Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Hemmungen des Fortschritts in "Lhma auf Gegenseitigkeit bedeuten, kann niemand, der nicht zur Strafe für begangue Hemmungen des Fortschritts in «Lhma auf Gegenseitigkeit bedeuten, kann niemand, der nicht zur Strafe für begangue <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302000"/> <fw type="header" place="top"> Hemmungen des Fortschritts in «Lhma</fw><lb/> <p xml:id="ID_17" prev="#ID_16" next="#ID_18"> auf Gegenseitigkeit bedeuten, kann niemand, der nicht zur Strafe für begangue<lb/> Arkaden verstoßen wurden ist — aus solchen Verstvßnen setzen sich großenteils die<lb/> Scharen der „Kukis" zusammen —, in die Notlage geraten, von einem „Besitzenden"<lb/> ausgebeutet zu werden. Daher die eigentümliche Erscheinung, daß es in China<lb/> wohl ein Großgrundeigentum aber keinen Großgrundbesitz gibt. Der Eigentümer<lb/> kann sein Land nur zu dem üblichen Zinsfuße verpachten, er findet keinen, der<lb/> darauf für ihn gegen Lohn arbeiten würde. Henry Georges Ideal ist also in<lb/> China verwirklicht, und zwar ohne daß aller Boden, wie vielfach fälschlich an¬<lb/> genommen wird, dem Kaiser, dem Staate gehörte, oder der Staat etwa die<lb/> Znwachsrente wegsteuerte. Deshalb findet man nirgends in der Welt eine so<lb/> große Parzellierung des Grundbesitzes wie in China. Wenige Meter breite,<lb/> 20 bis 30 Meter lange Parzellen sind die Regel. Bis an die steilen Felskuppen<lb/> der Hügel hinauf ist das Land sorgfältig terrassiert; jedes noch so kleine<lb/> Stückchen Land auf dem Boden der Negenschluchten, von dem man annehmen<lb/> kann, daß es vor den herniedergehenden Fluten halbwegs geschützt ist, wird<lb/> bestens ausgenützt, jeder kleine Acker gartenähnlich bestellt. Fällt in China eine<lb/> Ernte schlecht aus, so wird die Ausfuhr von Bodenprodukten verboten; nicht<lb/> nur durch den Mandarin, sondern auch durch die öffentliche Meinung. Die<lb/> Chinesen wissen sich eben gegen sich selbst zu schützen; denn der, dessen Ernte<lb/> noch ziemlich gut ausfiel, möchte wohl seine Erzeugnisse ausführen, um mehr<lb/> dafür zu gewinnen. Die Besitzer der Neisniederlagen in den Handelsstädten<lb/> würden gern den Überfluß abnehmen. Die Masse der Landbevölkerung<lb/> duldet es nicht und beugt so einer Hungersnot möglichst vor. Diese innere<lb/> Harmonie der chinesischen Gesellschaft ist es, die den Europäer, der lange unter<lb/> Chinesen lebt, leicht in der neuen Umgebung aufgehen und die Fähigkeit, West-<lb/> ländische Kulturerrungenschaften zu würdigen, verlieret! läßt. Jene Eintracht im<lb/> Innern bedeutet ja im Westen das Verlorne Paradies, das wieder zu gewinnen<lb/> den Inhalt der sozialen Bewegung ausmacht. Wer freilich deswegen die chinesische<lb/> Gesellschaftsordnung höher schätzt als die westlündische, müßte auch die europäische<lb/> Kultur geringer bewerten als die chinesische, denn unter einer Gentilorganisation<lb/> ist westländisches Leben undenkbar. Auch Morgan, der in seinem Werke „Die<lb/> Urgesellschaft" die innere Organisation der Geschlechtsverbände bei den Indianer-<lb/> Völkern und bei den alten Griechen und Römern bloßlegt, redet sich im Verlaufe<lb/> seiner Schilderung oft in eine fast schwärmerische Bewunderung der Vorzüge der<lb/> Gentilorganisation hinein, ohne sie selbst auf der Stufe ihrer höchsten Ver¬<lb/> feinerung in China kennen gelernt zu haben. Sie nimmt nach ihm auf der<lb/> Tafel des menschlichen Fortschritts den allerersten Rang ein, „keiner andern<lb/> Einrichtung nachstehend in ihrer Bedeutung, ihren Errungenschaften und ihrer<lb/> Geschichte". Er kommt aber doch zu dem Schluß, daß sie den Anforderungen der<lb/> europäischen Zivilisation nicht gewachsen sei. „Die in der Periode der Wildheit<lb/> entsprungne und durch die drei Unterperioden der Barbarei fortgeführte Gentil¬<lb/> organisation brach schließlich unter den vorgeschrittnen Stämmen, als sie bis zur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Hemmungen des Fortschritts in «Lhma
auf Gegenseitigkeit bedeuten, kann niemand, der nicht zur Strafe für begangue
Arkaden verstoßen wurden ist — aus solchen Verstvßnen setzen sich großenteils die
Scharen der „Kukis" zusammen —, in die Notlage geraten, von einem „Besitzenden"
ausgebeutet zu werden. Daher die eigentümliche Erscheinung, daß es in China
wohl ein Großgrundeigentum aber keinen Großgrundbesitz gibt. Der Eigentümer
kann sein Land nur zu dem üblichen Zinsfuße verpachten, er findet keinen, der
darauf für ihn gegen Lohn arbeiten würde. Henry Georges Ideal ist also in
China verwirklicht, und zwar ohne daß aller Boden, wie vielfach fälschlich an¬
genommen wird, dem Kaiser, dem Staate gehörte, oder der Staat etwa die
Znwachsrente wegsteuerte. Deshalb findet man nirgends in der Welt eine so
große Parzellierung des Grundbesitzes wie in China. Wenige Meter breite,
20 bis 30 Meter lange Parzellen sind die Regel. Bis an die steilen Felskuppen
der Hügel hinauf ist das Land sorgfältig terrassiert; jedes noch so kleine
Stückchen Land auf dem Boden der Negenschluchten, von dem man annehmen
kann, daß es vor den herniedergehenden Fluten halbwegs geschützt ist, wird
bestens ausgenützt, jeder kleine Acker gartenähnlich bestellt. Fällt in China eine
Ernte schlecht aus, so wird die Ausfuhr von Bodenprodukten verboten; nicht
nur durch den Mandarin, sondern auch durch die öffentliche Meinung. Die
Chinesen wissen sich eben gegen sich selbst zu schützen; denn der, dessen Ernte
noch ziemlich gut ausfiel, möchte wohl seine Erzeugnisse ausführen, um mehr
dafür zu gewinnen. Die Besitzer der Neisniederlagen in den Handelsstädten
würden gern den Überfluß abnehmen. Die Masse der Landbevölkerung
duldet es nicht und beugt so einer Hungersnot möglichst vor. Diese innere
Harmonie der chinesischen Gesellschaft ist es, die den Europäer, der lange unter
Chinesen lebt, leicht in der neuen Umgebung aufgehen und die Fähigkeit, West-
ländische Kulturerrungenschaften zu würdigen, verlieret! läßt. Jene Eintracht im
Innern bedeutet ja im Westen das Verlorne Paradies, das wieder zu gewinnen
den Inhalt der sozialen Bewegung ausmacht. Wer freilich deswegen die chinesische
Gesellschaftsordnung höher schätzt als die westlündische, müßte auch die europäische
Kultur geringer bewerten als die chinesische, denn unter einer Gentilorganisation
ist westländisches Leben undenkbar. Auch Morgan, der in seinem Werke „Die
Urgesellschaft" die innere Organisation der Geschlechtsverbände bei den Indianer-
Völkern und bei den alten Griechen und Römern bloßlegt, redet sich im Verlaufe
seiner Schilderung oft in eine fast schwärmerische Bewunderung der Vorzüge der
Gentilorganisation hinein, ohne sie selbst auf der Stufe ihrer höchsten Ver¬
feinerung in China kennen gelernt zu haben. Sie nimmt nach ihm auf der
Tafel des menschlichen Fortschritts den allerersten Rang ein, „keiner andern
Einrichtung nachstehend in ihrer Bedeutung, ihren Errungenschaften und ihrer
Geschichte". Er kommt aber doch zu dem Schluß, daß sie den Anforderungen der
europäischen Zivilisation nicht gewachsen sei. „Die in der Periode der Wildheit
entsprungne und durch die drei Unterperioden der Barbarei fortgeführte Gentil¬
organisation brach schließlich unter den vorgeschrittnen Stämmen, als sie bis zur
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