Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der Revanchegedauken in Frankreich Tatsächlich hat ja Frankreich im Kriege gegen Deutschland an den großen Die Tagespresse in Frankreich tröstet sich nun mit dem Gedanken, daß ja Der Revanchegedauken in Frankreich Tatsächlich hat ja Frankreich im Kriege gegen Deutschland an den großen Die Tagespresse in Frankreich tröstet sich nun mit dem Gedanken, daß ja <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302108"/> <fw type="header" place="top"> Der Revanchegedauken in Frankreich</fw><lb/> <p xml:id="ID_527" prev="#ID_526"> Tatsächlich hat ja Frankreich im Kriege gegen Deutschland an den großen<lb/> Feldherren Bazaine, Mac Mahon, Aurclles de Paladines, Ducrot und Bourbaki<lb/> wenig Freude erlebt. Nur Chanzy und Faidherbe haben es in dem letzten Teil<lb/> des Feldzuges etwas besser gemacht. Das lag zunächst daran, daß sie an den<lb/> Fehlern ihrer Vorgänger gelernt hatten, und daß ihnen aus Algier und vom<lb/> Senegal her wenigstens einige praktische Erfahrungen zur Seite standen.</p><lb/> <p xml:id="ID_528" next="#ID_529"> Die Tagespresse in Frankreich tröstet sich nun mit dem Gedanken, daß ja<lb/> die Armee jetzt schon im Frieden ihren Generalissimus habe, der bestimmt und<lb/> befähigt sei, den Oberbefehl im Kriege zu übernehmen, und der die Lücke aus¬<lb/> fülle, die bisher vorhanden gewesen sei. Das ist keine ganz korrekte Angabe,<lb/> die um so mehr der Richtigstellung bedarf, als sie sogar in die deutsche Fach¬<lb/> literatur übergegangen ist. Den Titel Generalissimus hat eigentlich das<lb/> Publikum erfunden, offiziell besteht er auch heute noch nicht. Bezeichnet wird<lb/> damit der Vizepräsident des obersten Kriegsrates, der aber wiederum nur in<lb/> den Augen der großen Masse der Höchstkommandierendc im Mobilmachungs¬<lb/> fall ist. In Wirklichkeit aber ist dieser Vizepräsident, gegenwärtig General<lb/> Hagron, nur auf ein Jahr designiert und erhält nur für diesen Zeitraum eine<lb/> Dienstbestallung als General en oneck einer Gruppe von Armee. Dieser<lb/> General hat aber weder Befehlsgewalt über den Generalstab der Armee, noch<lb/> ist er dauernd der Vorgesetzte für die Führer seiner Armeen; nur für die kurze<lb/> Zeit, wo er nach Anordnung des Kriegsministers im Frieden die Armec-<lb/> mcmöver leitet oder einzelne Armeekorps besichtigt, unterstehen ihm die be¬<lb/> treffenden kommandierender Generale. Demnach hat also die französische Armee<lb/> im Kriegsfall auch heute noch keinen Höchstkommandierenden nach unsern: Be¬<lb/> griffe. Es kann im entscheidenden Augenblick jeder General des obersten<lb/> Kriegsrath dazu ausersehen werden. Dieser oberste Kriegsrat ist eine ganz<lb/> eigentümliche Einrichtung und auch gerade jetzt wieder, wo der Nevanchegedanke<lb/> erneut worden ist, Gegenstand lebhafter Erörterung bei unsern westlichen Nach¬<lb/> barn. Hauptsächlich handelt es sich dabei um die Frage, ob die Mitglieder<lb/> dieses Rates außerdem noch die Stellung eines kommandierender Generals<lb/> oder eines Gouverneurs von Paris und von Lyon bekleiden oder ob sie<lb/> lediglich zur Verfügung des Kriegsministers in Paris bleiben sollen. Als der<lb/> oberste Kriegsrat im Jahre 1888 uuter dem Kriegsminister Freycinet reorganisiert<lb/> und auf zwölf Mitglieder festgesetzt wurde, wurde zugleich bestimmt, daß alle<lb/> Mitglieder ihren Wohnsitz ständig in Paris zu nehmen und sich hier auf ihre<lb/> große Aufgabe als zukünftige Armeeführer vorzubereiten hätten. General<lb/> Gallifet, der 1899 Kriegsminister war, stand auf praktischcrem Standpunkte,<lb/> meinte, zwölf Generale seien als Mitglieder des obersten Kriegsrath viel zu<lb/> viel, da Frankreich nur fünf bis sechs Armeen im Kriege aufstellen werde, und<lb/> setzte die Zahl auf sechs Generale fest. Zugleich bestimmte er aber, daß diese<lb/> Generale an der Spitze von Armeekorps zu belassen seien, damit sie dauernd<lb/> in Verbindung mit der Truppe blieben und sich im praktischen Dienst übten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0120]
Der Revanchegedauken in Frankreich
Tatsächlich hat ja Frankreich im Kriege gegen Deutschland an den großen
Feldherren Bazaine, Mac Mahon, Aurclles de Paladines, Ducrot und Bourbaki
wenig Freude erlebt. Nur Chanzy und Faidherbe haben es in dem letzten Teil
des Feldzuges etwas besser gemacht. Das lag zunächst daran, daß sie an den
Fehlern ihrer Vorgänger gelernt hatten, und daß ihnen aus Algier und vom
Senegal her wenigstens einige praktische Erfahrungen zur Seite standen.
Die Tagespresse in Frankreich tröstet sich nun mit dem Gedanken, daß ja
die Armee jetzt schon im Frieden ihren Generalissimus habe, der bestimmt und
befähigt sei, den Oberbefehl im Kriege zu übernehmen, und der die Lücke aus¬
fülle, die bisher vorhanden gewesen sei. Das ist keine ganz korrekte Angabe,
die um so mehr der Richtigstellung bedarf, als sie sogar in die deutsche Fach¬
literatur übergegangen ist. Den Titel Generalissimus hat eigentlich das
Publikum erfunden, offiziell besteht er auch heute noch nicht. Bezeichnet wird
damit der Vizepräsident des obersten Kriegsrates, der aber wiederum nur in
den Augen der großen Masse der Höchstkommandierendc im Mobilmachungs¬
fall ist. In Wirklichkeit aber ist dieser Vizepräsident, gegenwärtig General
Hagron, nur auf ein Jahr designiert und erhält nur für diesen Zeitraum eine
Dienstbestallung als General en oneck einer Gruppe von Armee. Dieser
General hat aber weder Befehlsgewalt über den Generalstab der Armee, noch
ist er dauernd der Vorgesetzte für die Führer seiner Armeen; nur für die kurze
Zeit, wo er nach Anordnung des Kriegsministers im Frieden die Armec-
mcmöver leitet oder einzelne Armeekorps besichtigt, unterstehen ihm die be¬
treffenden kommandierender Generale. Demnach hat also die französische Armee
im Kriegsfall auch heute noch keinen Höchstkommandierenden nach unsern: Be¬
griffe. Es kann im entscheidenden Augenblick jeder General des obersten
Kriegsrath dazu ausersehen werden. Dieser oberste Kriegsrat ist eine ganz
eigentümliche Einrichtung und auch gerade jetzt wieder, wo der Nevanchegedanke
erneut worden ist, Gegenstand lebhafter Erörterung bei unsern westlichen Nach¬
barn. Hauptsächlich handelt es sich dabei um die Frage, ob die Mitglieder
dieses Rates außerdem noch die Stellung eines kommandierender Generals
oder eines Gouverneurs von Paris und von Lyon bekleiden oder ob sie
lediglich zur Verfügung des Kriegsministers in Paris bleiben sollen. Als der
oberste Kriegsrat im Jahre 1888 uuter dem Kriegsminister Freycinet reorganisiert
und auf zwölf Mitglieder festgesetzt wurde, wurde zugleich bestimmt, daß alle
Mitglieder ihren Wohnsitz ständig in Paris zu nehmen und sich hier auf ihre
große Aufgabe als zukünftige Armeeführer vorzubereiten hätten. General
Gallifet, der 1899 Kriegsminister war, stand auf praktischcrem Standpunkte,
meinte, zwölf Generale seien als Mitglieder des obersten Kriegsrath viel zu
viel, da Frankreich nur fünf bis sechs Armeen im Kriege aufstellen werde, und
setzte die Zahl auf sechs Generale fest. Zugleich bestimmte er aber, daß diese
Generale an der Spitze von Armeekorps zu belassen seien, damit sie dauernd
in Verbindung mit der Truppe blieben und sich im praktischen Dienst übten.
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