Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der Revanchcgedanken in Frankreich jetzt wegen seiner Rede ans die Entfernung des Generals Bailloud aus dein Der Revanchcgedanken in Frankreich jetzt wegen seiner Rede ans die Entfernung des Generals Bailloud aus dein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302106"/> <fw type="header" place="top"> Der Revanchcgedanken in Frankreich</fw><lb/> <p xml:id="ID_522" prev="#ID_521" next="#ID_523"> jetzt wegen seiner Rede ans die Entfernung des Generals Bailloud aus dein<lb/> exponierten Grenzposten im Osten geeinigt haben, so haben sie es nur getan, um<lb/> vor die Erregung in Frankreich einen Riegel zu schieben und das bessere Ver¬<lb/> hältnis zu Deutschland, das noch nicht langen Datums ist, nicht mutwillig zu<lb/> stören. Denn so weit geht der Wunsch nach Revanche bei den Franzosen nun<lb/> doch nicht, daß sie sich einen Krieg nur des Krieges wegen herbei wünschen und<lb/> jeden äußern Anlaß, der sich ihnen bietet, benutzen, um für ihre vermeintlichen<lb/> Rechte das Schwert zu ziehen. Überhaupt tut man ja gut, das gebildete<lb/> Frankreich nicht etwa für kriegslustig anzusehen, weil es seine Hoffnungen auf<lb/> jene beiden Provinzen nicht aufgeben will. Der Wunsch nach Ruhe und Frieden,<lb/> nach Wohlstand und Gedeihen ist eben auch hier so mächtig, daß er sich gegen<lb/> jede Übereilung wehrt. Auf der andern Seite aber dürfen wir nicht aus dem<lb/> Auge verlieren, daß wir nur in einem bewaffneten Frieden leben, und daß<lb/> Frankreich ununterbrochen seine Rüstungen fortsetzt in einer Ausdehnung, die bei<lb/> uns wohl nur in ganz eingeweihten Kreisen bekannt ist. Was hat die Nation<lb/> für die Landesverteidigung allein an Opfern bringen müssen, als während<lb/> der Marokkofrage die Beziehungen zu Deutschland eine kritische Wendung zu<lb/> nehmen drohten! Nahe an 200 Millionen Franken hat man, wie die Verhand¬<lb/> lungen in den Parlamenten über den diesjährigen Militüretat ergeben haben,<lb/> ausgegeben, um die Kriegsbereitschaft zu erhöhen. Darunter allein 137^ Millionen<lb/> für Artillerien!atcrial, Munition u. tgi., 42'/^ Millionen für Befestigungen und<lb/> mehr als 32 Millionen für Lebensmittel und Beklcidnngsreserven. Aber was<lb/> fast noch mehr zur Wachsamkeit und Vorsicht bei uns mahnen sollte, das ist die<lb/> Tatsache der jüngsten Erklärung des Finanzministers in der Deputiertcnkmnmer,<lb/> daß jene 193 Millionen Riistnngslrcdite nur die erste Stufe auf der Leiter zu<lb/> weiter» Ausgaben bedeuteten, und daß der Kriegsminister im Ministerrat schon<lb/> 70 Millionen für noch zu vollendende Arbeiten verlangt und ein neues Programm<lb/> vorgelegt habe, das rund 200 Millionen umfaßte. Diese gewaltigen Summen<lb/> geben sicherlich zu denken und beweisen, daß die allgemeine Abrüstuugstheorie,<lb/> in Frankreich wenigstens, noch nicht viele Anhänger gefunden hat. Aber die<lb/> großen Mittel, die der Staat schon bis jetzt für Heer und Flotte aufgewandt<lb/> hat, haben diese zu scharfen Waffen gemacht. Und nichts wäre falscher, als<lb/> wenn wir uns dieser Tatsache verschließen und in dem Glauben leben wollten,<lb/> daß wir in der französischen Armee dermaleinst keinen durchaus ebenbürtigen<lb/> Gegner vor uns haben werden. Einzelheiten können hier übergangen werden.<lb/> Es ist ja auch müßig, sich darüber zu streiten, ob wir oder die Franzosen die<lb/> bessere Artillerie haben, ob ihre Infanterie mehr zur Selbständigkeit erzogen<lb/> wird als die unsre, und welche Reiterei es zu größerer Leistungsfähigkeit<lb/> bringt. Wir müssen uns also bei solch einem militärischen Vergleich mit unserm<lb/> westlichen Nachbarn vor jeder Unterschätzung seiner Truppen hüten und werden<lb/> vielmehr gut daran tun, ihre Vorzüge lieber ein wenig zu hoch als zu gering<lb/> einzuschätzen. Deshalb darf aber doch nicht unausgesprochen bleiben, daß wir<lb/> in unsern HeereSeinrichtungen eine Organisation haben, die den Franzosen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
Der Revanchcgedanken in Frankreich
jetzt wegen seiner Rede ans die Entfernung des Generals Bailloud aus dein
exponierten Grenzposten im Osten geeinigt haben, so haben sie es nur getan, um
vor die Erregung in Frankreich einen Riegel zu schieben und das bessere Ver¬
hältnis zu Deutschland, das noch nicht langen Datums ist, nicht mutwillig zu
stören. Denn so weit geht der Wunsch nach Revanche bei den Franzosen nun
doch nicht, daß sie sich einen Krieg nur des Krieges wegen herbei wünschen und
jeden äußern Anlaß, der sich ihnen bietet, benutzen, um für ihre vermeintlichen
Rechte das Schwert zu ziehen. Überhaupt tut man ja gut, das gebildete
Frankreich nicht etwa für kriegslustig anzusehen, weil es seine Hoffnungen auf
jene beiden Provinzen nicht aufgeben will. Der Wunsch nach Ruhe und Frieden,
nach Wohlstand und Gedeihen ist eben auch hier so mächtig, daß er sich gegen
jede Übereilung wehrt. Auf der andern Seite aber dürfen wir nicht aus dem
Auge verlieren, daß wir nur in einem bewaffneten Frieden leben, und daß
Frankreich ununterbrochen seine Rüstungen fortsetzt in einer Ausdehnung, die bei
uns wohl nur in ganz eingeweihten Kreisen bekannt ist. Was hat die Nation
für die Landesverteidigung allein an Opfern bringen müssen, als während
der Marokkofrage die Beziehungen zu Deutschland eine kritische Wendung zu
nehmen drohten! Nahe an 200 Millionen Franken hat man, wie die Verhand¬
lungen in den Parlamenten über den diesjährigen Militüretat ergeben haben,
ausgegeben, um die Kriegsbereitschaft zu erhöhen. Darunter allein 137^ Millionen
für Artillerien!atcrial, Munition u. tgi., 42'/^ Millionen für Befestigungen und
mehr als 32 Millionen für Lebensmittel und Beklcidnngsreserven. Aber was
fast noch mehr zur Wachsamkeit und Vorsicht bei uns mahnen sollte, das ist die
Tatsache der jüngsten Erklärung des Finanzministers in der Deputiertcnkmnmer,
daß jene 193 Millionen Riistnngslrcdite nur die erste Stufe auf der Leiter zu
weiter» Ausgaben bedeuteten, und daß der Kriegsminister im Ministerrat schon
70 Millionen für noch zu vollendende Arbeiten verlangt und ein neues Programm
vorgelegt habe, das rund 200 Millionen umfaßte. Diese gewaltigen Summen
geben sicherlich zu denken und beweisen, daß die allgemeine Abrüstuugstheorie,
in Frankreich wenigstens, noch nicht viele Anhänger gefunden hat. Aber die
großen Mittel, die der Staat schon bis jetzt für Heer und Flotte aufgewandt
hat, haben diese zu scharfen Waffen gemacht. Und nichts wäre falscher, als
wenn wir uns dieser Tatsache verschließen und in dem Glauben leben wollten,
daß wir in der französischen Armee dermaleinst keinen durchaus ebenbürtigen
Gegner vor uns haben werden. Einzelheiten können hier übergangen werden.
Es ist ja auch müßig, sich darüber zu streiten, ob wir oder die Franzosen die
bessere Artillerie haben, ob ihre Infanterie mehr zur Selbständigkeit erzogen
wird als die unsre, und welche Reiterei es zu größerer Leistungsfähigkeit
bringt. Wir müssen uns also bei solch einem militärischen Vergleich mit unserm
westlichen Nachbarn vor jeder Unterschätzung seiner Truppen hüten und werden
vielmehr gut daran tun, ihre Vorzüge lieber ein wenig zu hoch als zu gering
einzuschätzen. Deshalb darf aber doch nicht unausgesprochen bleiben, daß wir
in unsern HeereSeinrichtungen eine Organisation haben, die den Franzosen
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