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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Denisie, Pater weiß und das evangelische Christentum

Inquisitoren zu verfolgen aufgegeben sei. Der Papst weist diese Meinung
zurück und erklärt ausdrücklich, daß die Inquisitoren die der Hexerei Ver
dächtigen gefänglich einzuziehen und der Bestrafung zuzuführen hätten. Die
genannten geliebten Söhne haben nun den Hexenhammer ausgearbeitet, der mit
Recht das abscheulichste und das dümmste aller existierenden Bücher genannt
worden ist. Sehr zur rechten Zeit ist soeben eine dreibändige deutsche Über¬
setzung davon erschienen (von I. W. R. Schmidt; Berlin, H. Barsdorf, 1906).
Die gelehrten Verfasser beweisen darin streng logisch aus der Schrift, der
Tradition, den Vätern, den alten Klassikern sowie aus der kanonistischen und
juristischen Literatur, daß die Hexerei wirklich vorkomme, und daß die Leugnung
dieses wirklichen Vorkommens strafbare Häresie sei, und sie beschreiben das
Verfahren, das bei der Verfolgung, Inquisition und Aburteilung der Hexen zu
befolgen sei. Bedenkt man nun, daß weder die heidnischen Griechen noch später
die Mohammedaner Greueltaten begangen haben, die den durch diese Bulle und
dieses Buch eingeleiteten an Umfang und Scheußlichkeit gleich kämen, daß man
im fünfzehnten Jahrhundert bei bedeutend fortgeschrittenerer Kultur weit eher
imstande war, die natürlichen Ursachen von Krankheiten und andern Übeln zu
erkennen als im Jahrhundert Agobards, daß also gar keine übernatürliche Er¬
leuchtung, sondern nur ein gewöhnliches Maß gesunden Menschenverstands und
guten Willens nötig war, den Unsinn des Hexenaberglaubcns zu erkennen, daß
endlich das abscheuliche Prozeßverfahren, das die Inquisitoren vorschreiben, die
ganze Rechtspflege, die ohnehin schon nicht viel langte, vollends in Grund und
Boden verderben und das Gefühl für Recht und Wahrheit töten mußte, so
folgt daraus für die unverdorbne Vernunft: den Papst sich zum Lehrmeister
erkiesen, das würde heißen, den Blindesten aller Blinden zum Führer erwählen;
sofern er den Völkern noch als Führer galt, mußten sie dieser Führung ent¬
rissen werden. Damit allein schon ist nicht bloß die Berechtigung, sondern die
Notwendigkeit der Reformation bewiesen: die Kultur und das Christentum
mußten vor dem Papste gerettet werden. Freilich haben die Reformatoren den
Hexenaberglauben geteilt und mit ihrem unaufhörlichen Gerede vom Teufel die
gerade ausbrechende Epidemie verschlimmert, was eine kräftige Warnung vor
der Aufrichtung einer neuen, lutherischen oder kalvinischen Orthodoxie bedeutet.
Aber den großen negativen Dienst hat doch die Reformation der Christenheit
geleistet, daß sie die kirchliche Autorität untergrub, diese, soweit sie fortbestand,
durch Spaltung schwächte, der Hierarchie die Macht nahm, im Übermaß zu
schaden. Die Vernunft konnte anfangen sich zu regen, ohne die Gefahr, durch
Ketzergerichte mundtot gemacht zu werden. Dieses negative ist wahrlich nicht
das einzige Verdienst der Reformation gewesen, aber es war ein wesentliches
und großes. Andrerseits folgt aus jener Forderung der Vernunft nicht, daß
die katholische Kirche oder auch nur das Papsttum vernichtet werden müßte.
Jene bietet der Wirksamkeit des christlichen Geistes Formen dar, die allein ihn
einer gewissen Art von Jndividnal- und Volksseelen zugänglich machen können,


Denisie, Pater weiß und das evangelische Christentum

Inquisitoren zu verfolgen aufgegeben sei. Der Papst weist diese Meinung
zurück und erklärt ausdrücklich, daß die Inquisitoren die der Hexerei Ver
dächtigen gefänglich einzuziehen und der Bestrafung zuzuführen hätten. Die
genannten geliebten Söhne haben nun den Hexenhammer ausgearbeitet, der mit
Recht das abscheulichste und das dümmste aller existierenden Bücher genannt
worden ist. Sehr zur rechten Zeit ist soeben eine dreibändige deutsche Über¬
setzung davon erschienen (von I. W. R. Schmidt; Berlin, H. Barsdorf, 1906).
Die gelehrten Verfasser beweisen darin streng logisch aus der Schrift, der
Tradition, den Vätern, den alten Klassikern sowie aus der kanonistischen und
juristischen Literatur, daß die Hexerei wirklich vorkomme, und daß die Leugnung
dieses wirklichen Vorkommens strafbare Häresie sei, und sie beschreiben das
Verfahren, das bei der Verfolgung, Inquisition und Aburteilung der Hexen zu
befolgen sei. Bedenkt man nun, daß weder die heidnischen Griechen noch später
die Mohammedaner Greueltaten begangen haben, die den durch diese Bulle und
dieses Buch eingeleiteten an Umfang und Scheußlichkeit gleich kämen, daß man
im fünfzehnten Jahrhundert bei bedeutend fortgeschrittenerer Kultur weit eher
imstande war, die natürlichen Ursachen von Krankheiten und andern Übeln zu
erkennen als im Jahrhundert Agobards, daß also gar keine übernatürliche Er¬
leuchtung, sondern nur ein gewöhnliches Maß gesunden Menschenverstands und
guten Willens nötig war, den Unsinn des Hexenaberglaubcns zu erkennen, daß
endlich das abscheuliche Prozeßverfahren, das die Inquisitoren vorschreiben, die
ganze Rechtspflege, die ohnehin schon nicht viel langte, vollends in Grund und
Boden verderben und das Gefühl für Recht und Wahrheit töten mußte, so
folgt daraus für die unverdorbne Vernunft: den Papst sich zum Lehrmeister
erkiesen, das würde heißen, den Blindesten aller Blinden zum Führer erwählen;
sofern er den Völkern noch als Führer galt, mußten sie dieser Führung ent¬
rissen werden. Damit allein schon ist nicht bloß die Berechtigung, sondern die
Notwendigkeit der Reformation bewiesen: die Kultur und das Christentum
mußten vor dem Papste gerettet werden. Freilich haben die Reformatoren den
Hexenaberglauben geteilt und mit ihrem unaufhörlichen Gerede vom Teufel die
gerade ausbrechende Epidemie verschlimmert, was eine kräftige Warnung vor
der Aufrichtung einer neuen, lutherischen oder kalvinischen Orthodoxie bedeutet.
Aber den großen negativen Dienst hat doch die Reformation der Christenheit
geleistet, daß sie die kirchliche Autorität untergrub, diese, soweit sie fortbestand,
durch Spaltung schwächte, der Hierarchie die Macht nahm, im Übermaß zu
schaden. Die Vernunft konnte anfangen sich zu regen, ohne die Gefahr, durch
Ketzergerichte mundtot gemacht zu werden. Dieses negative ist wahrlich nicht
das einzige Verdienst der Reformation gewesen, aber es war ein wesentliches
und großes. Andrerseits folgt aus jener Forderung der Vernunft nicht, daß
die katholische Kirche oder auch nur das Papsttum vernichtet werden müßte.
Jene bietet der Wirksamkeit des christlichen Geistes Formen dar, die allein ihn
einer gewissen Art von Jndividnal- und Volksseelen zugänglich machen können,


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[0091] Denisie, Pater weiß und das evangelische Christentum Inquisitoren zu verfolgen aufgegeben sei. Der Papst weist diese Meinung zurück und erklärt ausdrücklich, daß die Inquisitoren die der Hexerei Ver dächtigen gefänglich einzuziehen und der Bestrafung zuzuführen hätten. Die genannten geliebten Söhne haben nun den Hexenhammer ausgearbeitet, der mit Recht das abscheulichste und das dümmste aller existierenden Bücher genannt worden ist. Sehr zur rechten Zeit ist soeben eine dreibändige deutsche Über¬ setzung davon erschienen (von I. W. R. Schmidt; Berlin, H. Barsdorf, 1906). Die gelehrten Verfasser beweisen darin streng logisch aus der Schrift, der Tradition, den Vätern, den alten Klassikern sowie aus der kanonistischen und juristischen Literatur, daß die Hexerei wirklich vorkomme, und daß die Leugnung dieses wirklichen Vorkommens strafbare Häresie sei, und sie beschreiben das Verfahren, das bei der Verfolgung, Inquisition und Aburteilung der Hexen zu befolgen sei. Bedenkt man nun, daß weder die heidnischen Griechen noch später die Mohammedaner Greueltaten begangen haben, die den durch diese Bulle und dieses Buch eingeleiteten an Umfang und Scheußlichkeit gleich kämen, daß man im fünfzehnten Jahrhundert bei bedeutend fortgeschrittenerer Kultur weit eher imstande war, die natürlichen Ursachen von Krankheiten und andern Übeln zu erkennen als im Jahrhundert Agobards, daß also gar keine übernatürliche Er¬ leuchtung, sondern nur ein gewöhnliches Maß gesunden Menschenverstands und guten Willens nötig war, den Unsinn des Hexenaberglaubcns zu erkennen, daß endlich das abscheuliche Prozeßverfahren, das die Inquisitoren vorschreiben, die ganze Rechtspflege, die ohnehin schon nicht viel langte, vollends in Grund und Boden verderben und das Gefühl für Recht und Wahrheit töten mußte, so folgt daraus für die unverdorbne Vernunft: den Papst sich zum Lehrmeister erkiesen, das würde heißen, den Blindesten aller Blinden zum Führer erwählen; sofern er den Völkern noch als Führer galt, mußten sie dieser Führung ent¬ rissen werden. Damit allein schon ist nicht bloß die Berechtigung, sondern die Notwendigkeit der Reformation bewiesen: die Kultur und das Christentum mußten vor dem Papste gerettet werden. Freilich haben die Reformatoren den Hexenaberglauben geteilt und mit ihrem unaufhörlichen Gerede vom Teufel die gerade ausbrechende Epidemie verschlimmert, was eine kräftige Warnung vor der Aufrichtung einer neuen, lutherischen oder kalvinischen Orthodoxie bedeutet. Aber den großen negativen Dienst hat doch die Reformation der Christenheit geleistet, daß sie die kirchliche Autorität untergrub, diese, soweit sie fortbestand, durch Spaltung schwächte, der Hierarchie die Macht nahm, im Übermaß zu schaden. Die Vernunft konnte anfangen sich zu regen, ohne die Gefahr, durch Ketzergerichte mundtot gemacht zu werden. Dieses negative ist wahrlich nicht das einzige Verdienst der Reformation gewesen, aber es war ein wesentliches und großes. Andrerseits folgt aus jener Forderung der Vernunft nicht, daß die katholische Kirche oder auch nur das Papsttum vernichtet werden müßte. Jene bietet der Wirksamkeit des christlichen Geistes Formen dar, die allein ihn einer gewissen Art von Jndividnal- und Volksseelen zugänglich machen können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/91>, abgerufen am 24.07.2024.