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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Thomas Hardys Napoleonsdrama

wie Hardy sagt -- im Schlußkapitel von 1688 c>k tue v'IIrdörvillös auf einer
irrigen Auffassung des Prometheusdramas fußt, so verwechselt Hardy auch
diesmal den Ausspruch der einen Person mit der Meinung des Dichters.
Logischerweise kann Sophokles persönliche Anschauung nicht hinter allen
Reden seiner handelnden Personen zu suchen sein, und des Hyllos Anklage
gegen die Ungerechtigkeit der Götter, die ihnen selbst Schande und den Sterb¬
lichen Elend brächte, ist mit des Jünglings verzweiflungsvollen Schmerz über
des Vaters Ende recht wohl im Einklang, darf aber nicht, aus dem Zu¬
sammenhang gerissen, als persönliche Meinungsäußerung des Sophokles aus¬
gegeben werden. schwermütige Bitterkeit hat Hardhs sonst so klaren Blick
getrübt, und alles, was er über das Nütsel des Lebens zu sagen weiß, er¬
scheint in dieser stark subjektiven, pessimistischen Färbung.

Im Gegensatz hierzu verkörpert nach Hardy der Genius des Mitleids
den idealisierten Zuschauer im Schlegelschen Sinne, und überall da, wo Eng¬
lands heldenmütige Streiter fallen, sind ihm lyrische Strophen in den Mund
gelegt, die meist von großer poetischer Schönheit sind. So nach der Schlacht
bei Trafalgar, wo die Geister dem Todeskampf Nelsons zuschauen, oder bei
dem Zugrundegehn des englischen Heeres in den fieberschwcmgern Sümpfen
der Insel Walcheren in der Scheldemündung. Da singen die Genien des Mit¬
leids einen Trauerhymnus, in dem sie die Leiden der fieberkranken Mann¬
schaften zu den ihren machen:

Doch der Geist der Jahre weist sie zurück:

Hier wird die weiche, lyrische Stimmung abgebrochen, ehe sie voll aus¬
geklungen ist. Das geschieht in dem Drama öfter, wodurch die Herbheit des


Thomas Hardys Napoleonsdrama

wie Hardy sagt — im Schlußkapitel von 1688 c>k tue v'IIrdörvillös auf einer
irrigen Auffassung des Prometheusdramas fußt, so verwechselt Hardy auch
diesmal den Ausspruch der einen Person mit der Meinung des Dichters.
Logischerweise kann Sophokles persönliche Anschauung nicht hinter allen
Reden seiner handelnden Personen zu suchen sein, und des Hyllos Anklage
gegen die Ungerechtigkeit der Götter, die ihnen selbst Schande und den Sterb¬
lichen Elend brächte, ist mit des Jünglings verzweiflungsvollen Schmerz über
des Vaters Ende recht wohl im Einklang, darf aber nicht, aus dem Zu¬
sammenhang gerissen, als persönliche Meinungsäußerung des Sophokles aus¬
gegeben werden. schwermütige Bitterkeit hat Hardhs sonst so klaren Blick
getrübt, und alles, was er über das Nütsel des Lebens zu sagen weiß, er¬
scheint in dieser stark subjektiven, pessimistischen Färbung.

Im Gegensatz hierzu verkörpert nach Hardy der Genius des Mitleids
den idealisierten Zuschauer im Schlegelschen Sinne, und überall da, wo Eng¬
lands heldenmütige Streiter fallen, sind ihm lyrische Strophen in den Mund
gelegt, die meist von großer poetischer Schönheit sind. So nach der Schlacht
bei Trafalgar, wo die Geister dem Todeskampf Nelsons zuschauen, oder bei
dem Zugrundegehn des englischen Heeres in den fieberschwcmgern Sümpfen
der Insel Walcheren in der Scheldemündung. Da singen die Genien des Mit¬
leids einen Trauerhymnus, in dem sie die Leiden der fieberkranken Mann¬
schaften zu den ihren machen:

Doch der Geist der Jahre weist sie zurück:

Hier wird die weiche, lyrische Stimmung abgebrochen, ehe sie voll aus¬
geklungen ist. Das geschieht in dem Drama öfter, wodurch die Herbheit des


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[0142] Thomas Hardys Napoleonsdrama wie Hardy sagt — im Schlußkapitel von 1688 c>k tue v'IIrdörvillös auf einer irrigen Auffassung des Prometheusdramas fußt, so verwechselt Hardy auch diesmal den Ausspruch der einen Person mit der Meinung des Dichters. Logischerweise kann Sophokles persönliche Anschauung nicht hinter allen Reden seiner handelnden Personen zu suchen sein, und des Hyllos Anklage gegen die Ungerechtigkeit der Götter, die ihnen selbst Schande und den Sterb¬ lichen Elend brächte, ist mit des Jünglings verzweiflungsvollen Schmerz über des Vaters Ende recht wohl im Einklang, darf aber nicht, aus dem Zu¬ sammenhang gerissen, als persönliche Meinungsäußerung des Sophokles aus¬ gegeben werden. schwermütige Bitterkeit hat Hardhs sonst so klaren Blick getrübt, und alles, was er über das Nütsel des Lebens zu sagen weiß, er¬ scheint in dieser stark subjektiven, pessimistischen Färbung. Im Gegensatz hierzu verkörpert nach Hardy der Genius des Mitleids den idealisierten Zuschauer im Schlegelschen Sinne, und überall da, wo Eng¬ lands heldenmütige Streiter fallen, sind ihm lyrische Strophen in den Mund gelegt, die meist von großer poetischer Schönheit sind. So nach der Schlacht bei Trafalgar, wo die Geister dem Todeskampf Nelsons zuschauen, oder bei dem Zugrundegehn des englischen Heeres in den fieberschwcmgern Sümpfen der Insel Walcheren in der Scheldemündung. Da singen die Genien des Mit¬ leids einen Trauerhymnus, in dem sie die Leiden der fieberkranken Mann¬ schaften zu den ihren machen: Doch der Geist der Jahre weist sie zurück: Hier wird die weiche, lyrische Stimmung abgebrochen, ehe sie voll aus¬ geklungen ist. Das geschieht in dem Drama öfter, wodurch die Herbheit des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/142>, abgerufen am 06.02.2025.