Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Lustreisen 800 Kubikmeter, und wir wiegten uns schon in der Hoffnung auf sechzehn Endlich am Nachmittag gegen vier Uhr, als die frühe Dämmerung herein¬ Der gefüllte Ballon wurde nach einer Sandgrube geschafft und dort für *) Vgl. Grenzboten 1906, III, S, 33.
Lustreisen 800 Kubikmeter, und wir wiegten uns schon in der Hoffnung auf sechzehn Endlich am Nachmittag gegen vier Uhr, als die frühe Dämmerung herein¬ Der gefüllte Ballon wurde nach einer Sandgrube geschafft und dort für *) Vgl. Grenzboten 1906, III, S, 33.
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Lustreisen
800 Kubikmeter, und wir wiegten uns schon in der Hoffnung auf sechzehn
Sack Ballast.
Endlich am Nachmittag gegen vier Uhr, als die frühe Dämmerung herein¬
brach, war die Füllung beendet. Was nun tun? Eine Fahrt in die sechzehn
Stunden lange Winternacht hinaus, die uns günstigenfalls nichts weiter ge¬
boten hätte als über Wolkenmassen den Anblick des Vollmonds zu genießen
und dann voraussichtlich noch in der Dunkelheit bei eintretendem Ballastmangel
aus den Wolken gefallen landen zu müssen, ohne uns den Platz aussuchen
zu können, vielleicht in tief verschneiter einsamer Gebirgsgegend oder mitten
in einer bevölkerten Ortschaft, auf einem See, oder wo sonst die Umstände es
gerade fügen würden, das erschien wenig verlockend und auch nicht unbedenklich,
da wir die Eigentümlichkeiten einer Winterfahrt bis dahin überhaupt noch nicht
kannten. Erst wenige Tage zuvor hatte sich ein glücklicherweise ohne schlimme
Folgen gebliebner Unfall ereignet, der zu andrer Jahreszeit nicht denkbar ge¬
wesen wäre. Als am 17. Dezember abends gegen zehn Uhr der „Ernst" zu
einer Nachtfahrt aufstieg, entging es dem Führer in der Dunkelheit, daß sich
infolge Festfrierens der Anfzugleine der Füllansatz nicht geöffnet hatte, was
ein Platzen des Ballons zur Folge haben kann. Man versuchte sofort während
der Fahrt das Versehen wieder gut zu machen, durch das Zerren aber an der
Leine wurde die Reißbahn gelöst; der so aufgerissene Ballon fiel kaum fünf
Kilometer von Bitterfeld entfernt auf einen Wald herab und blieb oben auf
den Zweigen einer etwa hundertfünfzigjährigen Eiche hängen. Während die
Korbinsassen, um nicht die kalte Nacht aus ihrer luftigen Höhe zubringe» zu
müssen, sich am Schlepptau herabließen, konnte „Ernst" erst am nächsten
Morgen durch Fällen des Baumes befreit werden. So hatte dieser Fall gezeigt,
daß im Winter noch mit besondern Zufälligkeiten gerechnet werden muß, denen
bei Tageslicht leichter begegnet werden kann als in der Nacht. Wir be¬
schlossen darum, erst am nächsten Morgen, Sonntag den 30. Dezember, zu
fahren.
Der gefüllte Ballon wurde nach einer Sandgrube geschafft und dort für
die Nacht verankert. Unsre kleinen Sandsäcke zu fünfzehn Kilo reichten dazu
nicht aus, so wurden einige Scheffelsäcke mit Sand gefüllt und an den Aus¬
laufleinen befestigt. Damit war es „Ernst" unmöglich gemacht, seinen Jugend-
1 reich,*) xine Freifahrt in des Wortes kühnster Bedeutung, zu wiederholen.
utzerdem wurde ihm zu seiner Beaufsichtigung eine Wache beigegeben. Wir
"^en sehr mißmutig wegen dieses Zeitverlustes. Daheim warteten unser
ngefangne dringliche Arbeiten; die um die Jahreswende so gehäuften notariellen
Schafte harrten der Erledigung, und Heilungsuchende in Klinik und Sprech¬
stunde mußten nun einen Tag länger ihren Arzt entbehren. Den Abend ver¬
brachten wir in Halle. Das Theater lockte mit dem Fliegenden Holländer,
*) Vgl. Grenzboten 1906, III, S, 33.
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