlagen umgeben, deren wundervolle Linien
geschickte Landschaftsgärtner eigens für das Auge des Luftreisenden geschaffen
zu haben scheinen, kurz alles verrät hier ebensosehr den Geschmack wie die
Wohlhabenheit der Besitzer. Auch die Sektkellerei grüßt uns einladend. Oben
aber auf dem alten Steilufer des Lausitzer Elbplateaus erheben sich mitten in
Weinbergen moderne Schlösser und schloßartige Villen. Über die Friedens¬
burg führt unser Flug uns unmittelbar hinweg. Die großen Windungen der
Elbe erglänzen im goldigrötlichen Schimmer der tiefstehenden Sonne bis über
Dresden hinaus, während dieses selbst von Großstadtdunst verschleiert ist. Zu
unsrer Linken dehnt sich der Moritzburger Forst, zur Rechten die Dresdner
Heide und der Friedewald, die Lungenflügel der sächsischen Haupt- und
Residenzstadt.
Wieder sind wir tüchtig heruntergekommen, das Schlepptau berührt das
höher gewordne Gelände. Dazu schiebt sich plötzlich eine Wolke zwischen uns
und die Erde. Das könnte dumm werden. Auch die Bewohner von Wahns¬
dorf, das eben unter uns liegt, würden sich gewiß nicht gern von uns aufs
Dach steigen lassen. Das Tau rasselt bedenklich über Gegenstände, die wir
wegen des dichten Nebels unter uns doch nicht sehen können. Also Ballast
geben! Rasch! Mehr, immer noch mehr! So, wir heben uns wieder, aber schneller
und höher, als uns lieb ist, schon zeigt der Apparat wieder 600 Meter an.
Wieviel Sand haben wir noch? Kein Körnchen mehr! Wir waren mit dem
letzten Sack etwas zu verschwenderisch umgegangen. Der Ballon strebt einem
neuen Höhenmaximum zu. Das darf der Führer jetzt nicht mehr dulden, wir
müssen schleunigst landen, und die waldfreie aufsteigende Höhe vor uns ist
günstig dazu. Für den Notfall haben wir als Ballast ja noch den Ver¬
packungsplan, unsre Mäntel, Reisetaschen, Lebensmittel und andres.
Vorsichtiges Manövrieren mit dem Ventil bringt uns der Erde näher
anfangs langsam, dann in hastigem Fall. Das Tau schleift durch Boxdorf,
liebenswürdigerweise wie ein Schlitten immer aus der Straße hin. Nun ist
kein Halten mehr. Achtung, Klimmzug! Das letzte Haus- und Garten¬
grundstück von Boxdorf ist eben überflogen, plumps sinkt der Korb nahe der
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