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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean

Doch wir müssen zu den amerikanisch-japanischen Angelegenheiten zurück¬
kehren. Das Versälle" Kaliforniens gegen die japanischen Schüler hat auch
die Regierung zu Tokio tief erbittert. Sie hat sich in Washington darüber be¬
klagt. Das hat den Präsidenten Noosevelt veranlaßt, in seiner Kongreßbot¬
schaft vom 4. Dezember 1906 Stellung zu der Sache zu nehmen. Und zwar
hat er das in der leidenschaftlichsten Weise getan und sich zugunsten Japans
ausgesprochen. Er hebt die Fortschritte dieses neuen Volkes auf der Bahn der
Kultur hervor und nennt sie beispiellos. In einer einzigen Generation habe
es so viel nachgeholt, daß es sich mit Recht Schulter an Schulter neben die
vorgeschrittensten Kulturvölker Europas und Amerikas stellen könne. Die Ver¬
einigten Staaten sollten alle Einwanderer gerecht und billig behandeln; ob sie
Katholiken oder Protestanten, Juden oder Christen seien, aus Japan oder aus
Italien, aus England, Deutschland oder aus Rußland kämm, tue nichts zur
Sache. Es sollte uicht einem einzelnen Teile des großen amerikanischen Ge¬
meinwesens überlassen sein, es in Frage zu stellen, ob die Vereinigten Staaten
ihren Verpflichtungen gegen das Ausland nachkamen oder nicht. Die Bundes¬
macht sei jetzt unzulänglich. Der Präsident empfiehlt Abänderung, unter anderm
mich das Recht für die Japaner, sich in den Vereinigten Staaten naturalisieren
zu lassen. Was mit Worten aus autoritärem Munde gut gemacht werden
kann, ist dadurch geleistet worden. Aber es konnte nicht viel sein. Aus dem
Kongreß heraus kam sofort die Antwort in Gestalt eines Antrags von einem
Senator für Maryland: der Kongreß wolle erklären, daß der Präsident kein
Recht habe, das Schulwesen eines Einzelstaats zum Gegenstande von Ver¬
handlungen mit dem Auslande zu machen. In der Tat, ein solches Recht hat
weder der Präsident noch der Kongreß. Die Verfassung ist darüber vollständig
klar. Das Schulwesen ist Sache der Einzelstaaten. An eine Verfassungs¬
änderung zu diesem Zweck ist gar nicht zu denken. Nicht nur daß die Zwei¬
drittelmehrheit dafür notwendig wäre: Änderungen an der nahezu für heilig
geltenden Verfassung werde" kaum jemals vorgenommen werden; das ganze
Rassengefühl ist auch lebhaft dagegen. Der Süden sympathisiert ungeteilt mit
dem Westen, und auch im Osten ist die Stimmung nichts weniger als geschlossen
für Noosevelt. Dieser hat seinen Handelssekretär Metcalf nach San Francisco
gesandt, um die dortigen Behörden umzustimmen. Letzterer ist schlechterdings
ohne irgendeinen Erfolg zurückgekehrt. Kalifornien will die Japaner nicht.

So steht die Sache also auf dem alten Fleck. Die Japaner sind gereizt
und sind zu einen" sehr fühlbare,: Boykott gegen amerikanische Waren über¬
gegangen, einem viel schärfern, als vor einem Jahre die Chinesen in Shanghai
ausübten. Sie haben sich damit Bundesgenossen in den Kreisen der amerikanischen
Ausfuhrindustrie erworben. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten ist
überhaupt nicht einheitlich. Schon die beiden großen Parteien sind immer ent¬
gegengesetzter Meinung. Seit sich der republikanische Präsident für die Japaner
ausgesprochen hat, sind die Demokraten dagegen. Auf allen Seiten gibt es auch
Leute, die von einem baldige" neuen Konflikt nichts wissen wollen. Sie sind


Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean

Doch wir müssen zu den amerikanisch-japanischen Angelegenheiten zurück¬
kehren. Das Versälle» Kaliforniens gegen die japanischen Schüler hat auch
die Regierung zu Tokio tief erbittert. Sie hat sich in Washington darüber be¬
klagt. Das hat den Präsidenten Noosevelt veranlaßt, in seiner Kongreßbot¬
schaft vom 4. Dezember 1906 Stellung zu der Sache zu nehmen. Und zwar
hat er das in der leidenschaftlichsten Weise getan und sich zugunsten Japans
ausgesprochen. Er hebt die Fortschritte dieses neuen Volkes auf der Bahn der
Kultur hervor und nennt sie beispiellos. In einer einzigen Generation habe
es so viel nachgeholt, daß es sich mit Recht Schulter an Schulter neben die
vorgeschrittensten Kulturvölker Europas und Amerikas stellen könne. Die Ver¬
einigten Staaten sollten alle Einwanderer gerecht und billig behandeln; ob sie
Katholiken oder Protestanten, Juden oder Christen seien, aus Japan oder aus
Italien, aus England, Deutschland oder aus Rußland kämm, tue nichts zur
Sache. Es sollte uicht einem einzelnen Teile des großen amerikanischen Ge¬
meinwesens überlassen sein, es in Frage zu stellen, ob die Vereinigten Staaten
ihren Verpflichtungen gegen das Ausland nachkamen oder nicht. Die Bundes¬
macht sei jetzt unzulänglich. Der Präsident empfiehlt Abänderung, unter anderm
mich das Recht für die Japaner, sich in den Vereinigten Staaten naturalisieren
zu lassen. Was mit Worten aus autoritärem Munde gut gemacht werden
kann, ist dadurch geleistet worden. Aber es konnte nicht viel sein. Aus dem
Kongreß heraus kam sofort die Antwort in Gestalt eines Antrags von einem
Senator für Maryland: der Kongreß wolle erklären, daß der Präsident kein
Recht habe, das Schulwesen eines Einzelstaats zum Gegenstande von Ver¬
handlungen mit dem Auslande zu machen. In der Tat, ein solches Recht hat
weder der Präsident noch der Kongreß. Die Verfassung ist darüber vollständig
klar. Das Schulwesen ist Sache der Einzelstaaten. An eine Verfassungs¬
änderung zu diesem Zweck ist gar nicht zu denken. Nicht nur daß die Zwei¬
drittelmehrheit dafür notwendig wäre: Änderungen an der nahezu für heilig
geltenden Verfassung werde» kaum jemals vorgenommen werden; das ganze
Rassengefühl ist auch lebhaft dagegen. Der Süden sympathisiert ungeteilt mit
dem Westen, und auch im Osten ist die Stimmung nichts weniger als geschlossen
für Noosevelt. Dieser hat seinen Handelssekretär Metcalf nach San Francisco
gesandt, um die dortigen Behörden umzustimmen. Letzterer ist schlechterdings
ohne irgendeinen Erfolg zurückgekehrt. Kalifornien will die Japaner nicht.

So steht die Sache also auf dem alten Fleck. Die Japaner sind gereizt
und sind zu einen« sehr fühlbare,: Boykott gegen amerikanische Waren über¬
gegangen, einem viel schärfern, als vor einem Jahre die Chinesen in Shanghai
ausübten. Sie haben sich damit Bundesgenossen in den Kreisen der amerikanischen
Ausfuhrindustrie erworben. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten ist
überhaupt nicht einheitlich. Schon die beiden großen Parteien sind immer ent¬
gegengesetzter Meinung. Seit sich der republikanische Präsident für die Japaner
ausgesprochen hat, sind die Demokraten dagegen. Auf allen Seiten gibt es auch
Leute, die von einem baldige» neuen Konflikt nichts wissen wollen. Sie sind


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[0083] Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean Doch wir müssen zu den amerikanisch-japanischen Angelegenheiten zurück¬ kehren. Das Versälle» Kaliforniens gegen die japanischen Schüler hat auch die Regierung zu Tokio tief erbittert. Sie hat sich in Washington darüber be¬ klagt. Das hat den Präsidenten Noosevelt veranlaßt, in seiner Kongreßbot¬ schaft vom 4. Dezember 1906 Stellung zu der Sache zu nehmen. Und zwar hat er das in der leidenschaftlichsten Weise getan und sich zugunsten Japans ausgesprochen. Er hebt die Fortschritte dieses neuen Volkes auf der Bahn der Kultur hervor und nennt sie beispiellos. In einer einzigen Generation habe es so viel nachgeholt, daß es sich mit Recht Schulter an Schulter neben die vorgeschrittensten Kulturvölker Europas und Amerikas stellen könne. Die Ver¬ einigten Staaten sollten alle Einwanderer gerecht und billig behandeln; ob sie Katholiken oder Protestanten, Juden oder Christen seien, aus Japan oder aus Italien, aus England, Deutschland oder aus Rußland kämm, tue nichts zur Sache. Es sollte uicht einem einzelnen Teile des großen amerikanischen Ge¬ meinwesens überlassen sein, es in Frage zu stellen, ob die Vereinigten Staaten ihren Verpflichtungen gegen das Ausland nachkamen oder nicht. Die Bundes¬ macht sei jetzt unzulänglich. Der Präsident empfiehlt Abänderung, unter anderm mich das Recht für die Japaner, sich in den Vereinigten Staaten naturalisieren zu lassen. Was mit Worten aus autoritärem Munde gut gemacht werden kann, ist dadurch geleistet worden. Aber es konnte nicht viel sein. Aus dem Kongreß heraus kam sofort die Antwort in Gestalt eines Antrags von einem Senator für Maryland: der Kongreß wolle erklären, daß der Präsident kein Recht habe, das Schulwesen eines Einzelstaats zum Gegenstande von Ver¬ handlungen mit dem Auslande zu machen. In der Tat, ein solches Recht hat weder der Präsident noch der Kongreß. Die Verfassung ist darüber vollständig klar. Das Schulwesen ist Sache der Einzelstaaten. An eine Verfassungs¬ änderung zu diesem Zweck ist gar nicht zu denken. Nicht nur daß die Zwei¬ drittelmehrheit dafür notwendig wäre: Änderungen an der nahezu für heilig geltenden Verfassung werde» kaum jemals vorgenommen werden; das ganze Rassengefühl ist auch lebhaft dagegen. Der Süden sympathisiert ungeteilt mit dem Westen, und auch im Osten ist die Stimmung nichts weniger als geschlossen für Noosevelt. Dieser hat seinen Handelssekretär Metcalf nach San Francisco gesandt, um die dortigen Behörden umzustimmen. Letzterer ist schlechterdings ohne irgendeinen Erfolg zurückgekehrt. Kalifornien will die Japaner nicht. So steht die Sache also auf dem alten Fleck. Die Japaner sind gereizt und sind zu einen« sehr fühlbare,: Boykott gegen amerikanische Waren über¬ gegangen, einem viel schärfern, als vor einem Jahre die Chinesen in Shanghai ausübten. Sie haben sich damit Bundesgenossen in den Kreisen der amerikanischen Ausfuhrindustrie erworben. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten ist überhaupt nicht einheitlich. Schon die beiden großen Parteien sind immer ent¬ gegengesetzter Meinung. Seit sich der republikanische Präsident für die Japaner ausgesprochen hat, sind die Demokraten dagegen. Auf allen Seiten gibt es auch Leute, die von einem baldige» neuen Konflikt nichts wissen wollen. Sie sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/83>, abgerufen am 24.07.2024.