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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Luftreisen

Radaune, wir wußten nichts damit anzufangen. Als nächste Stadt aber wurde
uns Torgau bezeichnet. Da dies fünfundfünfzig Kilometer östlich von Bitterfeld
liegt, hätten wir ungefähr achtundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück¬
gelegt. Danach dürfte bei Einbruch der Dunkelheit die Gegend zwischen Görlitz
und Bunzlau, etwa Kohlfurt erreicht werden.

Die Sonne kommt zum Vorschein, aber es wird ihr schwer gemacht, die
mächtigen Stratus- und Kumulusschichten zu durchdringen, die sich auf dem
nach allen Seiten bis zum Horizont reichenden eintönigen, nach oben zu glatt
abgeschnittnen Wolkenmeer immer höher aufbauen. Unser Fahrzeug gleicht in
seinem Aussehen den zur Winterzeit in die russischen Ostseehäfen einlaufenden
Schiffen: in allen seinen Teilen ist es mit Eis und Reif überzogen, der Ballon
mit dem Netz, der Ring mit seinen Leinen nach oben und nach unten, ebenso
der Korb; jeder Sonnenstrahl läßt es erglitzern. Die Temperatur schwankt
während der ganzen Fahrt zwischen --5 und --10 Grad Celsius, aller¬
dings sind diese Angaben, da wir nur ein Thermometer, kein Aspirations-
Pshchrometer mit uns führen, nicht unbedingt zuverlässig. Jedenfalls ist es
kalt genug, daß die Tinte im Barographen einfriert. Nur immer, wenn wir
sie künstlich aufgetane haben, zeichnet die Feder für kurze Zeit eine schwache
Linie. Um so aufmerksamer muß das Barometer und das außerhalb des
Korbes angebrachte Vertikalanemometer beobachtet werden.

Je höher die Sonne steigt, desto mehr beginnt auch das Wolkenmeer
eigentümliche Reize zu zeigen. Es erscheint nicht so gleichmäßig weiß wie
bisher, sondern wo einzelne Wellen hervorragen, breiten sich über die hinter
ihnen liegenden Flächen feine Schatten in zartem, duftigen Blau, und
durch das Heraustreten einzelner Gebilde gewinnt es an Mannigfaltigkeit.
Auch beobachten wir seltsame Wölbungen, als wiederholten sie einige hundert
Meter höher die Formen von ihnen bedeckter Hügel, und talartige Einsenkungen,
aus deuen wir nach den allerdings noch bestrittnen Untersuchungen des
Physikers Freiherrn Konrad von Bassus in München auf Flußlüufe schließen
möchten.

Punkt zehn Uhr dringt wieder Glockengelüut an unser Ohr, diesmal
sind es volle, tiefe Klänge, es muß eine Stadt sein, die unter uns liegt. Auf
dem Dorfe tönen die Glocken Heller, auch geht man da nicht erst um zehn
)r w die Kirche. Der Himmel ist klarblau geworden, und schöner als je
^tet uns von den Wolken riesengroß und breit das Oval der Aureole ent-
Abst ' ^ s^benprächtig das Schattenbild unsers Fahrzeuges in beträchtlichem
c.! . ."zugibt, während sich ein schmaler Saum in denselben Regenbogen-
st wen seinen einzelnen Gliedern anschmiegt. Die Eiskruste auf der Ballon¬
hülle schmilzt unter den Strahlen der Sonne und fällt, soweit nicht die auf
der untern Halbkugel des Ballons aufgeklebte Regentraufe sie aufnimmt, in
Tropfen auf uns nieder. Der Perkalstoff bekommt nasse Flecken, aber auch
sie werden von der Sonne wieder herausgezogen. Der Füllansatz, dessen durch


Luftreisen

Radaune, wir wußten nichts damit anzufangen. Als nächste Stadt aber wurde
uns Torgau bezeichnet. Da dies fünfundfünfzig Kilometer östlich von Bitterfeld
liegt, hätten wir ungefähr achtundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück¬
gelegt. Danach dürfte bei Einbruch der Dunkelheit die Gegend zwischen Görlitz
und Bunzlau, etwa Kohlfurt erreicht werden.

Die Sonne kommt zum Vorschein, aber es wird ihr schwer gemacht, die
mächtigen Stratus- und Kumulusschichten zu durchdringen, die sich auf dem
nach allen Seiten bis zum Horizont reichenden eintönigen, nach oben zu glatt
abgeschnittnen Wolkenmeer immer höher aufbauen. Unser Fahrzeug gleicht in
seinem Aussehen den zur Winterzeit in die russischen Ostseehäfen einlaufenden
Schiffen: in allen seinen Teilen ist es mit Eis und Reif überzogen, der Ballon
mit dem Netz, der Ring mit seinen Leinen nach oben und nach unten, ebenso
der Korb; jeder Sonnenstrahl läßt es erglitzern. Die Temperatur schwankt
während der ganzen Fahrt zwischen —5 und —10 Grad Celsius, aller¬
dings sind diese Angaben, da wir nur ein Thermometer, kein Aspirations-
Pshchrometer mit uns führen, nicht unbedingt zuverlässig. Jedenfalls ist es
kalt genug, daß die Tinte im Barographen einfriert. Nur immer, wenn wir
sie künstlich aufgetane haben, zeichnet die Feder für kurze Zeit eine schwache
Linie. Um so aufmerksamer muß das Barometer und das außerhalb des
Korbes angebrachte Vertikalanemometer beobachtet werden.

Je höher die Sonne steigt, desto mehr beginnt auch das Wolkenmeer
eigentümliche Reize zu zeigen. Es erscheint nicht so gleichmäßig weiß wie
bisher, sondern wo einzelne Wellen hervorragen, breiten sich über die hinter
ihnen liegenden Flächen feine Schatten in zartem, duftigen Blau, und
durch das Heraustreten einzelner Gebilde gewinnt es an Mannigfaltigkeit.
Auch beobachten wir seltsame Wölbungen, als wiederholten sie einige hundert
Meter höher die Formen von ihnen bedeckter Hügel, und talartige Einsenkungen,
aus deuen wir nach den allerdings noch bestrittnen Untersuchungen des
Physikers Freiherrn Konrad von Bassus in München auf Flußlüufe schließen
möchten.

Punkt zehn Uhr dringt wieder Glockengelüut an unser Ohr, diesmal
sind es volle, tiefe Klänge, es muß eine Stadt sein, die unter uns liegt. Auf
dem Dorfe tönen die Glocken Heller, auch geht man da nicht erst um zehn
)r w die Kirche. Der Himmel ist klarblau geworden, und schöner als je
^tet uns von den Wolken riesengroß und breit das Oval der Aureole ent-
Abst ' ^ s^benprächtig das Schattenbild unsers Fahrzeuges in beträchtlichem
c.! . ."zugibt, während sich ein schmaler Saum in denselben Regenbogen-
st wen seinen einzelnen Gliedern anschmiegt. Die Eiskruste auf der Ballon¬
hülle schmilzt unter den Strahlen der Sonne und fällt, soweit nicht die auf
der untern Halbkugel des Ballons aufgeklebte Regentraufe sie aufnimmt, in
Tropfen auf uns nieder. Der Perkalstoff bekommt nasse Flecken, aber auch
sie werden von der Sonne wieder herausgezogen. Der Füllansatz, dessen durch


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[0147] Luftreisen Radaune, wir wußten nichts damit anzufangen. Als nächste Stadt aber wurde uns Torgau bezeichnet. Da dies fünfundfünfzig Kilometer östlich von Bitterfeld liegt, hätten wir ungefähr achtundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück¬ gelegt. Danach dürfte bei Einbruch der Dunkelheit die Gegend zwischen Görlitz und Bunzlau, etwa Kohlfurt erreicht werden. Die Sonne kommt zum Vorschein, aber es wird ihr schwer gemacht, die mächtigen Stratus- und Kumulusschichten zu durchdringen, die sich auf dem nach allen Seiten bis zum Horizont reichenden eintönigen, nach oben zu glatt abgeschnittnen Wolkenmeer immer höher aufbauen. Unser Fahrzeug gleicht in seinem Aussehen den zur Winterzeit in die russischen Ostseehäfen einlaufenden Schiffen: in allen seinen Teilen ist es mit Eis und Reif überzogen, der Ballon mit dem Netz, der Ring mit seinen Leinen nach oben und nach unten, ebenso der Korb; jeder Sonnenstrahl läßt es erglitzern. Die Temperatur schwankt während der ganzen Fahrt zwischen —5 und —10 Grad Celsius, aller¬ dings sind diese Angaben, da wir nur ein Thermometer, kein Aspirations- Pshchrometer mit uns führen, nicht unbedingt zuverlässig. Jedenfalls ist es kalt genug, daß die Tinte im Barographen einfriert. Nur immer, wenn wir sie künstlich aufgetane haben, zeichnet die Feder für kurze Zeit eine schwache Linie. Um so aufmerksamer muß das Barometer und das außerhalb des Korbes angebrachte Vertikalanemometer beobachtet werden. Je höher die Sonne steigt, desto mehr beginnt auch das Wolkenmeer eigentümliche Reize zu zeigen. Es erscheint nicht so gleichmäßig weiß wie bisher, sondern wo einzelne Wellen hervorragen, breiten sich über die hinter ihnen liegenden Flächen feine Schatten in zartem, duftigen Blau, und durch das Heraustreten einzelner Gebilde gewinnt es an Mannigfaltigkeit. Auch beobachten wir seltsame Wölbungen, als wiederholten sie einige hundert Meter höher die Formen von ihnen bedeckter Hügel, und talartige Einsenkungen, aus deuen wir nach den allerdings noch bestrittnen Untersuchungen des Physikers Freiherrn Konrad von Bassus in München auf Flußlüufe schließen möchten. Punkt zehn Uhr dringt wieder Glockengelüut an unser Ohr, diesmal sind es volle, tiefe Klänge, es muß eine Stadt sein, die unter uns liegt. Auf dem Dorfe tönen die Glocken Heller, auch geht man da nicht erst um zehn )r w die Kirche. Der Himmel ist klarblau geworden, und schöner als je ^tet uns von den Wolken riesengroß und breit das Oval der Aureole ent- Abst ' ^ s^benprächtig das Schattenbild unsers Fahrzeuges in beträchtlichem c.! . ."zugibt, während sich ein schmaler Saum in denselben Regenbogen- st wen seinen einzelnen Gliedern anschmiegt. Die Eiskruste auf der Ballon¬ hülle schmilzt unter den Strahlen der Sonne und fällt, soweit nicht die auf der untern Halbkugel des Ballons aufgeklebte Regentraufe sie aufnimmt, in Tropfen auf uns nieder. Der Perkalstoff bekommt nasse Flecken, aber auch sie werden von der Sonne wieder herausgezogen. Der Füllansatz, dessen durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/147>, abgerufen am 06.02.2025.