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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Denifle, Pater Weiß und das evangelische Christentum

züge, die sie ihrer guten Naturanlage und dem christlichen Geiste verdanken,
innerhalb der katholischen Kirche ausgebildet haben, glauben sie sie dieser zu
verdanken; und weil vom katholischen Lehrgebäude, an das sie glauben, der
Primat der Schlußstein ist, so hegen sie eine überschwengliche Meinung von
der Bedeutung des Papsttums. Was dessen Geschichte Unerfreuliches darbietet,
dabei verweilt ihr Blick nicht, und darum macht es auf sie keinen Eindruck.
Von einzelnen Päpsten -- es sind ihrer nicht viele -- darf man schon sagen,
daß sich in ihnen das Christentum konzentriert habe, z. B. von Gregor dem
Großen, obgleich dieser edle, würdige und überaus tüchtige Mann im Übermaß
abergläubisch war. Aber die meisten Päpste sind nur mittelmäßige Christen,
wenn auch im übrigen bedeutende Menschen gewesen, und in nicht ganz wenigen
hat sich ein antichristlicher Geist verkörpert, was Luther in seiner bekannten Art
ungebührlich verallgemeinert hat. Für gewöhnlich sucht sich der christliche Geist
andre Konzentrativnspunkte als den päpstlichen Stuhl. Manchmal waltet er
mit Macht in einem frommen Monarchen, wie in den Kaisern Otto der Erste
und Heinrich der Dritte, die daran gearbeitet haben, den Augiasstall der
römischen Klerisei auszuräumen, diese in deutsche Zucht zu nehmen und mit
christlichem Geiste zu erfüllen. Manchmal erwählt sich dieser eine stille Kloster¬
zelle, wie die des Thomas a Kempis, oder einen begeisterten Prediger, wie
Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi, oder einige Ketzergemeinden, wie
die waldensischen und die "Gemeinden unter dem Kreuz". Es waren dies
reformierte Gemeinden des sechzehnten Jahrhunderts, die im Herzogtum Jülich-
Kleve-Berg und im Kurfürstentum Köln unter hartem Druck lebten, und von
denen Professor Eduard Simons im Augustheft der Preußischen Jahrbücher
mit Recht sagt: "Gibt es seit der altchristlichen Zeit keine Gemeinden, die das,
was eine Christengemeinde sein soll, deutlicher, ergreifender gezeigt haben als
sie, sind sie in kirchlicher Beziehung wertvolle, wenn nicht gar die wertvollsten
Schöpfungen der Reformation, eine Ehre des evangelischen Christentums, ein
Beweis, daß dieses auch kirchlich mehr zu leisten vermag als der Katholizismus,
dann dürfen sie der Beachtung empfohlen werden." Endlich sieht man den
christlichen Geist manchmal in einem ganzen wackern Volke wirksam. Das kleine
Dänenvolk enthält heute, wenn beim Geiste von Quantitäten gesprochen werden
darf, wahrscheinlich mehr christlichen Geist als das päpstliche Rom in den letzten
sieben Jahrhunderten. Selbstverständlich schafft sich der christliche Geist für
sein Wirken Einrichtungen und Behörden als Organe, aber in eine Behörde
einkapseln, von einer Behörde reglementieren, an eine Amtsstelle binden läßt
er sich nicht. Erfüllt sich eine Kirchenbehörde mit unchristlichen Geiste, so ent¬
weicht eben der christliche und sucht sich ein andres, meist ein nicht offizielles
Organ, das dann von jener verketzert und verfemt wird.

Weiß beschuldigt Luther, daß er unter andern schlimmen Entwicklungen
auch die zum Minimismus eingeleitet habe, d. h. zu dem Bestreben, die "Glaubens¬
dinge auf das möglichst geringe Maß zurückzuführen". (Warum nicht lieber:


Denifle, Pater Weiß und das evangelische Christentum

züge, die sie ihrer guten Naturanlage und dem christlichen Geiste verdanken,
innerhalb der katholischen Kirche ausgebildet haben, glauben sie sie dieser zu
verdanken; und weil vom katholischen Lehrgebäude, an das sie glauben, der
Primat der Schlußstein ist, so hegen sie eine überschwengliche Meinung von
der Bedeutung des Papsttums. Was dessen Geschichte Unerfreuliches darbietet,
dabei verweilt ihr Blick nicht, und darum macht es auf sie keinen Eindruck.
Von einzelnen Päpsten — es sind ihrer nicht viele — darf man schon sagen,
daß sich in ihnen das Christentum konzentriert habe, z. B. von Gregor dem
Großen, obgleich dieser edle, würdige und überaus tüchtige Mann im Übermaß
abergläubisch war. Aber die meisten Päpste sind nur mittelmäßige Christen,
wenn auch im übrigen bedeutende Menschen gewesen, und in nicht ganz wenigen
hat sich ein antichristlicher Geist verkörpert, was Luther in seiner bekannten Art
ungebührlich verallgemeinert hat. Für gewöhnlich sucht sich der christliche Geist
andre Konzentrativnspunkte als den päpstlichen Stuhl. Manchmal waltet er
mit Macht in einem frommen Monarchen, wie in den Kaisern Otto der Erste
und Heinrich der Dritte, die daran gearbeitet haben, den Augiasstall der
römischen Klerisei auszuräumen, diese in deutsche Zucht zu nehmen und mit
christlichem Geiste zu erfüllen. Manchmal erwählt sich dieser eine stille Kloster¬
zelle, wie die des Thomas a Kempis, oder einen begeisterten Prediger, wie
Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi, oder einige Ketzergemeinden, wie
die waldensischen und die „Gemeinden unter dem Kreuz". Es waren dies
reformierte Gemeinden des sechzehnten Jahrhunderts, die im Herzogtum Jülich-
Kleve-Berg und im Kurfürstentum Köln unter hartem Druck lebten, und von
denen Professor Eduard Simons im Augustheft der Preußischen Jahrbücher
mit Recht sagt: „Gibt es seit der altchristlichen Zeit keine Gemeinden, die das,
was eine Christengemeinde sein soll, deutlicher, ergreifender gezeigt haben als
sie, sind sie in kirchlicher Beziehung wertvolle, wenn nicht gar die wertvollsten
Schöpfungen der Reformation, eine Ehre des evangelischen Christentums, ein
Beweis, daß dieses auch kirchlich mehr zu leisten vermag als der Katholizismus,
dann dürfen sie der Beachtung empfohlen werden." Endlich sieht man den
christlichen Geist manchmal in einem ganzen wackern Volke wirksam. Das kleine
Dänenvolk enthält heute, wenn beim Geiste von Quantitäten gesprochen werden
darf, wahrscheinlich mehr christlichen Geist als das päpstliche Rom in den letzten
sieben Jahrhunderten. Selbstverständlich schafft sich der christliche Geist für
sein Wirken Einrichtungen und Behörden als Organe, aber in eine Behörde
einkapseln, von einer Behörde reglementieren, an eine Amtsstelle binden läßt
er sich nicht. Erfüllt sich eine Kirchenbehörde mit unchristlichen Geiste, so ent¬
weicht eben der christliche und sucht sich ein andres, meist ein nicht offizielles
Organ, das dann von jener verketzert und verfemt wird.

Weiß beschuldigt Luther, daß er unter andern schlimmen Entwicklungen
auch die zum Minimismus eingeleitet habe, d. h. zu dem Bestreben, die „Glaubens¬
dinge auf das möglichst geringe Maß zurückzuführen". (Warum nicht lieber:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/94>, abgerufen am 24.07.2024.