Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Äcvcinchegedanken in Frankreich

Weit günstiger liegen die Verhältnisse bei den kapitulierenden Unteroffizieren.
Nach Paragraph 59 des Gesetzes vom 21. März 1905 dürfen drei Viertel aller
Unteroffiziere Kapitulanten sein und die Höchstziffer von 30 600 erreichen. Davon
waren am 1. November 1905 schon 26 261 vorhanden und am 1. November 1906
28755, sodaß das eine Jahr einen Zuwachs von 2494 kapitulierendeu Unter¬
offizieren gebracht hat. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb nicht gering, daß am
1. November dieses Jahres die an der Maximalziffer noch etwa fehlenden 1900
Unteroffiziere gefunden sein werden.

Daß aber mit der hinreichenden Zahl kapitulierender Unteroffiziere nicht
alle Ausfälle an Ersatz zu decken sind, daß sich auch ein Ausgleich unter den
verschiednen Kapitulantengraden schon aus Mangel an Mitteln nicht erreichen
läßt, und daß daher in weiten Kreisen die Bedenken immer größer werden,
daß von 1907 ub die Friedeuspräseuzstärke des Heeres tatsächlich hinabgesetzt
werden muß, falls nicht auch die notwendigen 21500 Kapitulanten unter den
Kaporalen, Brigadiers und Gemeinen sicherzustellen sind, sind jetzt sowohl die
öffentliche Meinung wie die Volksvertreter in den Parlamenten mit Vorschlägen
hervorgetreten, durch welche Mittel um schnellsten und sichersten die vorhandnen
Lücken gedeckt werden könnten.

Übereinstimmung scheint schon dahin erreicht worden zu sein, daß unter
allen Uniständen die Kapitulanten sämtlicher Truppen im Mutterlande ohne Unter¬
scheidung nach Waffen die gleich hohe Tageszulage zur Löhnung erhalten müssen,
wie sie für die Kolonialtruppen festgesetzt worden ist, die ihren Bedarf an
Kapitulanten immer vollzählig gedeckt haben. Augenblicklich liegen die Dinge
bei der Armee in Frankreich so, daß die Kaporalc und Brigadiers der berittnen
Waffen nach abgeschlossener Kapitulation einen täglichen Zuschuß von 70 Centimes,
die der Fußtruppen von 60 Centimes erhalten, während an die Gemeinen ein
Zuschuß von nur 40 und 20 Centimes gezahlt wird. Bei der Kolonialarmee,
die ja keine berittnen Waffen hat, sind für die Kaporale 80 Centimes, für
die Gemeinen 50 Centimes festgesetzt. Außer dieser Zulage soll den Kapitulanten
der Armee im Mutterlande, je nachdem sie sich nach Ablauf ihrer zweijährigen
Dienstzeit auf zwei oder drei weitere Jahre verpflichten, eine Prämie von 300
bis 500 Franken bewilligt werden. Dieser Vorschlag erscheint der Mehrheit
empfehlenswerter als die bei der Kolonialarmee geltende Bestimmung, nach der
hier jeder Kapitulare außer der Militärmcdaille eine Prämie von 100 Franken
"Die Medaille sei mehr für die Eitelkeit des jungen Soldaten berechnet
ja auch schon ihre guten Dienste getan, aber bei den gesteigerten
nsorderungen an die Lebensführung der Jetztzeit werde eine materielle Besserung
Mer ^gge von nachhaltigerm Eindruck auf den zur Kapitulation geneigten
Soldaten sein. Eine Auszeichnung, etwa durch ein Band oder ein ähnliches
Abzeichen, könne ja nebenbei auch noch ins Auge gefaßt werden." ,

Was aber die Franzosen beginnen werden, um ein Hinabsetzen des Friedens-
effektivs der Armee selbst dann noch zu verhindern, wenn auch die erneuerten


Grenzten II 1907 16
Der Äcvcinchegedanken in Frankreich

Weit günstiger liegen die Verhältnisse bei den kapitulierenden Unteroffizieren.
Nach Paragraph 59 des Gesetzes vom 21. März 1905 dürfen drei Viertel aller
Unteroffiziere Kapitulanten sein und die Höchstziffer von 30 600 erreichen. Davon
waren am 1. November 1905 schon 26 261 vorhanden und am 1. November 1906
28755, sodaß das eine Jahr einen Zuwachs von 2494 kapitulierendeu Unter¬
offizieren gebracht hat. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb nicht gering, daß am
1. November dieses Jahres die an der Maximalziffer noch etwa fehlenden 1900
Unteroffiziere gefunden sein werden.

Daß aber mit der hinreichenden Zahl kapitulierender Unteroffiziere nicht
alle Ausfälle an Ersatz zu decken sind, daß sich auch ein Ausgleich unter den
verschiednen Kapitulantengraden schon aus Mangel an Mitteln nicht erreichen
läßt, und daß daher in weiten Kreisen die Bedenken immer größer werden,
daß von 1907 ub die Friedeuspräseuzstärke des Heeres tatsächlich hinabgesetzt
werden muß, falls nicht auch die notwendigen 21500 Kapitulanten unter den
Kaporalen, Brigadiers und Gemeinen sicherzustellen sind, sind jetzt sowohl die
öffentliche Meinung wie die Volksvertreter in den Parlamenten mit Vorschlägen
hervorgetreten, durch welche Mittel um schnellsten und sichersten die vorhandnen
Lücken gedeckt werden könnten.

Übereinstimmung scheint schon dahin erreicht worden zu sein, daß unter
allen Uniständen die Kapitulanten sämtlicher Truppen im Mutterlande ohne Unter¬
scheidung nach Waffen die gleich hohe Tageszulage zur Löhnung erhalten müssen,
wie sie für die Kolonialtruppen festgesetzt worden ist, die ihren Bedarf an
Kapitulanten immer vollzählig gedeckt haben. Augenblicklich liegen die Dinge
bei der Armee in Frankreich so, daß die Kaporalc und Brigadiers der berittnen
Waffen nach abgeschlossener Kapitulation einen täglichen Zuschuß von 70 Centimes,
die der Fußtruppen von 60 Centimes erhalten, während an die Gemeinen ein
Zuschuß von nur 40 und 20 Centimes gezahlt wird. Bei der Kolonialarmee,
die ja keine berittnen Waffen hat, sind für die Kaporale 80 Centimes, für
die Gemeinen 50 Centimes festgesetzt. Außer dieser Zulage soll den Kapitulanten
der Armee im Mutterlande, je nachdem sie sich nach Ablauf ihrer zweijährigen
Dienstzeit auf zwei oder drei weitere Jahre verpflichten, eine Prämie von 300
bis 500 Franken bewilligt werden. Dieser Vorschlag erscheint der Mehrheit
empfehlenswerter als die bei der Kolonialarmee geltende Bestimmung, nach der
hier jeder Kapitulare außer der Militärmcdaille eine Prämie von 100 Franken
„Die Medaille sei mehr für die Eitelkeit des jungen Soldaten berechnet
ja auch schon ihre guten Dienste getan, aber bei den gesteigerten
nsorderungen an die Lebensführung der Jetztzeit werde eine materielle Besserung
Mer ^gge von nachhaltigerm Eindruck auf den zur Kapitulation geneigten
Soldaten sein. Eine Auszeichnung, etwa durch ein Band oder ein ähnliches
Abzeichen, könne ja nebenbei auch noch ins Auge gefaßt werden." ,

Was aber die Franzosen beginnen werden, um ein Hinabsetzen des Friedens-
effektivs der Armee selbst dann noch zu verhindern, wenn auch die erneuerten


Grenzten II 1907 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302113"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Äcvcinchegedanken in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_539"> Weit günstiger liegen die Verhältnisse bei den kapitulierenden Unteroffizieren.<lb/>
Nach Paragraph 59 des Gesetzes vom 21. März 1905 dürfen drei Viertel aller<lb/>
Unteroffiziere Kapitulanten sein und die Höchstziffer von 30 600 erreichen. Davon<lb/>
waren am 1. November 1905 schon 26 261 vorhanden und am 1. November 1906<lb/>
28755, sodaß das eine Jahr einen Zuwachs von 2494 kapitulierendeu Unter¬<lb/>
offizieren gebracht hat. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb nicht gering, daß am<lb/>
1. November dieses Jahres die an der Maximalziffer noch etwa fehlenden 1900<lb/>
Unteroffiziere gefunden sein werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_540"> Daß aber mit der hinreichenden Zahl kapitulierender Unteroffiziere nicht<lb/>
alle Ausfälle an Ersatz zu decken sind, daß sich auch ein Ausgleich unter den<lb/>
verschiednen Kapitulantengraden schon aus Mangel an Mitteln nicht erreichen<lb/>
läßt, und daß daher in weiten Kreisen die Bedenken immer größer werden,<lb/>
daß von 1907 ub die Friedeuspräseuzstärke des Heeres tatsächlich hinabgesetzt<lb/>
werden muß, falls nicht auch die notwendigen 21500 Kapitulanten unter den<lb/>
Kaporalen, Brigadiers und Gemeinen sicherzustellen sind, sind jetzt sowohl die<lb/>
öffentliche Meinung wie die Volksvertreter in den Parlamenten mit Vorschlägen<lb/>
hervorgetreten, durch welche Mittel um schnellsten und sichersten die vorhandnen<lb/>
Lücken gedeckt werden könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_541"> Übereinstimmung scheint schon dahin erreicht worden zu sein, daß unter<lb/>
allen Uniständen die Kapitulanten sämtlicher Truppen im Mutterlande ohne Unter¬<lb/>
scheidung nach Waffen die gleich hohe Tageszulage zur Löhnung erhalten müssen,<lb/>
wie sie für die Kolonialtruppen festgesetzt worden ist, die ihren Bedarf an<lb/>
Kapitulanten immer vollzählig gedeckt haben. Augenblicklich liegen die Dinge<lb/>
bei der Armee in Frankreich so, daß die Kaporalc und Brigadiers der berittnen<lb/>
Waffen nach abgeschlossener Kapitulation einen täglichen Zuschuß von 70 Centimes,<lb/>
die der Fußtruppen von 60 Centimes erhalten, während an die Gemeinen ein<lb/>
Zuschuß von nur 40 und 20 Centimes gezahlt wird. Bei der Kolonialarmee,<lb/>
die ja keine berittnen Waffen hat, sind für die Kaporale 80 Centimes, für<lb/>
die Gemeinen 50 Centimes festgesetzt. Außer dieser Zulage soll den Kapitulanten<lb/>
der Armee im Mutterlande, je nachdem sie sich nach Ablauf ihrer zweijährigen<lb/>
Dienstzeit auf zwei oder drei weitere Jahre verpflichten, eine Prämie von 300<lb/>
bis 500 Franken bewilligt werden. Dieser Vorschlag erscheint der Mehrheit<lb/>
empfehlenswerter als die bei der Kolonialarmee geltende Bestimmung, nach der<lb/>
hier jeder Kapitulare außer der Militärmcdaille eine Prämie von 100 Franken<lb/>
&#x201E;Die Medaille sei mehr für die Eitelkeit des jungen Soldaten berechnet<lb/>
ja auch schon ihre guten Dienste getan, aber bei den gesteigerten<lb/>
nsorderungen an die Lebensführung der Jetztzeit werde eine materielle Besserung<lb/>
Mer ^gge von nachhaltigerm Eindruck auf den zur Kapitulation geneigten<lb/>
Soldaten sein. Eine Auszeichnung, etwa durch ein Band oder ein ähnliches<lb/>
Abzeichen, könne ja nebenbei auch noch ins Auge gefaßt werden." ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_542" next="#ID_543"> Was aber die Franzosen beginnen werden, um ein Hinabsetzen des Friedens-<lb/>
effektivs der Armee selbst dann noch zu verhindern, wenn auch die erneuerten</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzten II 1907 16</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] Der Äcvcinchegedanken in Frankreich Weit günstiger liegen die Verhältnisse bei den kapitulierenden Unteroffizieren. Nach Paragraph 59 des Gesetzes vom 21. März 1905 dürfen drei Viertel aller Unteroffiziere Kapitulanten sein und die Höchstziffer von 30 600 erreichen. Davon waren am 1. November 1905 schon 26 261 vorhanden und am 1. November 1906 28755, sodaß das eine Jahr einen Zuwachs von 2494 kapitulierendeu Unter¬ offizieren gebracht hat. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb nicht gering, daß am 1. November dieses Jahres die an der Maximalziffer noch etwa fehlenden 1900 Unteroffiziere gefunden sein werden. Daß aber mit der hinreichenden Zahl kapitulierender Unteroffiziere nicht alle Ausfälle an Ersatz zu decken sind, daß sich auch ein Ausgleich unter den verschiednen Kapitulantengraden schon aus Mangel an Mitteln nicht erreichen läßt, und daß daher in weiten Kreisen die Bedenken immer größer werden, daß von 1907 ub die Friedeuspräseuzstärke des Heeres tatsächlich hinabgesetzt werden muß, falls nicht auch die notwendigen 21500 Kapitulanten unter den Kaporalen, Brigadiers und Gemeinen sicherzustellen sind, sind jetzt sowohl die öffentliche Meinung wie die Volksvertreter in den Parlamenten mit Vorschlägen hervorgetreten, durch welche Mittel um schnellsten und sichersten die vorhandnen Lücken gedeckt werden könnten. Übereinstimmung scheint schon dahin erreicht worden zu sein, daß unter allen Uniständen die Kapitulanten sämtlicher Truppen im Mutterlande ohne Unter¬ scheidung nach Waffen die gleich hohe Tageszulage zur Löhnung erhalten müssen, wie sie für die Kolonialtruppen festgesetzt worden ist, die ihren Bedarf an Kapitulanten immer vollzählig gedeckt haben. Augenblicklich liegen die Dinge bei der Armee in Frankreich so, daß die Kaporalc und Brigadiers der berittnen Waffen nach abgeschlossener Kapitulation einen täglichen Zuschuß von 70 Centimes, die der Fußtruppen von 60 Centimes erhalten, während an die Gemeinen ein Zuschuß von nur 40 und 20 Centimes gezahlt wird. Bei der Kolonialarmee, die ja keine berittnen Waffen hat, sind für die Kaporale 80 Centimes, für die Gemeinen 50 Centimes festgesetzt. Außer dieser Zulage soll den Kapitulanten der Armee im Mutterlande, je nachdem sie sich nach Ablauf ihrer zweijährigen Dienstzeit auf zwei oder drei weitere Jahre verpflichten, eine Prämie von 300 bis 500 Franken bewilligt werden. Dieser Vorschlag erscheint der Mehrheit empfehlenswerter als die bei der Kolonialarmee geltende Bestimmung, nach der hier jeder Kapitulare außer der Militärmcdaille eine Prämie von 100 Franken „Die Medaille sei mehr für die Eitelkeit des jungen Soldaten berechnet ja auch schon ihre guten Dienste getan, aber bei den gesteigerten nsorderungen an die Lebensführung der Jetztzeit werde eine materielle Besserung Mer ^gge von nachhaltigerm Eindruck auf den zur Kapitulation geneigten Soldaten sein. Eine Auszeichnung, etwa durch ein Band oder ein ähnliches Abzeichen, könne ja nebenbei auch noch ins Auge gefaßt werden." , Was aber die Franzosen beginnen werden, um ein Hinabsetzen des Friedens- effektivs der Armee selbst dann noch zu verhindern, wenn auch die erneuerten Grenzten II 1907 16

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/125>, abgerufen am 06.02.2025.