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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Der Revanchegedanken in Frankreich

>s fällt auf, wie verschieden sich die französische Tages- und Fach¬
presse noch immer mit der Versetzung des Generals Bailloud von
Nancy nach Montpellier beschäftigt, und wie sie diese Tatsache
mit allerhand Kommentaren begleitet. Wir vermögen uns der
I Ansicht derer nicht anzuschließen, die da meinen, die Versetzung
des tüchtigen Generals, der übrigens in den Jahren 1900/01 in China mit
dem General Voyron dem Oberbefehl des Feldmarschalls Grafen Waldersee
unterstanden hat, sei eine Art Strafverfügung, schon deshalb nicht, weil das
sechzehnte Armeekorps, das der General jetzt befehligt, im Kriegsfall zu der
sogenannten Alpenarmee gehört, und wir finden auf der andern Seite, daß sich
der Ministerpräsident wie der Kriegsminister vor der Öffentlichkeit des Parlaments,
so gut es nur ging, aus der unbequemen Angelegenheit herausgezogen haben.
An sich ist ja das, was General Bailloud zunächst im internen Kameradenkreise
geäußert und dann durch einen Tagesbefehl teilweise bekannt gegeben hat, vom
französischen Standpunkte ganz gewiß nicht unverständlich. Auch ist es ja nicht
das erstemal, daß solche Dinge von hoher Stelle und mit aller Deutlichkeit,
sogar noch mit viel größerer Schärfe ausgesprochen worden sind. Es sei nur
an die Rede des frühern Kriegsministers General Andre erinnert, der von der
Tribüne des Parlaments mit Nachdruck erklärte, die französische Armee habe
nicht nur die Aufgabe, das was von Frankreich noch da sei, unverletzt zu er¬
halten, sondern auch zur Rückgewinnung der Verlornen Provinzen zu dienen.
Weder ist General Andre damals wegen dieser herausfordernden Äußerungen
von der Regierung getadelt worden, noch haben seine Worte in der Presse
auch nur die leiseste Mißbilligung gefunden. Ganz im Gegenteil. Genau
wie jetzt war die Mehrheit der Nation der Ansicht, daß der wahre Patriot nur
der sei, der den Revanchegedanken hochhalte und die Hoffnung auf Elsaß-
Lothringen nicht aufgebe. Die Herren Clemencecm und Piequart denken auch
nicht anders, können überhaupt nicht anders denken, und wenn sie sich trotzdem


Grenzboten II 1907 15


Der Revanchegedanken in Frankreich

>s fällt auf, wie verschieden sich die französische Tages- und Fach¬
presse noch immer mit der Versetzung des Generals Bailloud von
Nancy nach Montpellier beschäftigt, und wie sie diese Tatsache
mit allerhand Kommentaren begleitet. Wir vermögen uns der
I Ansicht derer nicht anzuschließen, die da meinen, die Versetzung
des tüchtigen Generals, der übrigens in den Jahren 1900/01 in China mit
dem General Voyron dem Oberbefehl des Feldmarschalls Grafen Waldersee
unterstanden hat, sei eine Art Strafverfügung, schon deshalb nicht, weil das
sechzehnte Armeekorps, das der General jetzt befehligt, im Kriegsfall zu der
sogenannten Alpenarmee gehört, und wir finden auf der andern Seite, daß sich
der Ministerpräsident wie der Kriegsminister vor der Öffentlichkeit des Parlaments,
so gut es nur ging, aus der unbequemen Angelegenheit herausgezogen haben.
An sich ist ja das, was General Bailloud zunächst im internen Kameradenkreise
geäußert und dann durch einen Tagesbefehl teilweise bekannt gegeben hat, vom
französischen Standpunkte ganz gewiß nicht unverständlich. Auch ist es ja nicht
das erstemal, daß solche Dinge von hoher Stelle und mit aller Deutlichkeit,
sogar noch mit viel größerer Schärfe ausgesprochen worden sind. Es sei nur
an die Rede des frühern Kriegsministers General Andre erinnert, der von der
Tribüne des Parlaments mit Nachdruck erklärte, die französische Armee habe
nicht nur die Aufgabe, das was von Frankreich noch da sei, unverletzt zu er¬
halten, sondern auch zur Rückgewinnung der Verlornen Provinzen zu dienen.
Weder ist General Andre damals wegen dieser herausfordernden Äußerungen
von der Regierung getadelt worden, noch haben seine Worte in der Presse
auch nur die leiseste Mißbilligung gefunden. Ganz im Gegenteil. Genau
wie jetzt war die Mehrheit der Nation der Ansicht, daß der wahre Patriot nur
der sei, der den Revanchegedanken hochhalte und die Hoffnung auf Elsaß-
Lothringen nicht aufgebe. Die Herren Clemencecm und Piequart denken auch
nicht anders, können überhaupt nicht anders denken, und wenn sie sich trotzdem


Grenzboten II 1907 15
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[0117] [Abbildung] Der Revanchegedanken in Frankreich >s fällt auf, wie verschieden sich die französische Tages- und Fach¬ presse noch immer mit der Versetzung des Generals Bailloud von Nancy nach Montpellier beschäftigt, und wie sie diese Tatsache mit allerhand Kommentaren begleitet. Wir vermögen uns der I Ansicht derer nicht anzuschließen, die da meinen, die Versetzung des tüchtigen Generals, der übrigens in den Jahren 1900/01 in China mit dem General Voyron dem Oberbefehl des Feldmarschalls Grafen Waldersee unterstanden hat, sei eine Art Strafverfügung, schon deshalb nicht, weil das sechzehnte Armeekorps, das der General jetzt befehligt, im Kriegsfall zu der sogenannten Alpenarmee gehört, und wir finden auf der andern Seite, daß sich der Ministerpräsident wie der Kriegsminister vor der Öffentlichkeit des Parlaments, so gut es nur ging, aus der unbequemen Angelegenheit herausgezogen haben. An sich ist ja das, was General Bailloud zunächst im internen Kameradenkreise geäußert und dann durch einen Tagesbefehl teilweise bekannt gegeben hat, vom französischen Standpunkte ganz gewiß nicht unverständlich. Auch ist es ja nicht das erstemal, daß solche Dinge von hoher Stelle und mit aller Deutlichkeit, sogar noch mit viel größerer Schärfe ausgesprochen worden sind. Es sei nur an die Rede des frühern Kriegsministers General Andre erinnert, der von der Tribüne des Parlaments mit Nachdruck erklärte, die französische Armee habe nicht nur die Aufgabe, das was von Frankreich noch da sei, unverletzt zu er¬ halten, sondern auch zur Rückgewinnung der Verlornen Provinzen zu dienen. Weder ist General Andre damals wegen dieser herausfordernden Äußerungen von der Regierung getadelt worden, noch haben seine Worte in der Presse auch nur die leiseste Mißbilligung gefunden. Ganz im Gegenteil. Genau wie jetzt war die Mehrheit der Nation der Ansicht, daß der wahre Patriot nur der sei, der den Revanchegedanken hochhalte und die Hoffnung auf Elsaß- Lothringen nicht aufgebe. Die Herren Clemencecm und Piequart denken auch nicht anders, können überhaupt nicht anders denken, und wenn sie sich trotzdem Grenzboten II 1907 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/117>, abgerufen am 06.02.2025.