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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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jedoch Stimmung und Aufnahmefähigkeit reichten nur für das "Husarenfieber"
aus. Aber man sollte eben nie verdrießlich werden, wenn einmal etwas schief
geht, wer weiß, wozu es gut ist! Und umgekehrt: wir sehnen und hoffen,
und das ersehnte Glück wird uns errungen zur Last. Ohne die am Sonnabend
erlebte Enttäuschung wäre uns das unverhoffte Sonntagsglück nicht zuteil ge¬
worden.

Obwohl der Ballon fest zugebunden war, hatte er doch in der Nacht von
seinem Gasinhalt verloren, darum begann früh vier Uhr das Nachfüllen. Um
sieben Uhr bestiegen wir den Korb. "Achtung -- Anlüften!" Einer der sech¬
zehn Säcke nach dem andern mußte herausgegeben werden, "Ernst" rührte sich
nicht vom Flecke. Erst als auch der letzte heraus war, schleifte der Ballon ein
wenig am Boden hin. Die von Hülle, Leinen und Korb während der Nacht
aufgenommne Feuchtigkeit war fest gefroren, Schnee und Reif als weitere Last
hinzugekommen. Da, beim "Festhalten!" ein lautes Rauschen über uns, eine
Schneelawine stürzte herab. Das war ein willkommner Fingerzeig. Sechsmal
lasse ich anlüften und wieder festhalten, bei jedem neuen Aufstoßen des Korbes
fällt wieder eine Schneelast zu Boden.

Sieben Uhr fünfzehn Minuten schwebten wir mit fünf Sack Ballast in
östlicher Richtung glücklich ab, noch in völliger Dunkelheit und dichtem Nebel.
Das Thermometer zeigte -- 6 Grad Celsius. Auf zwanzig und mehr Grad
Kälte in höhern Schichten waren wir gefaßt und dementsprechend gekleidet,
abenteuerlich genug, nicht etwa in schwere Pelze, sondern vom Kopf bis zu
den Füßen in leichte, aber warme Hüllen gesteckt, die Knie noch besonders mit
Binden umwickelt; am Boden des Korbes hatten wir über dem Verpackungs¬
plan ein Bund Heu ausgebreitet. So fühlten wir uns, obwohl kalte Wolken
uns aufnahmen, und das Thermometer beim Steigen des Ballons um einige
Grad sank, dennoch mollig warm, jeder Luftzug hörte ja auf. Die Erde entzog
sich unsern Blicken und blieb uns verborgen, auch als es zu dämmern begann
und die elektrische Taschenlampe entbehrlich wurde. Um acht Uhr und dann
wieder eine halbe Stunde später läuteten die Kirchenglocken dicht unter uns;
welche Ortschaften mochten es sein? Unser Korb glitt nahe über einen ziemlich
hoch gelegnen großen Wald, der durch den wallenden Nebel schattenhaft sichtbar
wurde, der Wind rauschte durch seine vereisten Wipfel. Wir erhoben uus auf
300 Meter, um eine Berührung zu vermeiden und aus den grauen, wogenden
Massen herauszukommen; über uns klärte sich der Himmel.

Wiederholt hatten wir es versucht, uns mit Leuten in den überslognen An-
siedlungen zu verständigen. Aber schon unter gewöhnlichen Verhältnissen denkt
ein Mensch, wenn er angerufen wird, zuletzt daran, nach oben zu blicken; daß
nun gar in den Wolken über ihm der Anrufende verborgen sein könne, kommt
ihm vollends nicht in den Sinn. Um neun Uhr hörten wir Hundegebell und
ganz deutlich auch Menschenstimmen wieder unter uns. Hallo! Hier Luft¬
ballon! Wie heißt der Ort? Der uns zugerufne Name klang wie Radau oder


jedoch Stimmung und Aufnahmefähigkeit reichten nur für das „Husarenfieber"
aus. Aber man sollte eben nie verdrießlich werden, wenn einmal etwas schief
geht, wer weiß, wozu es gut ist! Und umgekehrt: wir sehnen und hoffen,
und das ersehnte Glück wird uns errungen zur Last. Ohne die am Sonnabend
erlebte Enttäuschung wäre uns das unverhoffte Sonntagsglück nicht zuteil ge¬
worden.

Obwohl der Ballon fest zugebunden war, hatte er doch in der Nacht von
seinem Gasinhalt verloren, darum begann früh vier Uhr das Nachfüllen. Um
sieben Uhr bestiegen wir den Korb. „Achtung — Anlüften!" Einer der sech¬
zehn Säcke nach dem andern mußte herausgegeben werden, „Ernst" rührte sich
nicht vom Flecke. Erst als auch der letzte heraus war, schleifte der Ballon ein
wenig am Boden hin. Die von Hülle, Leinen und Korb während der Nacht
aufgenommne Feuchtigkeit war fest gefroren, Schnee und Reif als weitere Last
hinzugekommen. Da, beim „Festhalten!" ein lautes Rauschen über uns, eine
Schneelawine stürzte herab. Das war ein willkommner Fingerzeig. Sechsmal
lasse ich anlüften und wieder festhalten, bei jedem neuen Aufstoßen des Korbes
fällt wieder eine Schneelast zu Boden.

Sieben Uhr fünfzehn Minuten schwebten wir mit fünf Sack Ballast in
östlicher Richtung glücklich ab, noch in völliger Dunkelheit und dichtem Nebel.
Das Thermometer zeigte — 6 Grad Celsius. Auf zwanzig und mehr Grad
Kälte in höhern Schichten waren wir gefaßt und dementsprechend gekleidet,
abenteuerlich genug, nicht etwa in schwere Pelze, sondern vom Kopf bis zu
den Füßen in leichte, aber warme Hüllen gesteckt, die Knie noch besonders mit
Binden umwickelt; am Boden des Korbes hatten wir über dem Verpackungs¬
plan ein Bund Heu ausgebreitet. So fühlten wir uns, obwohl kalte Wolken
uns aufnahmen, und das Thermometer beim Steigen des Ballons um einige
Grad sank, dennoch mollig warm, jeder Luftzug hörte ja auf. Die Erde entzog
sich unsern Blicken und blieb uns verborgen, auch als es zu dämmern begann
und die elektrische Taschenlampe entbehrlich wurde. Um acht Uhr und dann
wieder eine halbe Stunde später läuteten die Kirchenglocken dicht unter uns;
welche Ortschaften mochten es sein? Unser Korb glitt nahe über einen ziemlich
hoch gelegnen großen Wald, der durch den wallenden Nebel schattenhaft sichtbar
wurde, der Wind rauschte durch seine vereisten Wipfel. Wir erhoben uus auf
300 Meter, um eine Berührung zu vermeiden und aus den grauen, wogenden
Massen herauszukommen; über uns klärte sich der Himmel.

Wiederholt hatten wir es versucht, uns mit Leuten in den überslognen An-
siedlungen zu verständigen. Aber schon unter gewöhnlichen Verhältnissen denkt
ein Mensch, wenn er angerufen wird, zuletzt daran, nach oben zu blicken; daß
nun gar in den Wolken über ihm der Anrufende verborgen sein könne, kommt
ihm vollends nicht in den Sinn. Um neun Uhr hörten wir Hundegebell und
ganz deutlich auch Menschenstimmen wieder unter uns. Hallo! Hier Luft¬
ballon! Wie heißt der Ort? Der uns zugerufne Name klang wie Radau oder


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[0146] jedoch Stimmung und Aufnahmefähigkeit reichten nur für das „Husarenfieber" aus. Aber man sollte eben nie verdrießlich werden, wenn einmal etwas schief geht, wer weiß, wozu es gut ist! Und umgekehrt: wir sehnen und hoffen, und das ersehnte Glück wird uns errungen zur Last. Ohne die am Sonnabend erlebte Enttäuschung wäre uns das unverhoffte Sonntagsglück nicht zuteil ge¬ worden. Obwohl der Ballon fest zugebunden war, hatte er doch in der Nacht von seinem Gasinhalt verloren, darum begann früh vier Uhr das Nachfüllen. Um sieben Uhr bestiegen wir den Korb. „Achtung — Anlüften!" Einer der sech¬ zehn Säcke nach dem andern mußte herausgegeben werden, „Ernst" rührte sich nicht vom Flecke. Erst als auch der letzte heraus war, schleifte der Ballon ein wenig am Boden hin. Die von Hülle, Leinen und Korb während der Nacht aufgenommne Feuchtigkeit war fest gefroren, Schnee und Reif als weitere Last hinzugekommen. Da, beim „Festhalten!" ein lautes Rauschen über uns, eine Schneelawine stürzte herab. Das war ein willkommner Fingerzeig. Sechsmal lasse ich anlüften und wieder festhalten, bei jedem neuen Aufstoßen des Korbes fällt wieder eine Schneelast zu Boden. Sieben Uhr fünfzehn Minuten schwebten wir mit fünf Sack Ballast in östlicher Richtung glücklich ab, noch in völliger Dunkelheit und dichtem Nebel. Das Thermometer zeigte — 6 Grad Celsius. Auf zwanzig und mehr Grad Kälte in höhern Schichten waren wir gefaßt und dementsprechend gekleidet, abenteuerlich genug, nicht etwa in schwere Pelze, sondern vom Kopf bis zu den Füßen in leichte, aber warme Hüllen gesteckt, die Knie noch besonders mit Binden umwickelt; am Boden des Korbes hatten wir über dem Verpackungs¬ plan ein Bund Heu ausgebreitet. So fühlten wir uns, obwohl kalte Wolken uns aufnahmen, und das Thermometer beim Steigen des Ballons um einige Grad sank, dennoch mollig warm, jeder Luftzug hörte ja auf. Die Erde entzog sich unsern Blicken und blieb uns verborgen, auch als es zu dämmern begann und die elektrische Taschenlampe entbehrlich wurde. Um acht Uhr und dann wieder eine halbe Stunde später läuteten die Kirchenglocken dicht unter uns; welche Ortschaften mochten es sein? Unser Korb glitt nahe über einen ziemlich hoch gelegnen großen Wald, der durch den wallenden Nebel schattenhaft sichtbar wurde, der Wind rauschte durch seine vereisten Wipfel. Wir erhoben uus auf 300 Meter, um eine Berührung zu vermeiden und aus den grauen, wogenden Massen herauszukommen; über uns klärte sich der Himmel. Wiederholt hatten wir es versucht, uns mit Leuten in den überslognen An- siedlungen zu verständigen. Aber schon unter gewöhnlichen Verhältnissen denkt ein Mensch, wenn er angerufen wird, zuletzt daran, nach oben zu blicken; daß nun gar in den Wolken über ihm der Anrufende verborgen sein könne, kommt ihm vollends nicht in den Sinn. Um neun Uhr hörten wir Hundegebell und ganz deutlich auch Menschenstimmen wieder unter uns. Hallo! Hier Luft¬ ballon! Wie heißt der Ort? Der uns zugerufne Name klang wie Radau oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/146>, abgerufen am 06.02.2025.